Die "Pan Am Experience":Als Fliegen noch extravagant war

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Willkommen auf einer Reise in die Vergangenheit, willkommen bei der Pan Am Experience. (Foto: Mike Kelley / Air Hollywood)

"Screwdriver? Manhattan? Gin Martini?" In Los Angeles kann man sich in einer nachgebauten Pan-Am-Maschine in die Lässigkeit der Siebzigerjahre zurücklehnen. Aber früher war nicht alles besser.

Von Jürgen Schmieder

Es ist erstaunlich, mit welch zeitloser Eleganz sich Chandall aus diesem misslichen Moment befreit. Sie lächelt freundlich, gar so, als würde sie sich über diesen Scherz aus der Kategorie Altherrenwitz tatsächlich köstlich amüsieren. Sie nimmt diese Männerhand, die langsam über ihren Rücken nach sehr weit unten gleitet, zwischen ihre Finger und hält sie fest. Mit einer Drehung entgeht sie der Umarmung. "Sie brauchen dringend einen Cocktail", sagt sie: "Darf ich Ihnen noch einen Whisky Sour bringen?" Sie lässt die Hand los und kehrt zwei Minuten später mit dem Getränk zurück. Zwinkern. Lächeln. Kussmund.

Der Verehrer grinst verschmitzt, er ist kein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit, in der Altherren ihre Hände noch ungestraft über den Rücken bezaubernder Frauen gleiten lassen durften. Taalat Captan will dem nun verblüfften Besucher demonstrieren, wie detailverliebt er diese Stewardessen ausgebildet hat. Diese Szene, sie spielt sich nicht in einer schäbigen Bar in Los Angeles ab, sondern im Nachbau des legendären Flugzeuges Clipper Juan T. Trippe, eine Boeing 747 der noch legendäreren Fluglinie Pan American World Airways (Pan Am).

Chandall, die junge Frau im hellblauen Kleidchen und mit hellblauer Haube über den blonden Haaren, ist eine Schauspielerin - ausgebildet von einer Frau, die in den 1970er-Jahren in dieser Maschine tatsächlich Cocktails serviert hat. Chandall bringt noch eine Köstlichkeit aus Schokolade, dann tanzt sie ein bisschen mit ihrer Kollegin Barbara. Zu "Come Fly With Me" von Frank Sinatra. Willkommen auf einer Reise in die Vergangenheit, willkommen bei der Pan Am Experience.

Es gab einmal eine Zeit, die Älteren werden sich erinnern, da war der Fluggast keine Mischung aus Terrorverdächtigem und Legehenne. Piloten waren so begehrt, wie es heute nur Fußballspieler oder Popstars sind. Flugbegleiterinnen waren Kosmopolitinnen, von der Natur gesegnet mit derart viel Charme, dass selbst der muffeligste Mensch bei einem Lächeln zum Verehrer wurde. Diese Zeit, sie wird vor allem seit dem Erfolg der Fernsehserie " Mad Men" verklärt als jene, in der die Welt noch nicht aus den Fugen geraten war, sondern sich im exakt richtigen Rhythmus um die Sonne bewegte. Um diese Erde flogen die Maschinen von Pan Am, sie brachten die Beatles nach New York und Liz Taylor nach Paris. Das Leben war damals kein Ziel, sondern eine Reise - und der Urlaub begann nicht am Koffer-Rollband am Zielort, sondern bereits beim Einsteigen. Fliegen war deshalb nicht der Grund für Wadenkrämpfe und Langeweile und schlechte Laune, sondern ein elegantes und extravagantes Erlebnis.

Die Kunden sollen sich fühlen wie in den wilden 1970ern, als die Welt noch eine bessere zu sein schien. (Foto: Mike Kelley / Air Hollywood)

Genau das sollen die Kunden nun nachempfinden in dieser Lagerhalle im Norden von Los Angeles. Captan ist Gründer und Geschäftsführer der Firma Air Hollywood, die sich auf die Produktion von Filmszenen in Flugzeugen spezialisiert hat. " The Wolf of Wall Street" wurde hier gedreht, " Million Dollar Arm" und auch Folgen der TV-Serie " Modern Family". Sie kurieren hier Flugangst, bereiten Polizeihunde auf ihre Einsätze vor - und schicken Besucher für 195 (Business Class) oder 295 Dollar (First Class) auf eine Zeitreise in die 1970er-Jahre. Eine junge Passagierin trägt eine Blume im Haar und sieht ganz so aus, als würde sie dringend nach San Francisco wollen. Hach!

Der Abend beginnt mit einem Glas Champagner in der Clipper Lounge voller Pan-Am-Devotionalien. Der Sammler Anthony Toth hat das alles zusammengetragen, vieles hat er vom Flugzeug-Friedhof aus der Mojave-Wüste. "Ich bin im Alter von fünf Jahren erstmals geflogen, in der ersten Klasse in einer Pan-Am-Maschine von Los Angeles nach Zürich", sagt er. "Seitdem bin ich verrückt danach." Schon als Teenager kaufte er einen Flugzeugsessel fürs Wohnzimmer, nach der Pleite der Fluglinie vor 15 Jahren suchte er sich die größte private Memorabiliensammlung zusammen. Die stellte er zunächst in seiner Garage im Süden von Los Angeles aus und lud seine Freunde zu exquisiten Abendessen und Cocktails ein. Captan überzeugte ihn nach einer offenbar äußerst gelungenen Nacht, dass dies auch eine prima Geschäftsidee sein könnte.

"Die Menschen sehnen sich zurück nach dieser Zeit, nach ein bisschen Luxus, nach weniger Effizienz", sagt er. Seit knapp zwei Jahren gibt es die Pan Am Experience, bislang war jeder einzelne Abend ausverkauft (es gibt nur einen "Flug" pro Woche). Captan will expandieren, in New York, er sucht derzeit nach einer passenden Lokalität. Toth gibt nun den Kapitän. Er marschiert mit zwei Begleiterinnen im Arm durch die Clipper Lounge, Sinatra singt. Ein Moment, der an die Szene im Film " Catch Me If You Can" erinnert, als Leonardo DiCaprio in dieser Verkleidung seine Verfolger abschüttelt. Die Passagiere haben nun bereits jeweils drei Gläser Champagner geleert und sind nicht nur deshalb bestens gelaunt. Sie werden über eine kleine Brücke ins Flugzeug geleitet und bewegen sich auf diesen fünf Metern gleichzeitig 50 Jahre in die Vergangenheit.

Es gibt 18 Sitze in der Business Class und 14 ein Stockwerk höher in der ersten Klasse, zu der man über eine Wendeltreppe gelangt. Alles, von den Ledersitzen hinten in der wohlausgestatteten Bar über das Silberbesteck bis hin zu den herrlichen Kostümchen der Stewardessen, stammt aus dem Fundus von Toth, es sind Original-Memorabilien von Pan Am. Die Passagiere sollen in den kommenden vier Stunden das erleben, was Fluggäste vor 50 Jahren erlebt haben - mit einem Augenzwinkern freilich. Bei der Präsentation der Sicherheitsvorkehrungen sagt Chandall, die übrigens mit einer Polaroid-Kamera fotografiert und nicht mit dem Handy: "Ja, es gibt einen Gurt, aber sollte es heute Abend nicht unerwartet ein Erdbeben geben, dann brauchen Sie den nicht."

Schnell noch einen Cocktail vor dem Start, danach wird weiter getrunken. (Foto: Danny Liao / Air Hollywood)

Es geht, nach den drei Gläsern Champagner, sogleich weiter mit noch mehr Alkohol. "Screwdriver? Manhattan? Gin Martini?", fragt Chandall und überreicht einem die Liste der möglichen Cocktails. Die Jüngeren unter den Fluggästen bemerken - es ist übrigens von Millenials bis hin zum älteren Hollywood-Produzenten jede Altersschicht vertreten -, dass sie ganz schön gesoffen haben müssen in den 1970ern; und dass die Älteren vielleicht deshalb glauben, dass die Welt damals eine bessere oder schönere oder wenigstens erträglichere gewesen sein muss. Aber gut, wer sich auf so eine Reise begibt, der will nichts verpassen. Also schnell noch ein Cocktail vor dem Start, gleich danach Sauvignon Blanc zum Büffelmozzarella mit Pesto.

Das Menü ist den transatlantischen Flügen von damals nachempfunden: Es gibt Chateaubriand mit Pfeffersoße, das Chandall am Platz vom Braten trennt und auf Porzellan serviert und nicht in diesem Ikea-Essensbaukasten, der einem heute vorgesetzt wird. Natürlich gibt es dazu kalifornischen Pinot Noir. Möglich sind auch Hühnchenbrust oder vegetarische Pasta. Danach Käseplatte mit Portwein oder Früchte mit Champagner. Die Begleiterinnen nutzen die Gänge zwischen den Sitzen derweil als Laufsteg und führen die textilen Herrlichkeiten von Pan Am vor.

Wer pokern möchte, der kann das in der Lounge tun. Man kann auch an einem Quiz über Pan Am teilnehmen oder einfach nur mit einem anderen Gast darüber reden, dass früher alles besser war. Toth verteilt Fake-Zigaretten, weil damals natürlich nicht nur ordentlich gesoffen wurde, sondern auch ordentlich geraucht. Nicht nur den Jüngeren wird nun klar, warum einem in der Bestätigungsmail nicht nur geraten wurde, sich aus Respekt vor den anderen Gästen ordentlich zu kleiden, sondern auch ein Taxi als Beförderungsmittel zu nehmen. Vor der Landung gibt es erst noch Pan-Am-Ledertaschen zu kaufen und schließlich die sogenannten After Dinner Drinks. Auf diesem Flug schließt Alkohol den Magen.

Natürlich war früher nicht alles besser. In Wirklichkeit waren die meisten Dinge früher schlechter, als sie jetzt sind. Es ist ja herrlich effizient, dass die Menschen heutzutage zu einem erschwinglichen Preis an beinahe jeden Ort auf der Welt reisen können. Aber, und das versichert einem Chandall vor dem Verlassen des Flugzeuges mit einem lieblichen Lächeln und verführerischem Augenzwinkern: Die aufregendsten Momente im Leben sind jene, in denen wir Effizienz und Kosten vergessen - und einfach mal genießen, einen Abend lang herrlich unvernünftig zu sein.

Infos und Buchung: www.panamexperience.com

© SZ vom 08.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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