Tourismus in Sizilien:Vorsicht, Mafia verdient mit!

Die sizilianische Bürgerinitiative Addiopizzo kämpft gegen das Schutzgeld - ein Gespräch darüber, wie auch Urlauber unwissentlich das Geld der Mafia waschen und was sie dagegen tun können.

Katja Schnitzler

Die sizilianische Bürgerbewegung "Addiopizzo" (Tschüss Schutzgeld) macht sich seit ihrer Gründung 2004 einen Namen im Kampf gegen die Mafia. Unternehmen und Ladenbesitzer, die sich weigern, Abgaben an die Cosa Nostra zu zahlen, machen dies über Addiopizzo demonstrativ bekannt - und zählen auf den Schutz der Öffentlichkeit. Nun bringt die Initiative einen kostenlosen Stadtplan von Palermo speziell für deutsche Touristen auf den Markt. Darin sind alle Geschäfte eingezeichnet, die kein Schutzgeld an die Mafia zahlen.

Italien Sizilien Mafia Tourismus, Reuters

Mit solchen Aufklebern zeigen Hotels, Restaurants und Geschäfte, dass sie kein Schutzgeld an die Mafia bezahlen.

(Foto: Foto: Reuters)

Ein Gespräch mit Gründungsmitglied Edoardo Zaffuto, der inzwischen auch "mafiafreie" Reisen anbietet, über die Macht der Öffentlichkeit und darüber, wie Touristen unwissentlich das Geld der Mafia waschen.

sueddeutsche.de: Wenn ich ein Glas Wein in einem Restaurant in Palermo bestelle, zahle ich dann an die Mafia?

Edoardo Zaffuto: Wahrscheinlich. In Palermo zahlen noch immer 80 Prozent der Ladeninhaber Pizzo, also Schutzgeld. Damit finanziert der Käufer indirekt die Cosa Nostra, denn die Kosten für das Schutzgeld werden den Konsumenten aufgebürdet.

sueddeutsche.de: Also unterstützen auch deutsche Touristen die Mafia, ohne es zu wissen?

Zaffuto: Der Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen in Sizilien und Deutsche reisen gerne hierher. Wenn sie keine Vorschläge für die Wahl eines "sauberen" Hotels oder Restaurants bekommen, geben sie ihr Geld vielleicht dort aus, wo Schutzgeld gezahlt wird. Oder noch schlimmer, sie steigen in einem Hotel ab oder besuchen ein Restaurant, dessen Besitzer ein Mafioso ist und das zur Geldwäsche dient.

sueddeutsche.de: Wie können Touristen für das Mafia-Problem auf Sizilien sensibilisiert werden?

Zaffuto: Die heutigen Urlauber, besonders deutsche, sind aufgeschlossen für verantwortungsvolles Reisen, etwa für "grünen Tourismus".

Wir führen auf Sizilien den ethischen Wert "mafiafrei" ein: Selbst wer nur ein Wochenende auf Sizilien verbringt, kann den Kampf gegen die Cosa Nostra unterstützen, indem er bei Unternehmen bucht und Restaurants besucht, die kein Schutzgeld zahlen. Die Urlauber müssen verstehen, dass eine mafiafreie Gesellschaft nicht nur für Sizilien oder Italien immens wichtig ist, sondern für ganz Europa. Und spätestens seit den Mafiamorden in Duisburg wissen die Deutschen, dass die Mafia auch in ihrem Land aktiv ist. Also sollten alle daran interessiert sein, die Mafia dort zu bekämpfen, wo sie verwurzelt ist.

Das Ende der Cosa Nostra

sueddeutsche.de: Seit 2004 leistet die Gruppe "Addiopizzo" der Cosa Nostra auf Sizilien Widerstand. Nimmt das die Mafia einfach so hin?

Europa Italien Sizilien Mafia Palermo, iStock

Über den Dächern von Palermo

(Foto: Foto: iStock)

Zaffuto: Viele Menschen weigern sich inzwischen, zu zahlen - und werden dabei von Konsumenten unterstützt. Dazu kommt die weltweite öffentliche Aufmerksamkeit. Die Mafia kann nicht mehr wie früher einzelne rebellische Ladenbesitzer einfach umbringen. Wenn sie jetzt einen von uns anrühren würde, wäre die Resonanz gewaltig. Es hätte einen Bumerangeffekt für die Mafia.

sueddeutsche.de: Kam das schon einmal vor?

Zaffuto: Im Jahr 2006 hat die Mafia einen Brandanschlag auf einen Addiopizzo-Laden verübt. Die Reaktion der sizilianischen Gesellschaft als auch der Medien war stark und geschlossen, so dass die Strafaktion nicht den gewünschten Effekt für die Mafia hatte. Es ist nicht unser Ziel, von der Mafia akzeptiert zu werden. Wir wollen unser Engagement verstärken, bis die Mafia in Palermo nicht mehr die Macht hat, Schutzgeld zu verlangen - was nicht nur das Ende der Kontrolle über dieses Gebiet bedeuten würde, sondern das Ende der Cosa Nostra selbst.

sueddeutsche.de: Hat die Mafia Sie schon einmal persönlich bedroht?

Zaffuto: Uns Addiopizzo-Aktivisten zum Glück nicht. Die Ladenbesitzer und Unternehmer riskieren mehr, aber sie werden von unserem Netzwerk geschützt. Bislang war nur der eine Laden betroffen, auf den die Mafia den Brandanschlag verübt hatte. Aber wenige Monate danach konnte der Eigentümer sein Geschäft in einem größeren Warenhaus wiedereröffnen, das er als Mafiaopfer nach einer Unterstützungsaktion von Addiopizzo kostenlos erhalten hatte.

sueddeutsche.de: Was geschieht mit einem Unternehmer, der allein ist und sich weigert, Pizzo zu zahlen?

Zaffuto: Er riskiert eine Menge, in der Regel zumindest sein Geschäft, aber manchmal auch sein Leben. Meistens werden Zahlungsunwillige nach zahlreichen Schutzgeldforderungen mit Drohungen unter Druck gesetzt. Das Beste, das ein Geschäftsmann nach einer Schutzgeldforderung für seine Sicherheit tun kann, ist, den Erpresser bei der Polizei anzuzeigen und sich Addiopizzo anzuschließen. So zeigt er, dass er keine Angst hat.

sueddeutsche.de: Wie hoch ist das Schutzgeld?

Zaffuto: Nicht extrem hoch, denn die Höhe hängt vom Ertrag jedes Ladens und jeder Firma ab: Je mehr man verdient, desto mehr zahlt man, wie bei der Steuer. Die Mafia will schließlich nicht so viel verlangen, dass der Eigentümer das Schutzgeld nicht aufbringen kann und möglicherweise den Laden schließen muss oder sich doch gezwungen sieht, zur Polizei zu gehen. Das Ziel ist, ein Opfer zu melken, das sich still verhält.

Die junge Generation wehrt sich gegen Pizzo

Tourismus in Sizilien: Edoardo Zaffuto

Edoardo Zaffuto

(Foto: Foto: oh)

Der Bäcker in der Nachbarschaft zahlt vielleicht 150 bis 200 Euro im Monat, ein einfacher Kleiderladen etwa 250 Euro und ein Einkaufszentrum 2000 bis 5000 Euro. Aber es geht nicht nur um diese Beträge, Pizzo richtet einen viel größeren Schaden an: Es behindert Investitionen und das Wirtschaftswachstum in Sizilien und entmutigt Unternehmer.

sueddeutsche.de: Wie viele Betriebe weigern sich derzeit, Schutzgeld zu zahlen?

Zaffuto: Unsere "Pizzo-free-Liste" führt derzeit 415 Läden und Unternehmen auf. Das ist beachtlich, in früheren Jahren wäre es nicht einmal vorstellbar gewesen, dass so viele mutige Menschen zusammenstehen. Andererseits ist es noch ein sehr kleiner Teil im Vergleich zu den Tausenden Betrieben, die immer noch Pizzo zahlen - aber die Zahl der Verweigerer wächst und wächst. Anfangs war es sehr schwer, die ersten hundert Unternehmen für die Liste zu gewinnen. Mittlerweile wollen die Ladenbesitzer von sich aus zu Addiopizzo, weil sie auf uns vertrauen, auf die Polizei und die Anti-Mafia-Urteile. Nur den Politikern trauen sie immer noch nicht.

sueddeutsche.de: Und wie sieht es speziell im Tourismus aus?

Zaffuto: Hier ist ebenfalls erst eine kleine Zahl von Hotels und Restaurants schutzgeldfrei gemeldet, aber wir sind sicher, dass das Addiopizzo-Reiseprojekt einen weiteren Grund liefert, sich gegen Pizzo zu wehren.

sueddeutsche.de: Was hat Ihre Initiative in Sizilien verändert?

Zaffuto: Eine Menge, aber noch nicht genug. Vor Addiopizzo zahlte jeder in Palermo und niemand wagte, die Erpresser anzuzeigen oder überhaupt darüber zu sprechen. Jetzt haben die Bürger eingesehen, dass Pizzo ein Problem ist, in das alle verwickelt sind, auch die Konsumenten. Dank dem Mut einiger Ladenbesitzer und Unternehmen sind etliche Gangster und ihre Bosse verhaftet und verurteilt worden. Das zeigte, dass Widerstand mit der Unterstützung der Gesellschaft möglich ist. Es ist auch eine kulturelle Revolution: Noch vor sechs Jahren wurde Pizzo fast als normale Steuer empfunden, der man nicht entgehen konnte. Jetzt weigert sich die junge Generation, das Schutzgeld von den Eltern zu erben.

sueddeutsche.de: Haben Sie nicht manchmal Angst?

Zaffuto: Nein, ich fühle mich sicher wegen unserer zahlenmäßigen Stärke. Wir sind nicht allein und werden von allen Seiten unterstützt, sogar aus dem Ausland. Ich bin eher enthusiastisch als ängstlich: Wir leisten nicht Widerstand, wir greifen an!

Stadtplan von Palermo mit "pizzo-freien" Geschäften

Edoardo Zaffuto, 34, ist in Palermo geboren und lebt dort. Er hat ein Diplom in Moderner Literatur und arbeitet als Reiseführer für einen amerikanischen Veranstalter. Seit der Gründung der Organisation "Comitato Addiopizzo" gegen Schutzgeld ist er gegen die Mafia aktiv. Gemeinsam mit zwei anderen Mitgliedern hat Zaffuto im November 2009 das Projekt "Addiopizzo Travel" (www.addiopizzotravel.it) initiiert: Hier dürfen sich nur Hotels und Restaurants beteiligen, die kein Schutzgeld an die Mafia zahlen. Die Touren kann jeder buchen, doch werden auch spezielle Veranstaltungen für italienische Schüler und Studenten angeboten, um ihnen die Auswirkungen des Pizzo auf die sizilianische Gesellschaft bewusst zu machen.

Speziell für deutsche Touristen veröffentlicht Addiopizzo am 21. Januar kostenlose Stadtpläne von Palermo, in denen alle Geschäfte eingezeichnet sind, die sich verpflichtet haben, kein Schutzgeld zu zahlen. Das Projekt der Bürgerinitiative steht unter der Schirmherrschaft der Deutschen Botschaft, die die Stadtpläne auch an deutsche Veranstaltern und Reisebuchverlage vermittelt hat. Die Pläne sind in den wichtigsten Informationszentren sowie in Hotels und Geschäften erhältlich und können auf den Webseiten www.addiopizzo.orgund www.addiopizzotravel.it heruntergeladen werden.

Interessierte Touristen können auch ehemalige Mafia-Ländereien besichtigen, die beschlagnahmt wurden und nun von gemeinnützigen Kooperativen bewirtschaftet werden (www.liberaterra.it).

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