Tourismus in Bibione:Schirm, Charme und Bibione

So schön war es noch nie: Ein Bildband inszeniert den Badeort an der Adriaküste als Sommermärchen. Touristenmassen und Hotelbunker kommen hier nicht vor.

Harald Hordych

Wie man Wasser in Wein verwandeln kann - zumindest die grobe Vorgehensweise -, ist in der Bibel nachzulesen. Eine solche Erweiterung ihrer ohnehin großen organisatorischen Fähigkeiten auf dem Gebiet des Tourismus könnte den Bewohnern der italienischen Adria ungeahnte Einkunftsmöglichkeiten eröffnen, man stelle sich nur das Mittelmeer als Weißweinwanne vor. Das Schwimmen würde schwieriger. Das Feiern erheblich leichter.

Wie die Technik dieser Veredelung eines nützlichen, aber farb- und geruchslosen Stoffes in eine hochwertigere Substanz gelingen kann, ohne dabei religiöse Fähigkeiten ausbilden zu müssen, zeigt der Bildband "Bibione - Le Stagioni, The Seasons, Die Jahreszeiten. 1956 - 2006".

Ein prächtig mit goldener Schutzhülle veredeltes Werk ist das, hergestellt aus Anlass des 1956 erbauten ersten Hotels in der zehn Kilometer langen Sandbucht von Bibione.

Ein Geschenk an Bibione

Der Tourismusverband Östliches Venetien hat Bibione dieses Geschenk gemacht. Daher wohl ist dieses schöne Buch nur in Bibione und zwar in der Buchhandlung Libreria Punte e Virgola, Corso del Sole 167, für 18 Euro käuflich zu erwerben.

Dass diese Weltgegend ein jahrhundertaltes Zentrum für den Handel darstellt, ist diesem in 50 Jahren aus dem Sandboden gestampften Touristenmagnet wirklich nicht leicht anzumerken.

Bibione ist unter den bekannten Badeorten an der nördlichen Adria-Küste, die sich von Venedig in Richtung Osten aneinanderreihen, einer der jüngsten und in seiner Hinwendung zum Massentourismus - neben dem nicht minder bekannten Jesolo - sicherlich der konsequenteste.

Caorle, Grado und selbst das in Sachen mehrgeschossiger Hotelbau auch nicht zimperliche Lignano besitzen ältere Wurzeln, die sich in den historischen Stadtkernen ablesen lassen. Lignano zum Beispiel hat wenigstens früher mit dem Hotelbauen begonnen.

Den kuscheligen Pomp der früheren Habsburger Monarchie wie in Grado oder eine mediterrane Fischerstädtchen-Quirligkeit wie in Caorle hat Bibione wirklich nicht zu bieten. Was diese Stadt ausstrahlt, ist die Ehrlichkeit eines Schauplatzes, der seinen Gast nicht über seine Absichten im Unklaren lässt.

Das heutige Bibione ist zu dem Zweck erschaffen worden, dem Menschen Sonne, Sand und Meer in großen Portionen zu geben, und zwar sechs Millionen Menschen pro Jahr, was ihn zum ersten Badeort Venetiens und zweitgrößten Italiens macht.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Bibione eine ehrliche Stadt ist.

Schirm, Charme und Bibione

Bibiones Anblick ist bereits wie ein offenes Buch: An die 100.000 Liegestühle bedecken den fast 200 Meter breiten Strand mit dem sprichwörtlich feinen goldenen Sand. Im Hintergrund Hotels und Appartementanlagen unterschiedlich gelungener Ästhetik.

Tourismus ist ein einfaches Geschäft; wer Bibione bucht, der hat keine Poesie im Sinn. Das melancholische Flirren des fast leeren Strandes in der traditionell verregneten Vorsaison verliert sich zur Hauptsaison im Tröten der Spaßräder und Wummern des Openair-Entertainments, in den Gesängen und im Gelächter der Zehntausenden Abendspaziergänger. So ist Bibione, und so hat Bibione immer gut gelebt.

Aber mit Sommerrummel allein lässt sich offenbar kein schöner, wirklich repräsentativer, in drei Sprachen werbender Bildband machen. Darum zeigt "Bibione - Die Jahreszeiten" ein Bibione, das man so vermutlich noch nie gesehen hat.

Ein Bibione, das man kaum buchen kann

Es inszeniert mit Gedichten unter anderen von Heinrich Heine, Charles Baudelaire, Eduard Mörike, Robert Louis Stevenson und Federico Garcia Lorca eine Poesie, die diese Stadt dem Touristen bislang verwehrt hat oder die er einfach nicht zu entdecken vermochte, weil er gar nicht wusste, wo er hingehen soll, um dieses Bibione zu finden. Wahrscheinlich, weil er dort auch gar nicht hinwollte.

Dieses schöne Buch zeigt Bilder der im Hinterland gelegenen Lagunenlandschaft, die mit Bibione keiner in Verbindung bringt. Es zoomt Einsamkeit oder Exponiertheit aus der Bademasse heraus, die man selbst bislang beim besten Willen nicht herauszufiltern vermochte, und schafft eine Stimmung der heiteren, beseelten Wehmut, die nur professionell konstruierte Konstellationen von Schatten, Licht, Abendstunde und raffinierter Position erzeugen können.

Kurz, dieser Band erfindet ein Bibione, das man wohl kaum buchen, aber immerhin nun zwischen zwei Buchdeckeln mit nach Hause nehmen kann. Dass die Fotografie derlei vermag, wusste man schon vorher.

Aber wie gut sie das kann, wie sie Wirklichkeit neu entdeckt und aus Wasser Wein zu machen versteht, das hat man mit diesem Bildband auf denkbar beeindruckende Weise neuerlich vor Augen geführt bekommen. Aber: Hat Bibione das nicht auch verdient?

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