Unternehmer Marichal:Bier ist mein Kaffee

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Ein Netzwerk, das Gratis- Stadtpläne für junge Reisende produziert, hat erstaunlichen Erfolg.

Interview von Hans Gasser

Nicolas Marichal, 37, ist Chefredakteur des Netzwerkes Use-it-Europe. Darin erarbeiten Freiwillige einen zweiseitigen Plan ihrer Stadt, der voller Tipps für junge Reisende ist. Neben Hostels, Bars und Pommesbuden beinhalten die Karten unkonventionelle Dinge wie "Kissing Places" oder Ausflüge auf eine Großbaustelle. Nur Einheimische dürfen die Karten machen, das Geld und das Know-how dafür müssen sie sich selbst beschaffen. Die Karten liegen dann gratis an Tourist-Infos und in Hostels aus und stehen zum Download im Internet unter www.use-it.travel

SZ: Wie funktioniert ein nicht-kommerzieller Reiseführer?

Nicolas Marichal: Das Nicht-Kommerzielle ist unsere Stärke, da wir unabhängig und glaubwürdig sind; gleichzeitig ist es auch unsere Schwäche, denn viele Kartenprojekte scheitern am Geld. Die Freiwilligen müssen das Geld selbst auftreiben, oft kommt es von städtischen Tourismusabteilungen. Es braucht etwa 10 000 bis 20 000 Euro für eine Karte. Das beinhaltet alle Kosten, vom Grafikdesign über den Druck bis zur Verteilung. Die Auflagen liegen zwischen 20 000 und fast 200 000. 250 Projekte wurden gestartet, aber bislang nur rund 40 verwirklicht. Trotzdem wollen wir nichts ändern an unseren Regeln. Also keine Werbung machen und keine Auftragsarbeiten annehmen. Use-it muss vom Enthusiasmus der Leute getragen werden.

Worin unterscheiden sich die Use-it-Karten von Reiseführern wie etwa "Lonely Planet"?

Sie sind immer von Einheimischen gemacht, nicht von Journalisten oder Reiseführer-Autoren. Das ist uns sehr wichtig. Es gibt nur Insider-Tipps. Jede Karte hat einen Teil, der heißt "Act like a local". Da werden generelle Informationen gegeben zu den Besonderheiten einer Stadt und den Gewohnheiten ihrer Einwohner, die nur Einheimische geben können. In Dresden etwa erfahren junge Touristen, dass "nu" nicht "nein", sondern "ja" bedeutet oder dass es die coolsten Souvenirs im Supermarkt gibt: Bautzner Senf und Putzi-Zahncreme statt Meißner Porzellan. Die Karten richten sich an eine Zielgruppe zwischen 18 und 25 Jahren. Es geht mehr um Pommesbude und Hostel als Restaurant und Luxushotel.

Gewöhnliche Sehenswürdigkeiten kommen nicht vor?

Doch, die braucht man natürlich. Aber dann gibt es in jeder Karte Dinge, die man in keinem Reiseführer findet. In Brüssel etwa wird man auf einem City Walk in die Gegend um den Nordbahnhof geführt, da gibt es nichts Touristisches, aber man bekommt ein gutes Gefühl dafür, was diese Stadt ausmacht. Und in Gent, meiner Heimatstadt, wird auf eine große Baustelle hingewiesen. Dort soll eine Brücke entstehen, von der aber noch nichts zu sehen ist. Stadtentwicklung und Gentrifizierung ist in vielen Use-it-Karten ein Thema.

Nicolas Marichal sieht auch in digitalen Zeiten Bedarf an Stadtplänen aus Papier. Sie bieten den Überblick und brauchen keine Netzverbindung. (Foto: Tine Declerck)

Es sind viele touristisch relativ unbekannte Städte darunter. Warum?

Große Städte wie Paris oder Berlin haben es oft nicht nötig, solche Projekte zu unterstützen, da gibt es ohnehin genug Touristen. Einfacher ist es oft in Städten, die noch etwas beweisen wollen. In Deutschland haben wir etwa Aachen, Düsseldorf und Dresden. Städte, die etwas zu bieten haben, aber nicht auf dem Niveau von Berlin oder London mithalten können. Oder Ostrava in Tschechien oder Karlovac in Kroatien - das ist ja auch das Tolle, dass solche zu Unrecht übersehene Städte in den Fokus gerückt werden. Viele Use-it-Nutzer entscheiden sich für ein Reiseziel, weil es dazu eine unserer Karten gibt. Das ist gute Werbung für diese Städte!

Woher wissen die Leute, wie man eine solche Karte produziert?

Sie wissen das eben oft nicht. Das heißt, manchmal haben sie eine Ahnung von Grafikdesign, aber sie wissen nicht, wie man Geld auftreibt, wie man schreibt oder wie man 50 000 Karten gut und günstig drucken lässt. Das heißt, sie wenden sich an uns. Wir geben aber nur das Format und ein paar andere Dinge vor. Großteils sind Grafikdesigner und Illustratoren frei. So entstehen sehr unterschiedliche Karten: Die italienischen etwa sind so cool, wie italienisches Design eben ist, die osteuropäischen sind oft eher Punk.

Ist eine Karte auf Papier in Zeiten von Apps nicht völlig veraltet?

Nein, wir werden nie aufhören, unsere Karten auf Papier zu drucken - man hat einfach den Überblick, den es auf dem Smartphone nicht gibt. Und man kann die Karten in Hostels und Tourismusbüros auslegen. Es ist für einen Fremden in der Stadt meist die erste und wichtigste Frage: Gibt es einen Stadtplan? Und wenn der auch noch so viele Tipps enthält, ist er unschlagbar. Aber klar, wir arbeiten auch an einer kostenlosen App, sie wird in den nächsten Wochen erscheinen fürs iPhone. Die Entwicklung kostet allerdings viel Geld, für die Android-Version müssen wir das noch über Crowdfunding auftreiben.

© SZ vom 09.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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