Ist es nicht versöhnlich, dass die Welt weiß, wo die Liebe wohnt? Für alle Fälle: Via Cappello, Verona - in einem Palazzo aus dem Mittelalter mit gotischem Portal, Innenhof und einem berühmten Balkon. Zwei Millionen Menschen fahren jedes Jahr zur "Casa di Giulietta", um da, wo Romeo und Julia ihre Liebe entdeckt haben sollen, sich ein möglichst ewiges Maß davon zu schwören. Sie malen dafür mit wasserfesten Stiften Herzen mit ihren Namen an die alten Mauern, stecken Zettel in Ritzen, hängen Schlösser an Gitter. Die Stadtverwaltung weiß sich kaum gegen die Verunstaltung zu wehren, im Sturm der Romantik geht jede Räson verloren.
Verona ist selber schuld, das Haus Julias ist eine Legende, die man fürs Tourismus-Geschäft üppig fütterte. Der Balkon wurde nachträglich in die Kulisse gebaut, obschon Julia in Shakespeares Tragödie an einem Fenster steht: "O Romeo!" (2. Aufzug, 2. Szene). Ein Balkon ist suggestiver, er fand den Weg über Verfilmungen des Stücks in die vermeintliche Wirklichkeit. Man kann ihn für Hochzeiten mieten, für ein paar Minuten. Der vorerst letzte Umbau des Palazzo fand vor 80 Jahren statt und belud den Kitsch mit noch mehr Kitsch. Zur Freude der Liebenden. O Julia!
Oliver Meiler