Touristen in Berlin:"Wir hatten uns viel mehr vorgestellt"

Ausländische Touristen kommen vor allem nach Berlin, um die Mauer zu besichtigen. Die aber ist mittlerweile am besten im Nobelhotel zu sehen.

Fragen von Touristen in Berlin haben häufig direkt mit den Trümmern der beiden deutschen Diktaturen zu tun. "Wo, bitte, geht's zur Mauer?" und "Wo stand Hitler bei der Eröffnung der Spiele 1936?", lauten sie. Die meisten Besucher reagieren auf Antworten von Reiseführern und Einheimischen enttäuscht.

Sie akzeptieren, dass es Hitlers Platz auf der Haupttribüne des Olympiastadions nach der Totalsanierung der Arena einfach nicht mehr gibt. Doch dass ihnen Berlin 20 Jahre nach dem Mauerfall vom geschichtsträchtigen "Denkmal" Mauer nur mehr wenige Überreste zu bieten hat, nehmen Touristen aus aller Welt meist mit Unverständnis, teils sogar verärgert auf.

Der Biologe Kenneth Frick (52) vom Zoo San Francisco mit Familie auf Berlin-Besuch wegen Eisbär Knut, sagt es bei der Besichtigung des Brandenburger Tors drastisch: "Eine gute Mauer-Show könnte jedes Jahr Millionen bringen, der Flughafen Tempelhof ist zu, nur Knut ist noch da, ich weiß nicht, was mit euch hier los ist." Seine Frau Barbara meint dazu: "Wir stellten uns wirklich viel mehr zum Sehen und zum Anfassen vor."

Deutlich in der Minderheit sind Berlin-Besucher, die Verständnis und teils sogar Mitgefühl aufbringen für die kurz nach dem Fall der Mauer 1989 weit verbreitete Haltung der Berliner: Das Ding muss weg und zwar möglichst schnell und komplett, hieß es damals kategorisch.

Der Sprecher der Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM), Christian Tänzler, erklärt das damalige Verhalten heute so: "Es war klar, dass die Menschen, die jahrzehntelang unter der Mauer gelitten haben, nun das Bedürfnis hatten, sich radikal von ihr zu befreien." Jetzt müsse die Balance für ein "nachhaltiges Gedenken" wieder gefunden werden.

Das Luxushotel Westin Grand in der Friedrichstraße hat im Mauer- Gedenkjahr mit Geschäftssinn ein Mauer-Segment in die Lobby gestellt. Wer ein Arrangement bucht, bekommt einen Helm, Hammer und Meißel, und darf sich als "Mauerspecht" Stücke fürs Regal zu Hause abhacken.

Lebensgefahr beim Fotografieren der Mauerreste: Lesen Sie weiter auf der folgenden Seite

"Wir hatten uns viel mehr vorgestellt"

Bernauer Straße: "Bis 2011 soll die Gedenkstelle erweitert und ausgebaut werden", heißt es für die Besucher lapidar. Daneben hängt an einem Gitter an der Bernauer Straße eine Werbung: Taxi-Tour zur Mauer, 60 Euro, 2 Stunden. Hier, wo nach dem Mauerbau Menschen aus Häuserfenstern in den Westen sprangen und einige den Tod fanden, soll die zentrale Gedenkstätte des Senats entstehen. Der politische Streit tobt noch.

Der heutige Anblick in eine Art Niemandsland ist trostlos. Nichts erinnert wirklich an die Mauer, selbst die Graffiti sind überspachtelt, die 40 Meter lange Mauer-Front wirkt wie eine harmlose Hauswand irgendwo in Berlin-Steglitz. Missmutig stapfen die wenigen Touristen vorbei, die die von allen S- und U-Bahnstationen weit abgelegene historische Stätte gefunden haben. Eis und riesige Wasserlachen erlauben kaum einen Blick auf die Stelltafeln.

Die größte am Stück erhalten gebliebene Mauerfläche in Berlin bildet die East Side Gallery. 118 Künstler aus 21 Ländern bemalten die Mauerstücke an der Mühlenstraße in Friedrichshain. Die 1990 eröffnete Gallery ist mehr als 1300 Meter lang. Nachdem der Zahn der Zeit unbarmherzig an den Bildern nagte - weltweit besonders bekannt sind der innige Honecker-Breschnew-Kuss und der Trabi, der durch die Mauer "bricht" - begann im Oktober 2008 die fast 2,5 Millionen Euro teure Sanierung. Für die Touristen aber ist es dort gefährlich. Weil der Gehweg recht schmal ist, springen immer wieder Touristen auf die Fahrbahn und lichten in Sekunden die Gallery-Graffiti unter Lebensgefahr ab.

An den wenigen anderen Plätzen in Berlin, wo Mauer-Reste noch sichtbar sind, drängen sich die Menschen. Über den sechs Mauer-Segmenten am Potsdamer Platz wird die trübe Nebel- und Regensuppe über Berlin aufgehellt durch fast pausenlose Foto-Blitzlichter.

Erste Anziehungspunkte für Millionen von Touristen sind unumstritten Checkpoint Charlie und das Brandenburger Tor. Allein, hier gibt es keinen einzigen Mauerstein. Viele Gäste wünschen sich einen Teil der Mauer zurück. Die Mitarbeiter an den Tresen im "Raum der Stille" und im Souvenirladen auf der anderen Tor-Seite bestätigen, dass täglich oft Menschen nach der Mauer fragen.

Das Foto vom Berlin-Besuch mit einem als Amerikaner oder Russen verkleideten Studenten am Checkpoint Charlie oder vorm Tor ist vielen nur ein schwacher Ersatz. Die Mauer, so der einhellige Wunsch, muss zum Vorzeigen für zu Hause mit drauf. Ein paar farbige oder anders geformte Pflastersteine oder ein im Boden glänzendes Metallband interessieren kaum.

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