Urlaubsziel Con Son in Vietnam:Furchtbar schön

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Zeugen einer schrecklichen Vergangenheit: Im Lager Phu Binh folterte die US-Armee zwischen 1971 und 1973 Gefangene. (Foto: Kevin German/Luceo/laif)

Nicht weit von Con Sons Traumstränden wurden lange Zeit Häftlinge gefoltert. Heute ist die vietnamesische Insel Urlaubsziel - und Gäste werden gebeten hinzusehen.

Von Titus Arnu

Lila-gelb gestreifte Orchideen, weiße Lilien, gelbe und weiße Rosen: Die Propellermaschine von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Con Dao ist ein fliegender Blumenladen. Fast jeder der 40 Passagiere in dem Flugzeug, überwiegend Vietnamesen, hat einen prächtigen Strauß auf dem Schoß liegen, nur die amerikanischen und europäischen Touristen nicht. Es duftet so intensiv in der Kabine, dass man fast befürchten muss, betäubt anzukommen. Findet auf Con Dao das Jahrestreffen der südostasiatischen Floristik-Branche statt? Eine große Hochzeit, zu der Verwandte aus dem ganzen Land anreisen? Ist auf der Insel jemand gestorben, der besonders beliebt war?

Letzteres trifft es wohl am ehesten. Auf Con Son, der Hauptinsel des 160 Kilometer vom Festland entfernten Archipels Con Dao, liegt Vo Thi Sau begraben. Das Schulmädchen hatte sich Ende der 1940er-Jahre einer Guerillagruppe auf dem Festland angeschlossen und war an mehreren Widerstands-Aktionen gegen die französischen Kolonialherren beteiligt gewesen. Nach einem gescheiterten Anschlag wurde sie verhaftet, drei Jahre auf Con Dao inhaftiert und im Alter von 19 Jahren exekutiert. Auf dem idyllischen Friedhof Hang Duong hat sie im Jahr 1952 ihre letzte Ruhestätte gefunden. Das imposante Grab aus Marmor ist eine der wichtigsten politischen Pilgerstätten Vietnams - und das Ziel der Blumenmenschen im Flugzeug. Vo Thi Sau gilt in Vietnam als Nationalheldin.

Spät abends und nachts, besonders bei Vollmond, finden auf dem Friedhof patriotische Volksfeste statt. Die Besucher bringen Obst und Gemüse, gebratene Hähnchenteile, Blumen, Räucherstäbchen, Shampoo-Flaschen, Kämme und Spiegel als Gaben an Vo Thi Saus Grab - alles Dinge, die sich das Mädchen in ihren letzten Lebensjahren vielleicht sehnlichst gewünscht hatte. Es geht fröhlich zu, aus mitgebrachten Radios und Mobiltelefonen scheppert vietnamesische Schlagermusik, einige Frauen singen mit, Jugendliche tanzen im Schein von Kerzen und Fackeln dazu. Palmen biegen sich sanft im Wind, im Hintergrund rauscht das Meer. Die Atmosphäre ist hippiemäßig friedlich. Dabei ist die Insel nicht gerade als Ort des Friedens bekannt, das absolute Gegenteil ist der Fall.

Mehr als 200 Jahre lang war wenig über die mysteriöse Inselgruppe bekannt

Erst seit Kurzem ist Con Dao ein Urlaubsziel, davor galt der Ort als "Teufelsinsel". Mehr als 200 Jahre lang war in Vietnam wenig über die mysteriöse Inselgruppe bekannt. Wenn man etwas hörte, dann nur die allerschlimmsten Gerüchte. Wer dort hingebracht wurde, den erwarteten furchtbare Qualen und am Ende der Tod. Erst betrieben die französischen Kolonialherren ein Gefängnis, später Süd-Vietnamesen und Amerikaner. Rund 20 000 Menschen haben ihr Leben auf gewaltsame Art auf der Insel verloren. Besonders martialisch waren die Folterungen, deren Ausmaß erst nach der vietnamesischen Wiedervereinigung 1975 bekannt wurde. Durch die abgeschiedene Lage im Südchinesischen Meer konnten die jeweiligen Machthaber ungestört und unbeobachtet ihre politischen Gefangenen quälen - mit Methoden, die man gar nicht beschreiben möchte, so grausam waren sie. Traurige Berühmtheit erlangten die "Tiger Cages", in denen die Häftlinge hinter Eisengittern auf engstem Raum gehalten wurden wie Tiere im Zoo.

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(Foto: Robert Haidinger/laif)

Con Dao heute: Freundliche Menschen...

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(Foto: Basil Childers/Six Senses Con Dao)

...und traumhafte Strände empfangen den Besucher.

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(Foto: Six Senses Con Dao, Vietnam)

Die Bauten fügen sich, scheinbar historisch, in die Landschaft ein. Wie etwa...

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(Foto: Aaron Joel Santos/Six Senses Con Dao)

...der Laden.

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(Foto: Six Senses Con Dao, Vietnam)

Hinter dem Ressort liegt eine Lagune in den bewaldeten Hügeln.

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(Foto: Six Senses Con Dao, Vietnam)

"Liebes-Gipfel" nennen die Betreiber diesen Hügel.

Von 1861 bis zum Ende des Vietnamkriegs 1975 war die Insel Sperrgebiet, auch heute sind noch 4000 der 8000 Einwohner Soldaten. Vereinzelte Backpacker verirrten sich danach manchmal auf die abgelegenen Inseln im Südchinesischen Meer, doch erst seit es eine direkte Flugverbindung von Ho-Chi-Minh-Stadt gibt, kommen mehr Touristen. Früher reisten die Rucksacktouristen umständlich über mehrere Stationen mit der Fähre an, heute sind es neben den vietnamesischen Pilgern eher Louis-Vuitton-Taschen-Träger mit Armani-Kleidersack, die in 45 Minuten von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Con Dao fliegen und am Flughafen von der Limousine abgeholt werden. Vor einigen Jahren hat eine Filiale der Luxus-Resort-Kette Six Senses eröffnet, am schönsten Strand der Insel. Seit Angelina Jolie und Brad Pitt mit ihrer Großfamilie inklusive vietnamesischer Adoptivkinder dort Urlaub gemacht haben, wird über die ehemalige Gefängnisinsel auch mal positiv berichtet - ein klarer PR-Erfolg von Brangelina.

(Foto: N/A)

Das hat Con Dao auch verdient, denn abgesehen von der schrecklichen Vergangenheit ist es ein schöner Ort. 80 Prozent des Archipels, der aus 16 Inseln besteht, sind Nationalpark und Meeresschutzgebiet. Nur die Hauptinsel Con Son, wo sich das Luxusresort, der Flughafen und die Ruinen der Gefängnisse befinden, ist bewohnt. Kein Gebäude ist dort höher als zwei Stockwerke, es gibt eine geteerte Straße vom Flughafen zum Luxushotel und weiter zum Ort, das war's. Im Hafen geht es ausgesprochen ruhig zu, die Fischer haben ihre Boote wegen des zu starken Seegangs in eine ruhige Bucht gebracht, sie sitzen in einer der zwei Kneipen herum, die geöffnet haben und trinken "Bia" - so heißt Bier auf Vietnamesisch. Wenn das Meer ruhiger ist, kann man hervorragend tauchen, das Wasser ist klar und warm, in den Buchten um die Inseln herum leben viele vom Aussterben bedrohte Tiere, zum Beispiel Suppen- und Karettschildkröten sowie Dugongs, asiatische Seekühe.

Noch vor wenigen Jahren gab es nur zwei Autos auf der Insel, 2011 wurde die erste und einzige Ampel an einer Straßenkreuzung errichtet. Die Regierung in Hanoi möchte Con Dao bis zum Jahr 2020 zu einem "Top-Ziel" für wohlhabende Reisende ausbauen, und man fragt sich dann schon, ob das wirklich begrüßenswert ist. Noch kann man mit dem Mountainbike eine Stunde lang über die bergige Insel fahren, ohne einem Auto oder einem Moped zu begegnen. Stattdessen hört man Vögel im Dschungel kreischen, sieht Affen, schwarze Eichhörnchen und Schlangen über den Weg huschen. Auf dem kleinen Markt des Hauptortes ist man manchmal der einzige westliche Tourist. Beim komplett von Wasserhyazinthen bedeckten See hinter dem Dorf sprechen einen zwei Fischer an, wohin man denn wolle mit dem Rad, da komme nichts mehr, nur Dschungel und Meer. Genau dieses Nichts ist es ja, wofür man so weit gereist ist.

Sehenswürdigkeiten gibt es außer den Gefängnis-Ruinen, dem Friedhof und einem Museum mit nachgestellten Folterszenen und Zellen in Originalgröße wenige, also bleibt viel Zeit zum Lesen und Nachdenken. Sieht dieser Berg nicht aus wie ein Elefant? War das wohl Hundefleisch auf dem Sandwich, das man am Straßenrand gekauft hat? Soll das wirklich eine Schnecke sein auf dem Schild an der Bar im Six Senses? Ja, es ist eine Schnecke, mit Kreide auf eine Schiefertafel gemalt, und dazu der Slogan: No Rush Hour.

Die Gefahr besteht wohl kaum, Hektik kommt fast nie auf. Alles wirkt gedämpft auf Con Dao, nicht nur der im Bananenblatt gegarte Fisch zum Mittagessen, auch die Geräusche. Den meisten Krach machen die Bambuszäune, die im Wind rattern. Im Luxusresort gibt es nur Elektrofahrzeuge und Fahrräder, deren Pedale mit Stoff umwickelt sind, damit man barfuß zu seinem Luxusbungalow strampeln kann, ohne sich weh zu tun. Ein charmantes Detail, einerseits, aber andererseits ein krasser Kontrast zu den Horror-Fotos, die im Inselmuseum zu besichtigen sind. Dort sitzen lebensgroße Puppen in engen Isolierzellen, in Vitrinen sind Folterwerkzeuge ausgestellt. Die Ausstellung lässt einen frösteln, obwohl es draußen tropisch heiß ist. Man stellt sich unweigerlich die Gewissensfrage: Wie kann man an einem solchen Ort bloß Urlaub machen, noch dazu in einem Luxus-Hotel ?

Den Betreibern des Six Senses ist der Gegensatz zwischen den großen, klimatisierten Zimmern und den beklemmenden Zellen im ehemaligen Inselgefängnis bewusst. Und deshalb gehen sie das Thema konsequent und ehrlich an: Es gibt regelmäßig Touren zur grausamen Geschichte der Insel, die meisten Gäste nehmen das Angebot auch an. "Es wirkt zunächst einmal paradox, aber der Wandel von der ehemaligen Teufelsinsel in ein Touristenparadies kann nur funktionieren, wenn man offensiv mit der Vergangenheit umgeht", sagt Edouard Grosmangin, General Manager des Resorts. Natürlich kann man als Gast zwei Wochen lang in der Anlage bleiben und sich einfach nur an dem täglich frisch gesäuberten Strand, Massagen, Yoga unter freiem Himmel und gutem Essen erfreuen.

"Aber man kann diese düstere Geschichte nicht ausklammern", sagt Grosmangin. Er führt manchmal selbst Touristengruppen über den Friedhof und erzählt die Geschichte von Vo Thi Sau. Wie die vietnamesischen Besucher bringt er Opfergaben mit und richtet Bitten an die Heilige, zum Beispiel, dass sein Hotel vom nächsten Taifun verschont bleibt.

Diesmal hat er ein dickes Bündel 100-Dollar-Noten dabei. Die Tageseinnahmen aus der Bar? Edouard Grosmangin nimmt ein Feuerzeug und zündet die Banknoten an. Ja, seine Kunden sind reich, aber muss er wirklich so weit gehen? Der Manager bemerkt die verblüfften Blicke und lacht. Die rituelle Geldverbrennung ist ein rein symbolischer Akt. Die Dollars sind falsch.

© SZ vom 19.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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