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Im Caffe Trieste, dem ältesten italienischen Kaffeehaus der Westküste (Baujahr 1956) sitzt ein alter Mann mit weißen Haaren. Am Stammtisch ist er der Brennpunkt des Gesprächs, immer wieder zitiert er aus den Tageszeitungen. Der Gedanke liegt nahe, dass es sich um Lawrence Ferlinghetti, 81, handelt, den letzten lebenden Poeten der Beat-Generation. Kommt das Thema auf die Politik und Obama, wird der Weißhaarige laut: "Yes they can, yes they can, but what they can?", räsoniert er. Die Kollegen, gleichfalls um die 80, pflichten ihm bei - bis sie wieder in ihre Zeitungen versinken. Eine halbe Stunde später sind die Espressi ausgetrunken, und die Gruppe löst sich auf. Der Mann, der Ferlinghetti sein könnte, grüßt nach allen Richtungen und tritt gemessenen Schrittes ins Freie.
Caffe Trieste, 1969
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Für Fremde ist es gar nicht so einfach, das Caffe Trieste zu finden. Bevor man plötzlich doch vor der Tür steht, kommt man am Caffe Roma vorbei, am Caffe Pucchini, am Caffe Greco oder an der Trattoria Pinocchio: Hier ist Little Italy, oder eher: Big Italy.
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Im Stadtviertel North Beach (kein Strand ist weit und breit zu sehen) steht im wahrsten Sinne des Wortes die Zeit still. Das angrenzende Chinatown mag permanent in Bewegung sein, Little Italy bewegt sich kaum. Ums Eck befindet sich die Buchhandlung City Lights Books und der Verlag City Lights Press, zwei Unternehmen, die Lawrence Ferlinghetti vor mehr als einem halben Jahrhundert gegründet hat. Sie sehen aus wie damals. Für Ferlinghetti, seinen Doppelgänger, oder irgendeinen anderen alten Mann im Trieste hat sich San Francisco im letzten Vierteljahrhundert kaum verändert.
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Das Monstergedicht "Howl" von Allen Ginsberg wurde 1956 in der City-Lights-"Pocket-Poet"-Reihe zum ersten Mal abgedruckt, weil sich kein renommierter Verlag fand, der solche Zeilen druckte: "I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked..." (Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, ausgemergelt hysterisch nackt...). Niemand, der Ginsbergs Stimme gehört hat, wird diesen ersten Satz je vergessen, das hoch angesetzte Crescendo des urbanen Kaddish. Natürlich kommt irgendwann die vulgäre Stelle mit den heiligen Motorradfahrern - sie bescherte dem Gedicht landesweite Aufmerksamkeit. Das Buch wurde beschlagnahmt, doch Ferlinghettis Rechtsanwälte gewannen den Prozess. Ginsbergs heilige Schweinereien durften danach im prüden Amerika der fünfziger Jahre offiziell gesagt werden.
Auf der Postkarte in der Buchhandlung City Lights Books: Jack Kerouac und Allen Ginsberg
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Aus der City Lights trat vor vielen Jahren auch der schüchterne, grobschlächtige Jack Kerouac, der voller Selbstzweifel und ohne einen Dollar in der Tasche am Monumentalepos seines Lebens schrieb. Heute wäre er höchstens über zwei bauliche Änderungen verwundert: die kleine Jack-Kerouac-Alley und den Ausblick schräg gegenüber auf das einzige Beat-Museum der Welt, wo Originalausgaben seines "On the road" und anderer Klassiker zu haben sind. Der Eintrittspreis beträgt fünf Dollar, die man als Besucher zurückerhielte, wenn man nicht zufrieden mit dem Museum wäre. Aber welches kalte Herz könnte eine solche Rückforderung stellen? Auf zwei Etagen breitet sich die Welt der Beat-Autoren recht undidaktisch und unwissenschaftlich aus. Sieht man vom Beat-Museum ab, würde Kerouac recht viel von diesem Viertel wiedererkennen. Doch nicht nur in North Beach ist die Zeit stehengeblieben - sondern überall!
Jerry Cimino, Gründer des Beat Museum
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San Francisco ist mittlerweile das weltweit größte Freilichtmuseum der achtziger Jahre. Einerseits mag das auf den produktiven Mangel an urbanen Investitionen zurückzuführen sein, der sich sachte auszuwirken beginnt, andererseits auf die - sehen wir es durchaus positiv - traditionell freundliche Rückständigkeit seiner Bewohner. Auch heute ist nicht ganz klar, ob das Kürzel Frisco gerade in Mode ist oder von den Bewohnern abgelehnt wird und nur die heillose Gier widerspiegelt, via In-Ausdrücken dazuzugehören. San Francisco spricht sich am besten als jener eleganter Viersilber aus, der seine Sehenswürdigkeiten nicht groß anpreisen muss, um sie weltberühmt zu machen.
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Da ist zunächst einmal die gigantische Hängebrücke. Heroisch ragt sie aus dem Nebel, elegant steht sie in der Sonne, erfreulich geschmackvoll in der Farbe, deren Name erst durch sie bekannt wurde: "international orange". Die 1937 fertiggestellte Golden Gate, die auch zu Fuß oder per Fahrrad überquert werden kann, führt in touristischer Hinsicht allerdings ins Nirgendwo, in die feine Vorstadt Sausalito. Errichtet wurde sie erst nach einem kleinen Kulturkampf: Die Fährgesellschaften hatten gegen den Brückenbau geklagt, die Bevölkerung begann, die betreffenden Schiffe zu boykottieren.
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Eine bequeme Art der Golden-Gate-Überquerung verschafft einem der Shuttlebus zum Startplatz der San Francisco Helicopters. Die Maut kostet in Stadtrichtung sechs Dollar, nach Sausalito hin ist sie gratis. "Sie sprechen über eine Preiserhöhung. Sie nennen es ,effizienter machen'", erklärt Fred, der Busfahrer, "aber ich schätze, es heißt teurer machen." Fred lenkt den Bus, fliegt aber auch persönlich Rundflüge über die San Francisco Bay: Golden Gate, Downtown mit seinen Hochhäusern und Hügeln, Gefängnisinsel Alcatraz, alles von oben. Bei schönem Wetter erhalten seine Kunden den Bonus einer flugtechnischen Meisterleistung: Der Helikopter taucht schwungvoll zwischen Brücke und Wasser durch. "Wir achten darauf, dass wir unseren Kunden einen perfekten Flug liefern", heißt das in Freds höflichem Englisch, "gelegentlich herrscht Nebel, und wir können nicht alles zeigen - aber irgendetwas sieht man immer!"
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Beeindruckend wirken von oben auch die glänzenden Leiber neben Pier 39, der Fisherman's Wharf. Hier rasten Kalifornische Seelöwen faul auf den Planken. Wer sie vom Helikopter aus gesehen hat, wird sich auch an Land zur Wharf begeben. Kommen die Seelöwen zu nahe an die Menschen heran, werden sie mit Schläuchen weggespritzt, denn so sehr sie Wasser auch lieben, solches aus Schläuchen finden sie unbequem.
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Quelle: ASSOCIATED PRESS
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Ansonsten ist die Hafengegend ein deprimierendes Beispiel für ungehemmten Massentourismus. Möwen von beinahe gentechnisch manipulierter Größe stürzen sich auf den Abfall, den die Leute hinter sich lassen, und es gibt Tonnen davon. Jemand hat nämlich begonnen, Suppen in Sauerteigbrot zu gießen. Das Brot als Suppentopf geht hier als traditionelles Gericht über den Ladentisch und von dort größtenteils geradlinig in die Mülleimer. Inhalt: Clam Chowder, eine Muschelsuppe von mehliger Konsistenz. Schwer vorstellbar, dass je ein Besucher Suppe und Brot vollständig verschlungen hat.
Aber da ist nicht nur der Großbäcker Boudin mit seinen Sauerteig-Brötchen. Für Fanatiker historischer Schiffe bietet Fisherman's Wharf einiges, etwa das Maritime Museum oder das U-Boot Pampanito aus dem Zweiten Weltkrieg. Daneben steht das "Aquarium of the Bay" mit zwei schönen Haifischröhren, einer guten Quallensammlung und dem etwas zweifelhaften Show-Element des Rochen-Berührens.
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San Franciscos Bürger waren immer auf weitblickende Art rückwärtsgewandt: Als die Stadtverwaltung Ende der vierziger Jahre die Cable Cars durch Dieselbusse ersetzen wollte, kämpfte die legendäre Friedel Klussmann mit ihrem Komitee gegen die Auflassung - bis zu einem Referendum, das hoch gewonnen wurde. Durch das Engagement der Cable-Car-Lady und ihren Mitstreitern konnte die einzige Kabelstraßenbahn der Welt entgegen jeder Logik des 20.Jahrhunderts überleben.
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Die Blumen, die man einst bei einem Besuch dieser Stadt laut populärem Liedtext nicht vergessen sollte, sich ins Haar zu stecken, spiegeln sich heute in einer knapp zwei Kilometer langen Einkaufsstraße entlang des Hippie-Viertels "The Haight" im Westen San Franciscos.
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Der obere Teil am Golden Gate Park, auch Haight/Ashbury genannt, atmet den Sommer der Liebe, der 1966 bis 1967 stattgefunden haben soll - die Atmung besteht genau genommen aus einem Röcheln aus der Vergangenheit. Jedes denkbare Zubehör - von Rauchmaterialien über Kleidung bis zur Musik - ist hier erwerblich, eine Lebensform aus einst aufregenden Träumen hat sich auf charmante Art kommerzialisiert.
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Ganz entschieden widersteht aber auch The Haight den Bemühungen der Gegenwart, es einzuholen, aufzufressen und zu verdauen. Vor dem lila Greatful-Dead-Haus stehen Touristen aus allen Ländern und fotografieren einander, ein eher trübseliger Anblick, und für die Mieter wohl unschön. Die sechziger Jahre sind verloren, die Achtziger sind aber weiterhin da, und The Haight wirkt fest entschlossen, keinen Schritt weiterzugehen.
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Die originalen Urbewohner blicken durch die Stores und durch die Besucher hindurch, von denen sie teilweise leben. Viele von ihnen waren vielleicht schon seit einem halben Jahrhundert nicht mehr Downtown, doch man kann darauf zählen, dass ihr Widerstand anhält. Denn wenn der 82-jährige Lyriker Lawrence Ferlinghetti am anderen Ende der Stadt nächstes Jahr aus seiner Wohnung in das älteste Caféhaus der Stadt hinübergeht, wird alles so sein wie immer.
Informationen:
Anreise: United Airlines fliegt von Frankfurt über Palm Springs nach San Francisco, ab 700 Euro, www.unitedairlines.de Hotel: Comfort Inn by the Bay, 2775 Van Ness Ave., DZ ab 99 US-Dollar, www.sanfranciscocomfortinn.com Beat-Orte: Caffe Trieste, 601 Vallejo St, zwischen Grant und Columbus Ave., www.caffetrieste.com; City Lights Bookstore, 261 Columbus Ave., North Beach, www.citylights.com; The Beat Museum, 540 Broadway, www.kerouac.com
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