Tourismus:Der Smombie macht Urlaub

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  • Der Großteil der deutschen Reisenden informiert sich digital über Reisen und bucht oft auch online.
  • Auf diesen Trend stellen sich auch Reiseanbieter wie Tui ein.

Von Michael Kuntz, Le Morne

Oft laufen sie erst dynamisch los und bleiben dann plötzlich stehen. Sie halten mitten im U-Bahnhof oder auf einem Bürgersteig andere auf, besonders gern an Orten, wo viel los ist. Sie mutieren in einem Augenblick vom technologischen Vorreiter zum zweibeinigen Hindernis. In ihrem egozentrierten Tatendrang merken sie das überhaupt nicht. Es sind die Smombies, jene Menschen, die mit ihren Smartphones eher mehr als weniger verwachsen sind. Für sie ist das Telefon mit dem Internetzugang der ständige Begleiter durch den Alltag. Und immer mehr auch im Zusammenhang mit dem Urlaub. Vorher, nachher und unterwegs.

Schon länger gilt es als gesicherte Erkenntnis, dass Erholung suchende Computernutzer zwischen acht und neun Stunden damit verbringen, sich im Internet urlaubsmäßig inspirieren zu lassen, die Ferien dann zu planen und schließlich per Mausklick zu buchen. Der Verbraucher investiert also umgerechnet mehr als einen Arbeitstag, bevor er eine Reise bucht. Kaum eine andere Branche ist ähnlich erfolgreich beim Animieren ihrer Kundschaft zu unbezahlter Mitarbeit.

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Lange digitale Reise bis zur Buchung

Dieser Zeitaufwand nimmt eher noch zu, die Reiselust im World Wide Web vor dem realen Urlaub scheint groß zu sein. Das zeigt eine neue Studie zur Reiseplanung der deutschen Online-Bevölkerung ab 18 Jahre. Der Smombie verbringt allerdings nicht mehr halbe Nächte am stationären Computer im Büro oder zu Hause, er klickt sich dort durch die Portale für Flüge, Hotels oder komplette Pauschalreisen, wo er sich gerade aufhält. Das kann im Bus, in der U-Bahn oder auch zu Hause vor dem Fernseher sein.

Und er klickt schneller als in der Steinzeit des Internets: Der Smartphone-Nutzer ist mobil, nicht nur wegen seines tragbaren Gerätes, sondern auch beim Surfen. Er verweilt nur noch durchschnittlich zwei Minuten auf einer Webseite und tourt dann weiter durchs Netz. Vor allem aber: Der Kunde wechselt im Verlauf seiner bis zu mehr als hundert Tage dauernden Reise zur Buchung nicht weniger als 26-mal das Gerät, springt also zwischen Desktop-PC, Laptop, Tablet, Smartphone.

Wenn eine Webseite dafür nicht optimiert ist, verschwindet der Smombie im virtuellen Nirwana, sobald er ein anderes Gerät verwendet. Umgekehrt beginnt auch für ihn die Suche jedes Mal neu.

Am Smartphone beginnt die Reise-Recherche ungeplant und ganz spontan

Erschwerend für alle Anbieter touristischer Leistungen kommt hinzu, dass der Kunde seine Vorbereitungen je nach Situation auf eine schwer berechenbare Weise online und offline beginnt. Denn Reise-Recherchen via Smartphone geschehen in 69 Prozent der Fälle ungeplant, ganz spontan. Das ergab eine gemeinsame Studie der Marktforschungsinstitute TNS und GfK im Auftrag von Google Deutschland und von Tui, dem größten unter den Reiseveranstaltern. Der befragt seine Gäste seit Jahrzehnten per Fragebogen und "die Tui kennt den Urlaubsmarkt so gut wie kein anderer", räumt selbst Google-Reiseexperte Christian Bärwind ein.

Die beiden Datensammler Google und Tui, die Suchmaschine und der Urlaubsproduzent, gaben diese Untersuchung bereits zum dritten Mal in Auftrag. Es werden Trends sichtbar: Heute recherchieren 87 Prozent der Urlauber vor einer Reise mindestens einmal im Internet, die Hälfte davon per Smartphone. Vor zehn Jahren gingen erst 41 Prozent ins Netz, um sich zu informieren. Mobile Zugänge spielten dabei noch keine Rolle.

Die größte Veränderung: Flüge werden inzwischen zu 85 Prozent online gebucht. Dafür geht kaum noch jemand ins Reisebüro, wenn er sich vorher im Internet informiert hat (13 Prozent). Das ist bei Pauschalreisen, also Paketen mit Transfers, Hotels und weiteren Leistungen, noch deutlich anders. Viele Pauschalurlauber informieren sich erst im Internet, wollen danach aber noch von Menschen beraten werden und buchen dann im Reisebüro. Beim Kauf einer Pauschalreise gehen 58 Prozent so vor. Doch es gilt auch hier, so Bärwind: "Jede Reise, auch die im Reisebüro gebuchte, hat einen Online-Anteil."

Nun galt der Platzhirsch Tui längere Zeit nicht gerade als Vorreiter bei der Digitalisierung, wohl auch aus Rücksichtnahme auf seine Vertriebspartner. "Wir glauben an die Zukunft des modernen Reisebüros", versichert Tui-Deutschland-Chef Sebastian Ebel. Was darunter zu verstehen ist, führt die Tui in ihren 1800 eigenen Reisebüros in Europa vor. Virtual-Reality-Brillen sollen neue Einblicke ins Urlaubsziel ermöglichen, Anfragen aus dem Internet werden auf Wunsch an reale Reiseberater weitergeleitet. Die beraten auch via Live-Chats, wovon bereits 50 000 Kunden Gebrauch gemacht haben.

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Ebels für das praktische Reisegeschäft zuständiger Kollege Oliver Dörschuck fuhr ins Silicon Valley und treibt nun die Strategie voran, bei der letztlich alles mit allem vernetzt werden soll, nicht nur für die Smombies. Das Ziel: "Egal, wo der Kunde uns sucht, wir sind da." Bei Facebook gibt es mehr als eine Million Tui-Fans, und in einer ähnlichen Größenordnung ist auch bereits eine Service-App verbreitet, die immer neue Möglichkeiten eröffnen soll.

Konkret heißt das: Den mobilen Check-in soll es nicht nur bei der Airline, sondern auch bald in den Clubhotels geben. Über die Service-App können Urlauber unterwegs ihre Transferzeiten erfahren, aber bald auch Ausflüge buchen. Und eines nicht allzu fernen Tages werden sie auch das Wunschzimmer in der Unterkunft bestellen können, gegen Aufpreis. Dort wird der Pauschalreisende mit dem Smartphone die Tür seines Hotelzimmers öffnen. Wartezeiten an Rezeptionen soll es dann nicht mehr geben. Dörschuck weiß: "Die sind kein positives Kundenerlebnis."

Krisen und Klopp - darauf kann spontan reagiert werden

In den Zeiten der Smombies erhöht sich das Tempo von Veränderungen auch bei der Tui selbst. Als sich ein Rückgang der Buchungen für die Türkei abzeichnete, kaufte der Reisekonzern mit jährlich 30 Millionen Kunden umgehend große Hotelkapazitäten in Spanien ein, weshalb die Tui derzeit besser dasteht als mancher Wettbewerber. Zusätzlich stellt sie sich auf eine stärkere Nachfrage nach Fernreisen ein. Zu den Zielen, die ausgebaut werden, gehört auch Mauritius, wo die Tui jetzt in Le Morne ihre Zukunftspläne vorstellte. Sebastian Ebel hält es für möglich, dass die Reisen ins westliche Mittelmeer und zu Fernzielen in diesem Jahr die Nachfrageverluste in den Krisenländern Türkei, Ägypten und Tunesien nahezu ausgleichen.

Doch es sind nicht immer nur Krisen, die kreativ machen: Der Wechsel des Fußballtrainers Jürgen Klopp nach Liverpool weckte das touristische Interesse an der Beatles-Stadt - und umgehend wurden Reisen dorthin organisiert. Denn auch die erfolglosen Abfragen im Internet werden mittlerweile von der Tui als Reisewünsche wahrgenommen und führen mitunter zu einer ähnlichen Spontaneität des Touristikkonzerns, wie sie von den Smombies gelebt wird. Aber auch deren Spontaneität besitzt Grenzen. Oliver Dörschuck scherzt: "Die Generation der Smartphone-User ist smart, aber nicht immer mobil - weil der Akku nach acht Stunden leer ist."

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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