Unterwegs in Alaska:Zum Mittagessen bei Braunbärs

In Alaska gibt es kaum Straßen. Aber waghalsige Piloten, die ihre Passagiere überallhin fliegen, auch in Bärengebiete. Dort lassen sich die braunen Kolosse seelenruhig beim Lachsfang beobachten - so nah, dass man sie schmatzen hört.

Jochen Temsch

Der Motor der Cessna 206 klingt überdreht wie ein Rasenmäher, als die Maschine zum Startstreifen ruckelt. Tim Hendricks, der Pilot, nimmt einen Schluck Kaffee, stellt den Pappbecher auf den Armaturen ab und macht seine Durchsage über die Kopfhörer: "Also Leute, noch mal: Wir fliegen in diesem Ding hier etwa 150 Kilometer übers Meer, landen auf einem schmalen Strand und laufen mit wilden Braunbären herum - ist sich jeder darüber im Klaren?" Die drei Passagiere, Touristen aus Deutschland, recken ihre Daumen und lachen. Hendricks bleibt ernst. "Okay!", sagt er und zieht durch.

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Das Fliegen mit den einmotorigen, zwei- bis sechssitzigen Flugzeugen ist in Alaska so normal wie andernorts das Autofahren.

(Foto: Jochen Temsch)

Dieser Flug zu den Bären der Hallo Bay im Katmai-Nationalpark ist für viele der Höhepunkt ihrer Alaskareise. 5000 Braun- und Schwarzbären leben im Schutzgebiet gegenüber der Insel Kodiak. Hier muss man nicht lange nach den Tieren suchen. Man stolpert, wenn man nicht aufpasst, buchstäblich über sie. Jedenfalls ist das Hendricks angeblich schon mal passiert: Der Bär schlief im hüfthohen Gras, schreckte wütend hoch, erkannte, dass es nur ein Mensch war, und trollte sich. Buschpilotentalk.

Warten auf besseres Wetter

Buschpiloten, so nennen sie sich. Weil die Wildnis ihr Territorium ist, und Wildnis ist überall "da draußen", wie sie sagen, in diesem riesigen Land, von dem nur zehn Prozent mit Straßen erschlossen sind. Sie erzählen sich Geschichten, wenn sie wegen schlechten Wetters nicht fliegen können, denn das tun sie nur auf Sicht. Dann bleiben sie in ihrer Baracke am Flughafen von Homer, der in etwa so groß ist wie der Parkplatz eines Supermarkts.

Im Fenster hängt die US-Flagge, davor steht ein zerschlissenes Sofa. Außerdem gibt es einen staubigen Tisch, einen langsamen Computer und ein Telefon, das ist die ganze Flugzentrale. Hier warten sie, bis der Nebel aufreißt, studieren Wetterberichte und trinken Kaffee aus Marmeladengläsern. Hendricks trägt Gummistiefel bis hoch zu den Knien, Basecap und eine Sonnenbrille, auch im Gebäude, auch wenn es draußen gegen Mitternacht schon langsam dunkel wird.

Nur im Winter über Land zu erreichen

Ohne nervenstarke Männer wie ihn würde in Alaska überhaupt nichts weitergehen. Buschpiloten bringen die Post und Medikamente, Ärzte und Angler, Bauholz und Nägel, Bier und manchmal sogar eine frische Pizza in entlegene Flecken des Landes. Touristen dürfen mitfliegen, rund um Anchorage genauso wie um Fairbanks, zu alten Goldgräbersiedlungen wie zu den Dörfern der Ureinwohner jenseits des Polarkreises. Nur im Winter sind diese Außenposten der Zivilisation - schmucklose, hölzerne Fertighäuser mit Satellitenschüsseln auf den Wellblechdächern - über Land zu erreichen, per Hundeschlitten oder Schneemobil.

Auf einer Fläche, viermal so groß wie Deutschland, leben in Alaska 700.000 Menschen, halb so viele wie in München, 300.000 von ihnen allein in Anchorage. Homer zählt mit 5000 Bewohnern zu den zwölf größten Orten des Staates. Hier endet der südwestliche Zipfel des kleinen Highwaynetzes. Dann beginnt der Busch: Wälder und Berge, Gletscher und Vulkane, Seen und Tundra, und mittendurch führt eine Ölpipeline.

Aus 1500 Metern Flughöhe betrachtet sieht die Landschaft aus wie ein abstraktes Gemälde, in bunten, kräftigen Farben gemalt, mit viel Blau, Grün und Rot - und alles mit dem ganz, ganz großen Pinsel hingeworfen.

So normal wie Autofahren

Fliegen ist hier so normal wie andernorts Autofahren. Viele Familien besitzen nicht einmal einen Wagen. Jugendliche machen mit 17 ihren Pilotenschein. Jeder Fünfte in Homer kann fliegen, schätzt Hendricks. Abseits der wenigen Straßen und dem Schienenstrang der Alaska Railroad sind einmotorige, zwei- bis sechssitzige Flugzeuge im Sommer die einzige Möglichkeit, ins Landesinnere vorzudringen. Sie landen auf Wiesen, Eis und Schnee, im Wasser und am Strand, mit Kufen, Schwimmern oder besonders großen Rädern. 300 Meter freie Fläche reichen. "Herunterzukommen ist wie ein verdammtes Computerspiel", erklärt Hendricks: "Von links schießen Möwen quer, von rechts bläst der Wind, auf der Piste liegt ein Elch, und dann kurvt auch noch ein Jugendlicher auf Mutprobe mit seinem Motorrad vor meiner Nase herum."

Unterwegs in Alaska: Diese Braunbären lassen sich beim Lachsfang im Katmai-Nationalpark von ihren menschlichen Besuchern nicht stören.

Diese Braunbären lassen sich beim Lachsfang im Katmai-Nationalpark von ihren menschlichen Besuchern nicht stören.

(Foto: Jochen Temsch)

Bärenspuren am Strand

In der Hallo Bay gibt es keine Menschen. Die Landung ist sanft, der Herzschlag sofort beschleunigt: Der Sand ist voller Bärenspuren. Hendricks, der auch ein ausgebildeter Guide ist, führt seine Kunden durch kniehohes Gras. Er weist sie an, sich laut zu unterhalten, damit sie die Tiere nicht überraschen. Hin und wieder sind Kuhlen im Boden zu sehen, von den Bären gescharrt, damit sie mit ihren vollgefressenen Bäuchen bequemer liegen.

Es dauert keine zehn Minuten, und da sind sie: ein Dutzend Braunbären beim Lachsefangen, umkreist von zwei schlanken Wölfen und einem Weißkopfseeadler, keine 100 Meter entfernt, so nah, dass man sie schmatzen hören kann. Ein wildes Spektakel vor der archaischen Kulisse zackiger Berge, Gletscher und teils noch aktiver Vulkane.

Die Küsten-Braunbären gehören zur selben Spezies wie die Grizzlys, die im Landesinneren leben, sind aber größer und friedlicher als ihre Verwandten, die viel härter um Nahrung kämpfen müssen. Die Bären der Hallo Bay haben so viel Lachs zu fressen, dass sie es sich leisten können, wählerisch zu sein. Manche verzehren nur die fette Haut, andere nur den Rogen der Fische. Menschen sind für sie weder Nahrungsquelle noch Bedrohung. Sie ignorieren ihre Besucher und trotten mit gesenkten Köpfen an ihnen vorbei - solange diese nicht zu viele werden und die natürlichen Grenzen respektieren.

Ein Pfefferspray zum Schutz

Die Bären wirken possierlich, aber das täuscht. Hendricks sagt: "Sobald sich die anfängliche Aufregung der Touristen gelegt hat, unterschätzen manche die Gefahr. Sie rufen nach den Tieren oder kommen ihnen zu nah - und das können die Jungs überhaupt nicht leiden." Die größten Exemplare wiegen 800 Kilo, sind aufgerichtet vier Meter groß und können so schnell rennen wie Pferde. Der einzige Schutz gegen sie ist das Pfefferspray, das Hendricks einstecken hat. Er sagt, er habe es noch nie benutzen müssen.

Dem Ruf der Wildnis gefolgt

In Hallo Bay hat sich auch der Aussteiger Timothy Treadwell aufgehalten, den Werner Herzog in seinem Dokumentarfilm "Grizzly Man" porträtiert. Treadwell lebte 13 Sommer lang unter den Bären und verlor mit der Zeit jegliche Distanz. Am Ende wurden er und seine Freundin von den Tieren getötet.

Unterwegs in Alaska: Der Katmai-Nationalpark liegt am Golf von Alaska.

Der Katmai-Nationalpark liegt am Golf von Alaska.

(Foto: SZ-Grafik)

Treadwell ist wie Chris McCandless aus Jon Krakauers "Into the Wild" ein extremes Beispiel für den Typus des Sinnsuchenden, den man in Alaska häufig antrifft: Menschen, die andere Menschen nicht so gerne mögen, stattdessen das raue, in gewisser Weise einfachere Leben in der Natur vorziehen. Nur haben manche zu wenig Kenntnis von der Wildnis und laufen Gefahr, daran zugrunde zu gehen.

Da haben es betuchte Touristen leichter. Sie genießen etwas, das die Einheimischen "cush bush", gepolsterten Busch, nennen. Zum Beispiel in der Redoubt Bay am Lake Clark Pass, 50 Wasserflugzeug-Minuten westlich von Anchorage. Am See steht nur eine einzige Lodge mit drei Hütten, umgeben von Unterholz, das ohne Machete nicht zu durchdringen ist. Bärenpfade durchziehen das Gestrüpp. Die Gäste nächtigen rustikal, werden aber mit ausgezeichneter Küche verwöhnt. Nachts stromern die Bären um die Hütten, tagsüber kann man sie von Booten und Kajaks aus beobachten. Die Ausflüge werden von der Managerin der Lodge, Amy Smith, geführt.

Dumme Sprüche von Anglern und Jägern

Die zierliche Frau stammt aus Minnesota, wo sie als Frachtfliegerin gearbeitet hatte, bevor sie dem Ruf der Wildnis folgte. Sie zog nach Alaska und wurde Buschpilotin - eine der wenigen Frauen in diesem Job. "Es ist körperlich anstrengend", sagt sie, "du musst ständig Sachen ein- und ausladen und stets in Rufbereitschaft bleiben." Und klar, dumme Sprüche bekam sie auch schon genug zu hören. Angler und Jäger, die sie mit dem Wasserflugzeug auflas, fragten sie, wo denn der Pilot sei. Aber so etwas nimmt sie mit Humor. Nach vier Sommern in Redoubt Bay will sie nun nach Kenia weiterziehen und endlich wieder als Pilotin arbeiten. Auch in Afrika gibt es die zwei Dinge, die sie neben ihrem Freund am meisten mag: Busch und Tiere.

In Hallo Bay ist es Zeit zum Aufbruch, bevor die Flut kommt und die Cessna nicht mehr vom Strand abheben kann. Doch die Besucher wollen sich noch nicht losreißen vom Anblick der Bären und der Landschaft. Tim Hendricks lächelt - zum ersten Mal an diesem Tag. Er kennt das und weiß: Nicht einmal Fliegen ist schöner.

Informationen:

Anreise: Condor fliegt ab/bis Frankfurt nach Anchorage, ab 698 Euro, www.condor.com; weiter nach Homer mit Era, www.flyera.com Buschpiloten: Homer: www.homerair.com, Ausflug Hallo Bay ca. 420 Euro pro Person. Fairbanks: www.northernalaska.com, www.warbelows.com. Anchorage: www.flyrusts.com Übernachtung: Homer: www.thedriftwoodinn.com, DZ ab 70 Euro, Redoubt Bay Lodge: Hütte mit Flügen und Verpflegung ca. 900 Euro pro Person und Tag, http:withinthewild.com Reisearrangements: www.dertour.de Weitere Auskünfte: www.alaska-travel.de, Züge: www.alaskarailroad.com

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