Tourismus in den Alpen:Auf in eine neue Wildnis

-

Futuristisch: das 2013 eröffnete Refuge du Goûter (3835 m) am Mont Blanc.

(Foto: Jean Pierre Clatot/AFP)

Mit Millionen Touristen ist der Alpenraum eine der wichtigsten Urlaubsregionen weltweit. Wie wird sich der Fremdenverkehr künftig entwickeln? Wir haben fünf Experten um eine Einschätzung gebeten.

Protokolle: Dominik Prantl

Im gesamten Alpenraum liegen die Übernachtungszahlen Schätzungen von Wissenschaftlern zufolge pro Jahr bei 300 bis 400 Millionen. Dennoch kann das größte Gebirge Mitteleuropas mit den enormen Wachstumsraten des globalen Tourismus längst nicht mehr mithalten. Was bedeutet diese Stagnation? Geht der Trend zum Funpark Alpen oder doch eher zu einem naturnahen Tourismus? Steht dem Fremdenverkehr in den Bergen demnächst möglicherweise ein grundsätzlicher Wandel bevor? Profis geben Antworten.

Der Umweltschützer

"Es sind mehrere gegenläufige Entwicklungen auszumachen, die sich künftig noch verstärken werden. Die erste entscheidende Rahmenbedingung betrifft den Winter. Tätigkeiten, für die Schnee nötig ist, werden durch die globale Erwärmung zurückgedrängt. Natürlich wird in 50 Jahren in den Alpen noch Ski gefahren werden, jedoch deutlich weniger als heute. Das hat auch mit dem demografischen Wandel in Mitteleuropa - deutlich mehr ältere und mehr Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund - zu tun. Für die Umwelt ist das generell eher positiv, weil dadurch weniger landschaftszerstörende Skilifte, Pisten und Schneekanonen gebraucht werden.

Der verschärfte Konkurrenzkampf führt im Skigebietstourismus in mittlerer Zukunft zu Verhältnissen, wie sie jetzt schon in Nordamerika herrschen: weniger Masse, mehr Luxus, den sich nur noch wenige leisten. Wenn Skifahren nur noch eine Frage des Geldes ist, könnte beispielsweise auch Dubai künftig Olympiasieger stellen.

Ein weiterer Trend ist jener zum Kurzurlaub durch die zunehmende Mobilität. Generell zeigen die Urlauber künftig einen noch stärkeren Hang zur Multioptionalität, also dazu, möglichst viele Aktivitäten in sehr kurzer Zeit unterzubringen. Zwischen Naturbewunderung und Heliskiing sozusagen. Also zum Beispiel am Vormittag auf die Piste, am Nachmittag eine Naturexkursion und am Abend Wellness. Generell steigt aber das Bedürfnis nach naturnahen Angeboten, von der Bioküche über den Natursport bis zum Nationalpark.

Wenn wir auf die Hotellerie blicken, ist zu erwarten, dass kleine Gast- und Familienbetriebe weiter zurückgehen, auch deshalb, weil viele Nachfolgegenerationen die Betriebe ihrer Eltern nicht mehr übernehmen möchten. Dieser Strukturwandel ist bereits im Gange - mit dem Trend zu immer größeren Hotels. Differenzierung ist also angesagt. Die Zukunft gehört einer spezialisierten Hotellerie, die auf spezielle Angebote etwa für Familien oder ,Goldenager' zugeschnitten ist, und einem naturnahen Tourismus mit deutlich höherer Sensibilisierung der Gäste. Einer Konzentration des Tourismus auf die alpinen Zentren steht aber auch die Abwanderung in vielen anderen Gebieten gegenüber, zum Beispiel in den Süd- und Westalpen. Dadurch wird die charakteristische alpine Kulturlandschaft teilweise verschwinden - zugunsten einer neuen Wildnis."

Dominik Siegrist ist Präsident der internationalen Alpenschutzkommission CIPRA.

Die Seilbahn-Chefin

"Auch wenn uns Unternehmern in Osttirol und im Zillertal schon oft eine schwarze Zukunft gezeichnet wurde, so glaube ich doch, dass die Berge durchaus gute Chancen haben. Alleine schon deshalb, weil die Alpen ein super Pendant zur heutigen Schnelllebigkeit bedeuten.

Tourismus in den Alpen: Lenggries, Brauneck / Beschneiung, Schneekanone /

Lenggries, Brauneck / Beschneiung, Schneekanone /

(Foto: Hartmut Pöstges)

Allerdings müssen wir auch sehen, dass der Kuchen nicht größer wird. Bei uns in Österreich stehen weitere Skigebiets-Erschließungen kaum zur Debatte. Allerdings werden der internationale Wettbewerb und die Nachfrage der Kunden nach noch mehr Service technologische Weiterentwicklungen im Bereich der Beförderungsanlagen nötig machen. Dazu zähle ich auch Skigebietszusammenschlüsse, wie sie zuletzt bei uns in Tirol oder in Vorarlberg vorgenommen wurden. Zudem wird der demografische Wandel mit beispielsweise mehr alten Menschen diese Verbesserung bei den Aufstiegshilfen erfordern.

Auch wenn der Klimawandel derzeit in aller Munde ist, gehe ich nicht davon aus, dass die größeren Seilbahnunternehmen in den nächsten ein, zwei Generationen besonders stark betroffen sind. Allerdings wird die Dienstleistung noch wichtiger werden - und die Nachfrage der Menschen nach Themen wie regionaler Küche, Energieeffizienz und natürlicher Umgebung im Urlaub weiter steigen. In Bereichen wie Mobilität und Energie sehe ich die öffentliche Hand und die Kommunen in der Pflicht, vor allem für An- und Abreise der Touristen neue Lösungen bereitzustellen."

Martha Schultz leitet zusammen mit ihrem Bruder Heinrich die Schultz Gruppe, den größten privaten Seilbahnbetreiber in Österreich.

Der Bergsteiger

"Wir wissen doch heute schon, dass sich der Wintertourismus künftig in die Bereiche oberhalb von 1800 Meter verlagern wird. Einen Skitourismus in der derzeitigen Form wird es also schon bald nicht mehr geben. Schon jetzt haben wir im Zillertal, meiner Heimat, rückläufige Gästezahlen, weil wir nicht hoch genug liegen. Zudem wird das Bereitstellen der Infrastruktur für das Skifahren künftig durch die zwangsläufige stärkere Beschneiung noch schwieriger werden - und durch den größeren Bedarf an Wasser und Energie in der nahen Zukunft noch teurer. Auch wenn uns einige Touristiker weismachen wollen, dass es ewig so weitergeht: Es mit aller Gewalt zu probieren, bringt nichts. Wir verkraften nicht immer noch mehr. Lift- und Spaßanlagen haben wir genug.

Ich glaube, dass man sich in der Zukunft breitbeiniger aufstellen muss, vor allem was die Winteraktivitäten betrifft. Das Motto ,schneller, höher, weiter' hat sich überlebt. Nur auf die Masse zu setzen, wird in die Hose gehen.

Mein Wunsch wäre daher, dass sich der Tourismus künftig von den Liften und Seilbahnen weg und stärker in die Natur verlagert. Sie ist ein Heilmittel, erfordert eine gewisse Disziplin. Da denke ich als Alpinist keineswegs nur an die hohen Berge, sondern auch an Täler und Wanderregionen. Wir sollten das Rad nicht ständig weiterdrehen."

Peter Habeler, staatlich geprüfter Ski- und Bergführer, ist einer der bekanntesten Alpinisten Österreichs und war Professor für Alpinismus an der Universität Innsbruck.

Die Gastgeberin

"Statt starker Erschließung wird in der Zukunft des Alpentourismus die Natur wieder eine größere Rolle spielen. Diese Rückbesinnung kann ich jetzt schon bei unserem ,Wunderwanderweg' erkennen, wenn wir eigenes Brot backen oder unser eigenes Kräutersalz herstellen - auch wenn manche Leute dabei anfangs skeptisch sind. Man muss deshalb die Technologie nicht aussperren. Die Stationen unseres Wanderwegs sind mit einem QR-Code ausgestattet, mit dessen Hilfe die Informationen per Smartphone abrufbar sind.

Meine Vision wäre, dass wir über das ganze Jahr so viel zu bieten haben, dass all unsere Wintergäste auch im Sommer kommen. Bislang findet das nur in kleinem Umfang statt, und auch in näherer Zukunft wird der Winter die Haupteinnahmequelle bleiben. Künftig dürfte es aber noch wichtiger werden, das Sommerangebot auszubauen. Mit unserem ,Wunderwanderweg' sind wir rechtzeitig auf einen Trend aufgesprungen - und es gibt immer mehr, die uns nachahmen.

Hundertprozentig sicher bin ich mir, dass Angebote in der Natur noch mehr nachgefragt werden. Unsere Aufgabe ist es, die Gäste und Einheimischen noch stärker zu informieren. Ich merke schon jetzt, dass in den Betrieben eine noch stärkere Flexibilität von den Gastgebern gefordert wird, allein durch die kürzeren Aufenthalte der Urlauber. Ich plädiere daher für ein noch stärkeres Verzahnen - zum Beispiel von Betrieben und dem Ort. Große Projekte lassen sich ohnehin nur noch in der Gemeinschaft realisieren. Aber auch bei kleineren Projekten werden Kooperationen immer wichtiger. Ich hoffe, dass wir in Zukunft noch besser zusammenarbeiten."

Tanja Senn betreibt in St. Anton die Sennhütte im Skigebiet am Arlberg und ist Initiatorin des "Wunderwanderweges".

Der Berater

"Zuerst einmal muss man generelle Probleme des Alpenraums wie Preisdumping oder die Verstädterung auf der einen Seite und die Entsiedelung mancher Räume auf der anderen Seite sehen. Diese Probleme in den Griff zu bekommen, ist die Grundlage für den Alpentourismus der Zukunft. Aus Marketingsicht ist der größte Hemmschuh die gemeinsame, länderübergreifende, strategische Vermarktung. Denn die Alpen müssen sich als Destination künftig stärker gegen internationale Konkurrenz wie den Kaukasus und Kanada durchsetzen.

Geht man ins Detail, so sind jene Flächen zu optimieren, die touristisch schon besetzt sind. Zu dieser Optimierung zählt für mich auch, die Alpen mit mehr Sex-Appeal für junge Leute auszustatten. Das Explorer-Hotel in Oberstdorf geht als erstes zertifiziertes Passiv-Hotel in diese Richtung. Ein nachhaltiges Hotel für eine junge Zielgruppe ist meiner Meinung nach der richtige Weg. Überhaupt wird das Thema Architektur an Bedeutung gewinnen. In Vorarlberg wird das mit dem Angebot ,Architektouren' schon beispielhaft - und ohne Jodelbarock - umgesetzt. Auch das Hotel Waldklause im Ötztal sehe ich positiv: nachhaltig, innovativ, modern.

Beispiele wie Werfenweng zeigen, dass sich neue Mobilitätskonzepte durchaus rechnen und zukunftsfähig sind. Werfenweng hat es geschafft, den Menschen die Angst zu nehmen, ohne Auto in den Urlaub zu fahren. Der Ort erhöhte den Anteil der Bahnreisenden von neun auf 25 Prozent - und die eigenen Übernachtungszahlen seit 1998 um 75 Prozent. Was die Kohlenstoffdioxid-Kompensation betrifft, könnte ich mir gut vorstellen, dass künftig Tourismusverbände und Hotels über den Einsatz von CO₂-Kalkulatoren Gästen die Möglichkeit bieten, ihre An- und Abreise klimaneutral zu stellen, wie das Arosa in der Schweiz bereits vorgemacht hat.

Ich finde es völlig okay, wenn sich große Freizeitanlagen an bestimmten Stellen konzentrieren. Andererseits sind Bauernhofverbände wie der Rote Hahn in Südtirol oder die Marke Tiroler Wirtshaus geradezu wegweisend, um bäuerliche Betriebe und Wirtshauskultur als Elemente alpiner Lebensart zu erhalten. Überhaupt wird das Thema Kooperationen an Bedeutung gewinnen. Das Prinzip des Roten Hahns könnte man sogar auf die gesamten Alpen übertragen, eine Art ,Marke Alpen'. Damit ließen sich die Vorteile der Alpen wie die kurzen Anfahrtswege oder der Gesundheitsaspekt national wie international besser vermarkten - und sich diese Region auch besser als Ganzjahresdestination verkaufen. Denn die Fokussierung auf den Winter ist ein gravierender Fehler."

Peter Zimmer ist Geschäftsführer der Tourismusberatung Futour Wenzel Consulting GmbH in Hamburg.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: