Touristenattraktionen:Was genau gibt es hier eigentlich zu sehen?

Für den Erfolg einer Touristenattraktion ist eine gute Geschichte wichtiger als die Wahrheit. An diese acht Orte pilgern die Massen, obwohl nichts so ist, wie es scheint.

Von SZ-Korrespondenten

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Schloss Neuschwanstein

Quelle: AFP

Es ist Ferienzeit, und strandlose Regionen, die den Besucherstrom in ihre Richtung lenken möchten, sollten zumindest mit etwas Symbolkraft aufwarten. Doch was genau macht einen Ort zum Ziel oder gar zur Attraktion? Sicher: Schönheit und kulturelle Bedeutung schaden nicht. Nun hat aber nicht jede Stadt einen Louvre oder eine Sagrada Família. Und hier kommt der für den Tourismus entscheidende Faktor ins Spiel: die Vorstellungskraft. Oder soll man sagen: Einbildung?

Marketingprofis haben jedenfalls früh verstanden, dass es wurscht ist, ob der Amerikaner wegen Ludwig II., Wagner oder Cinderella nach Neuschwanstein reist. Hauptsache, er bucht zwei Tage Verwöhnpension am Hopfensee und kauft ein Landhausdirndl, eine Kuckucksuhr und ein Smartphone-Cover mit bayerischer Rautenoptik. Was sehenswürdig ist und warum, entscheidet allein der Besucher. Authentizität? Spielt keine Rolle. Kreativität hingegen schon. Wie diese acht Orte zeigen, an denen der Tourismus den Gesetzen des Starkults folgt. Wo die Bedeutung fehlt, wird sie durch Projektion ersetzt. Große Kunst!

Marten Rolff

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Der Balkon der Julia

Blick auf Romeo-und-Julia-Balkon bald gebührenpflichtig

Quelle: Museo di Castelvecchio/dpa

Ist es nicht versöhnlich, dass die Welt weiß, wo die Liebe wohnt? Für alle Fälle: Via Cappello, Verona - in einem Palazzo aus dem Mittelalter mit gotischem Portal, Innenhof und einem berühmten Balkon. Zwei Millionen Menschen fahren jedes Jahr zur "Casa di Giulietta", um da, wo Romeo und Julia ihre Liebe entdeckt haben sollen, sich ein möglichst ewiges Maß davon zu schwören. Sie malen dafür mit wasserfesten Stiften Herzen mit ihren Namen an die alten Mauern, stecken Zettel in Ritzen, hängen Schlösser an Gitter. Die Stadtverwaltung weiß sich kaum gegen die Verunstaltung zu wehren, im Sturm der Romantik geht jede Räson verloren.

Verona ist selber schuld, das Haus Julias ist eine Legende, die man fürs Tourismus-Geschäft üppig fütterte. Der Balkon wurde nachträglich in die Kulisse gebaut, obschon Julia in Shakespeares Tragödie an einem Fenster steht: "O Romeo!" (2. Aufzug, 2. Szene). Ein Balkon ist suggestiver, er fand den Weg über Verfilmungen des Stücks in die vermeintliche Wirklichkeit. Man kann ihn für Hochzeiten mieten, für ein paar Minuten. Der vorerst letzte Umbau des Palazzo fand vor 80 Jahren statt und belud den Kitsch mit noch mehr Kitsch. Zur Freude der Liebenden. O Julia!

Oliver Meiler

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Das Grab von König Artus

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Quelle: mauritius images

König Artus, der mit seinen Rittern der Tafelrunde nach dem Heiligen Gral sucht, bietet Stoff für Hollywood-Blockbuster, Comics, Fantasy-Romane und Videospiele - der edle Held ist eine Art Superman des Mittelalters. Das Grab zum Mythos steht angeblich in der Abtei von Glastonbury, im Südwesten Englands. Auf die Idee, die Sagengestalt mit einer pittoresken Ruhestätte optimal zu vermarkten, kam kein umtriebiger Tourismus-Manager, es waren Mönche im 12. Jahrhundert. Die Geistlichen brauchten dringend Geld, um das Kloster nach einem verheerenden Brand wieder aufzubauen und lockten so vermehrt Pilger an.

Nach der Auflösung der Abtei 1539 blieb von Artus Grab, das nie seines war, nur ein trauriges, eingerahmtes Stück Wiese zurück. Der Anziehungskraft des kargen Grüns hat das nicht geschadet, auch wenn der ein oder andere Besucher aus Enttäuschung angeblich schon kurz davor war, selbst ins Gras zu beißen.

Fabrice Braun

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Die Via Dolorosa

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Quelle: Alessandra Schellnegger

Schmerzen verheißt dieser Weg schon im Namen, doch das hat noch keinen abge-schreckt auf der Via Dolorosa, dem Leidensweg. Im Gegenteil: Tagtäglich ziehen die Pilger in Scharen auf jenem Weg durch die Jerusalemer Altstadt, auf dem einst Jesus sein Kreuz getragen haben soll hinauf nach Golgatha. 14 Stationen mit Stopps zum Beten hat der klassische Kreuzweg, zusätzliche Einkehrmöglichkeiten bieten sich heute zum Beispiel im "Holy Rock Cafe" oder bei all den Souvenirhändlern, die den 700 Meter langen Weg säumen und natürlich die Dornenkrone im Sortiment halten.

Vor der schmerzlichsten aller Erkenntnisse aber werden all die frommen Pilger und Touristen seit Jahrhunderten schon aus purem Geschäftsinteresse geschützt: denn sie laufen auf der Via Dolorosa keineswegs in den Fußstapfen des Herrn. Archäologen haben herausgefunden, dass Jesus auf dem heute geheiligten Weg mit seinem Kreuz mindestens dreimal die damalige Stadtmauer hätte durchqueren müssen. Von einem solchen Wunder allerdings ist nichts überliefert. Immerhin aber steht die Grabeskirche am Endpunkt der Via Dolorosa der Forschung zufolge am richtigen Fleck. Den Pilgern soll das recht sein, aber ihr Glaube versetzt auch Mauern.

Peter Münch

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Draculas Schloss

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Quelle: AFP

Das Gruseligste an Schloss Bran ist der Weg vom Parkplatz zum Kassenhäuschen: 600 000 Rumänienurlauber quetschen sich jedes Jahr durch einen Krämermarkt des Kitsches, vom Vampirgebiss aus Plastik bis zur Blut-Tomatensuppe, so grausam, dass aller Knoblauch der Welt nicht hilft. Bran ist das Horror-Neuschwanstein Siebenbürgens, auch Transsilvanien genannt.

Hier soll Dracula gehaust haben. Dabei gibt es weder eine Verbindung Brans zum historischen Vorbild des Urvampirs, dem grausamen Türken-Pfähler Vlad III. Drăculea, noch hat der Schriftsteller Bram Stoker Transsilvanien jemals besucht. Es waren Ceauşescus Kommunisten, die fanden, dass Bran der Beschreibung des Schlosses im Roman entspräche - und erstmals Reibach damit machten. Innen ist die aufwendig renovierte Residenz unspektakulär, ein Museum, das Objekte der Eigentümerfamilie Habsburg zeigt. Die bietet das Schloss übrigens zum Verkauf an: 60 Millionen Euro für 57 Räume, aber kein einziges Badezimmer.

Jochen Temsch

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Auerbachs Keller

Auerbachs Keller Leipzig - Fasskeller

Quelle: dpa

Mit Goethe wird im deutschen Osten beeindruckend viel kreativer Unfug angerichtet. Eine Kopie seines nach wie vor im Park an der Ilm befindlichen Gartenhauses entstand als Attraktion der Kulturstadt Weimar 1998, steht inzwischen aber im nahen Bad Sulza. In Weimar aber gibt es immer noch das "Goethe"-Kaufhaus mit einer Fassaden-"Christiane", die eigentlich aber Friederike Voß zeigt, eine von Goethe geschätzte Schauspielerin. Ihren Höhe- und zugleich Tiefpunkt hat die Nachlassverwaltung in "Auerbachs Keller" in Leipzig gefunden.

Richtig ist, dass Goethe als Student an ungefährer Stelle getrunken hat, nur, wo trank er nicht? Das Gebäude selbst wurde vor dem Ersten Weltkrieg abgerissen und umgebaut, später mit Mephisto-Quatsch in allen Farben zugerümpelt und zu einer veritablen Systemgastronomie ausgebaut. Mehr als 100 Millionen Gäste hat der arme Keller schon durchlitten, 14 000 Kilo Rotkohl werden pro Jahr geputzt. Es gibt hier natürlich überhaupt keinen echten Literaturbezug mehr - der Gast liest nicht Faust, der liest die Speisekarte.

Cornelius Pollmer

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Die Flamme der Diana

GOLDENE FLAMME LODERT FÜR PRINZESSIN DIANA

Quelle: DPA

Pfeiler 13 des Autotunnels beim Pont de l'Alma in Paris ist kein guter Gedenkort. Daher kommen die Verehrer von Prinzessin Diana zum Platz über dem Tunnel, auf dem eine goldene Flamme emporlodert. Hier legen sie Blumen ab, Fotos und Zeitungsartikel über die frühere britische Kronprinzessin, die am 31. August 1997 gemeinsam mit ihrem Geliebten Dodi Al-Fayed unten im Tunnel tödlich verunglückt ist. Manche machen ein Selfie vor der Flamme, andere verharren still im Gedenken, und vielleicht geht ihnen der Song Candle in the Wind durch den Kopf, den Elton John bei der Beerdigung Dianas sang. "Goodbye England's Rose."

Nun gut, die dreieinhalb Meter hohen Feuerzungen hier in Paris können nicht im Wind flackern, denn sie sind aus vergoldetem Kupfer. Und streng genommen wurden sie auch nicht für Lady Di errichtet, sondern - als Kopie der Flamme der New Yorker Freiheitsstatue - 1989 aufgestellt, um die französisch-amerikanische Freundschaft zu feiern. Doch das schert die vielen Freunde der Prinzessin aus aller Welt nicht. Sie haben die Flamme einfach umgewidmet.

Stefan Ulrich

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Die Heimat des Don Quijote

AFPLIFESTYLE-SPAIN-QUIJOTE-TRAVEL

Quelle: AFP

Hier war es, wo "der schröckliche und unerhörte Kampf des mannhaften Don Quijote" gegen die Riesen stattgefunden hat, die sich aus Angst vor ihm in Windmühlen verwandelten. Die Tourismusämter von gleich drei Städtchen in der öden Region Kastilien-La Mancha werben damit: Campo de Criptana, Consuegra und Mota de Cuervo. Allerdings hat Miguel Cervantes in seinem weltberühmten satirischen Ritterroman gar nicht den Ort genannt, an dem sein Held mitsamt Stute Rosinante von einem Windmühlenflügel durch die Luft gewirbelt wird.

Den Touristen ist das egal, sie lassen sich einfach in jedem der drei Orte an der "Don-Quijote-Route" vor den weiß getünchten Mühlen ablichten. In der "Heimat" des fiktiven Junkers hat man festgestellt: Von je weiter die Gäste kommen, desto unbesehener glauben sie, dass die Geschichte wahr ist, Amerikaner, Australier und Chinesen vorneweg. Da liegt es nahe, dass man ihnen im Städtchen El Toboso, aus dem die vom Ritter verehrte Dulcinea stammen soll, auch "echte" Liebesbriefe von ihm zeigt.

Thomas Urban

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Der Daumenabdruck von August II.

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Quelle: SZ

Käme August der Starke heute über die A4 auf einem goldenen Pferd Richtung Dresden geritten, die Sachsen würden ihn sofort wieder als ihren König anerkennen. Kurfürst von Sachsen, König von Polen, was bitte sollte diesem Mann nicht zuzutrauen sein? Zum Beispiel der Daumenabdruck im Handlauf des Geländers an der Brühlschen Terrasse Richtung Bärenzwinger. Eine Version der Legende besagt, der Kurfürst habe zwischen Staatsakten, ein paar Zukäufen zum künstlerischen Wohle Sachsens und, klar, allerlei Bettgeschichten noch Zeit und Manneskraft übrig gehabt, um auch in der dinglichen Welt bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Diese Version der Geschichte darf insofern als angreifbar eingestuft werden, als das Eisengeländer erst 14 Jahre nach dem Tod Augusts errichtet wurde. Fast noch schöner als diese Geschichte ist die ganz reale Verwirrung, seit Unbekannte ein paar Meter neben dem gefälschten Original eine zweite originalgetreue Fälschung ins Geländer gedrückt haben. Dafür: zwei Daumen!

Cornelius Pollmer

© SZ/sks
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