Tourismus in Tunesien:Bikinis am Strand, Alkohol in den Hotels

Um die Hoffnungen nach der Revolution nicht zu enttäuschen, muss die Regierung Touristen und Investoren anlocken.

Matthias Kolb und Frederik Obermaier

Das Warten auf die Revolution war kalt und einsam. Stundenlang saß Belgacem Salem vor dem Campement Méhari, einem Zeltdorf in der Sahara. In der Hand das Handy, auf dem Kopf den blauen Eschech der Tuareg hockte er im Sand. Sein Chef hatte ihn hierher geschickt. Aus Angst, das wütende Volk könnte seinen Zorn an den Zelten auslassen, in denen sonst Touristen aus Europa schlafen und dabei für eine Nacht so viel zahlen, wie Salem in einer Woche verdient: 95 Dinar, also etwa 50 Euro.

Die Nachricht aus Sidi Bouzid hatte sich schnell verbreitet. Ob auf Facebook, Twitter oder in den vielen SMS, die Salems Mobiltelefon vibrieren ließen - überall war die Rede von Mohamed Bouazizi, dem 26 Jahre alten Gemüsehändler, der sich mit Benzin übergossen und angezündet hatte. Das war am 17. Dezember 2010, es war der Beginn der tunesischen Revolution und des arabischen Frühlings. 13 Monate sind seither vergangen, der autokratische Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali wurde gestürzt, sein korrupter Clan sitzt im Gefängnis oder ist wie er ins Ausland geflohen. Die Revolution hat in Tunesien gesiegt - doch die Wirtschaft liegt am Boden.

2011 gab es kaum Wachstum, die Auslandsinvestitionen sind eingebrochen und erschwingliche Kredite unerreichbar. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 15 Prozent, tatsächlich ist mindestens jeder Vierte ohne Job, schätzen Experten. Um es endlich besser zu haben, waren die Tunesier vor einem Jahr auf die Straße gegangen. Dafür war Mohamed Bouazizi gestorben - und dafür hatten sie protestiert. Sie hatten sich vom Tränengas der Polizei nicht aufhalten lassen, auch nicht von den Knüppeln, nicht von den Schüssen. "Dégage, dégage", schrien sie: "Hau ab, hau ab!" Ben Ali, der seit 1987 herrschte und dessen Bild in allen Büros hängen musste, sollte abtreten. Er, so empfanden es viele der zehn Millionen Tunesier, war schuld an ihrer Misere. Der Diktator präsentierte eine heile Welt, doch gerade im Landesinneren, wo auch Bouazizi wohnte, kämpften die Menschen ums Überleben.

Jeder dritte Job hängt vom Tourismus ab

Salem zum Beispiel hat zwei Brüder und zwei Schwestern, keiner von ihnen hat einen festen Job. "Ich bin ein Mann der Wüste", sagt er selbst. Doch von der Wüste allein konnte er auch nicht leben. Eine Lehre hatte er nie gemacht, an ein Studium nicht einmal gedacht. Es würde ihm ohnehin nur wenig helfen: Von den jährlich 80.000 Uni-Absolventen finden nur die wenigsten einen Job, mit dem sie sich eine Wohnung leisten, eine Hochzeit finanzieren, eine Familie ernähren könnten. Das war vor der Revolution so, und es ist heute nicht anders. Salem blieben nur zwei Möglichkeiten: in den Phosphatminen von Gafsa anheuern oder in einem Touristencamp. Knochenarbeit oder Handlangerjob, früh sterben oder wenig verdienen. Die Entscheidung war leicht.

Jeder dritte Job in Tunesien hängt vom Tourismus ab. Den wenigen Westlern, die noch ins Landesinnere kommen, hilft Salem jetzt, sich wie Abenteurer zu fühlen. Er macht für sie Lagerfeuer, fängt Skorpione, setzt sie den ganz Mutigen auf die Hand. Für einen Tuareg ein Witz, "aber es ist ein Job".

Schaulustige streifen durch die Ruinen

Vor der Wahl im Oktober überboten sich die Parteien mit Versprechungen. Der Sieger, die islamische Ennahda, kündigte an, 590.000 Jobs zu schaffen und vor allem die Korruption zu bekämpfen. Ohne Schmiergeld kam man im Tunesien Ben Alis nicht weit. Der Diktator selbst hielt stets die Hand auf: In einem seiner Paläste, versteckt hinter einer Bücherwand, entdeckte die Polizei später den "Schatz des Ali Baba", wie die Einheimischen den Fund nennen: haufenweise Schmuck, Euro-Bündel und Dollar-Pakete. Fast 50 Schiffe und mehr als 30 Autos des Diktators wurden beschlagnahmt. Das Land hatten Ben Ali und seine Frau Leila Trabelsi aufgeteilt: Die Region um Tunis war die Basis der "Diebe von Karthago", wie das Volk die elf Trabelsi-Geschwister nannte. Die Küste und das Landesinnere gehörte den Ben Alis.

Der Badeort Hammamet etwa war das Revier seines Neffen Sofiene. Direkt am Strand, nicht weit von den Bettenburgen, steht sein Palast. Früher jagten Bodyguards neugierige Spaziergänger davon, heute liegt das Panzerglas der Wohnzimmerscheibe auf dem Marmorboden. Schaulustige streifen durch die ausgebrannte Ruine. "Die Leute wollen selbst sehen, wie diese Mafia das Land geplündert hat", sagt einer.

Die beiden Herrscherclans waren an 300 Unternehmen beteiligt. Nur an Branchen wie der Landwirtschaft hatten sie kein Interesse. Die Clans suchten den schnellen Gewinn.

Der größte Arbeitgeber Tunesiens kommt aus Franken

Der fränkische Autozulieferer Leoni kam bereits 1977 nach Tunesien. Europa war nah, die Arbeiter waren gut ausgebildet und die Löhne niedrig. Ein verlockendes Geschäft, zumal ausländische Investoren von der Steuer befreit sind. Mittlerweile betreibt Leoni vier Fabriken in Tunesien, eine fünfte wollte Ben Ali den Leoni-Chefs in Sidi Bouzid schmackhaft machen. Doch die Revolution kam dazwischen. Auch so ist Leoni der größte Arbeitgeber des Landes, 14.000 Tunesier beschäftigt das Unternehmen, 7400 allein in der Hafenstadt Sousse. In den weiß getünchten Fabrikhallen werden mit schnellen Handgriffen Kabel zerschnitten, verdrahtet, geklebt und gelötet. Es sind Bordnetz-Systeme für Europas Autos, die hier entstehen. Wird in Sousse geschlampt, versagen womöglich bei einem Mercedes oder BMW die Bremsen. Gearbeitet wird rund um die Uhr in Acht-Stunden-Schichten, jeweils mit 20 Minuten-Pausen. Wer krank ist, bekommt keinen Lohn.

Die 30-jährige Hanen Mbarki steht trotzdem gerne in der Werkhalle. Die zierliche Frau spricht leise und arbeitet währenddessen weiter. Jede verlorene Sekunde kostet Geld. Eigentlich würde sie am liebsten bei den beiden Kindern bleiben, doch ein Gehalt allein reicht nicht. "Ich verdiene 200 Euro im Monat, mein Mann 300." Mbarki hatte gehofft, dass sich das nach der Revolution ändert - wie so viele bei Leoni. Deshalb hatten sie sich auch geweigert, weiterzuarbeiten, als sie von Ben Alis Flucht hörten. Die Revolution hatte gesiegt, und jetzt wollten auch sie ihren Anteil. Drei Stunden lang diskutierten sie mit dem Werkschef, am Ende wurden die Löhne um zehn Prozent erhöht, die Produktion ging weiter.

Interesse der Investoren wächst wieder

Die Chefs in Franken waren trotzdem zufrieden. Sie haben große Pläne in Tunesien. Das Hauptwerk in Sousse wird derzeit ausgebaut. Auch Standorte im Landesinneren seien denkbar, so wie sie einst Ben Ali gewünscht hatte, sagt ein Leoni-Sprecher. Es ist eine der wenigen guten Nachrichten für Tunesien, doch sie hat einen Haken: Die Leoni-Chefs haben angekündigt, Teile der Produktion nach Osteuropa zu verlagern, sollten die Löhne in Nordafrika weiter steigen.

Trotz der Revolution, der Straßenschlachten, der Toten hat kaum eine der 280 deutschen Firmen das Land verlassen. Seit Ben Ali weg ist und die neue Regierung eingeschworen, wächst das Interesse wieder. Weitere Investitionen erscheinen denkbar - obwohl die Proteste zum Jahrestag von Ben Alis Flucht wieder aufflackerten, wieder Demonstranten starben. Die Desertec-Initiative etwa möchte in Tunesien ein Solarkraftwerk bauen. Andere Investoren hoffen auf Anteile der ehemaligen Ben-Ali- und Trabelsi-Firmen, die schon bald versteigert werden sollen. Tunesien könnte für westliche Firmen auch zum Tor für den Wiederaufbau des zerstörten Libyen werden, denn seit der Nachbar fast eine Million Flüchtlinge versorgte, ist die tunesische Flagge in Tripolis gern gesehen.

Um die Hoffnungen ihrer Wähler nicht zu enttäuschen, muss die neue Koalitionsregierung von Ministerpräsident Hamadi Jebali jetzt Investoren anlocken. Jebali setzt dabei auf die Expertise seines Beraters Ridha Saidi. Wer den Ennahda-Politiker in der Parteizentrale treffen will, muss sich durch eine überfüllte Eingangshalle in den grauen Zweckbau drängen. Funktionäre, Freiwillige und Bürger hasten an einem Plakat vorbei, auf dem Ennahdas Ziele stehen: "Freiheit, Gerechtigkeit, Entwicklung". Im ruckeligen Aufzug geht es in den fünften Stock, wo Saidi in einen Konferenzsaal bittet. Dem 49-Jährigen ist nicht anzusehen, dass er unter Ben Ali 16 Jahre inhaftiert war, mehrfach in Hungerstreik trat und erst 2007 freigelassen wurde.

Helfer servieren Gebäck und Limonade, während Saidi eine Liste mit Projekten präsentiert: Der Bankensektor müsse reformiert sowie IT-Firmen und Dienstleistungen gefördert werden. An den Anreizen für Investoren ändere sich nichts und "deutsches Know-how ist stets willkommen", schmeichelt Saidi. Die EU hat mittlerweile eine privilegierte Partnerschaft in Aussicht gestellt.

Hoffnung auf mehr Individualtouristen und Gäste aus der Golf-Region

Saidi hofft nun, dass die Touristen zurückkehren. Deshalb werde weder den Hoteliers der Ausschank von Alkohol noch Europäerinnen der Bikini verboten. Mittelfristig sollen jedoch mehr Individualtouristen sowie Gäste aus der Golf-Region nach Tunesien kommen. Einen Werbeslogan haben sich Saidis Parteikollegen schon überlegt: "Bräunen Sie sich auf demokratische Art."

Auf der Ferieninsel Djerba, wo sich die Deutschen bereits in den siebziger Jahren sonnten, bräunt nur der Rasen vor den verwaisten Hotels. Die Tunesier haben zwar Freiheit gewonnen, aber viele Touristen verloren. Noch warten die Verantwortlichen auf die offiziellen Zahlen für 2011. Aber nur Optimisten glauben, dass die Vier-Millionen-Marke überschritten wird. 2010 waren es noch 6,9 Millionen. "Als wir noch eine Diktatur waren, kamen die Leute, jetzt sind wir eine Demokratie und wer kommt? Niemand!", sagt der Manager des Hasdrubal Prestige, Mohamed Ali Jlaiel.

Eine Woche Djerba gibt es im Internet nun für 199 Euro. "Das rentiert sich für niemanden mehr", sagt Jlaiel. Ben Ali habe die Billigtouristen ins Land geholt, die ihr Geld für Plastiksouvenirs ausgeben und schnell wieder abfliegen sollten. "Er hat uns verramscht", schimpft Jlaiel. Gerade für Fünf-Sterne-Hotels wie das Hasdrubal Prestige mit seinen 280 Angestellten ist die Lage fatal. Von 210 Zimmern sind heute nur sieben belegt, sagt der Hoteldirektor. "Das ist der Dank für die Demokratie."

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