Tour ohne Touristenmassen:Guten Morgen, goldenes Prag

Die schlechte Nachricht: Ausschlafen in Prag ist ein Fehler. Die gute: Wer sich bei Sonnenaufgang aufrafft, findet die Stadt, der tagsüber alle nachrennen.

Von Irene Helmes

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Prag am Morgen

Quelle: Irene Helmes

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Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Ein solcher Umstand ist: Sehr viele Menschen finden Prag "totally awesome" und "très joli", 美极了oder "Wahnsinn!". Völlig zu Recht, Wahnsinn ist trotzdem ein gutes Stichwort, denn dem kommen Touristen leicht nahe, wenn sie sich vor den Sehenswürdigkeiten drängeln mit all den anderen auf der Jagd nach der "goldenen Stadt".

Eine Maßnahme wäre, nur noch in weniger begehrte Städte zu reisen. Eine andere: den Wecker zu stellen. Für den nächsten Tag, je nach Lage der Unterkunft auf sechs Uhr oder gar noch früher. Ja, das ist hart. Aber es lohnt sich.

Prag Karlsbrücke Panorama

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Denn wer sich tatsächlich aus dem Bett quält und losspaziert, entdeckt ein Prag, das man zwischenzeitlich schon als Gerücht abtun wollte. "Guten Morgen Berlin, du kannst so häßlich sein, so dreckig und grau", dichtete Peter Fox. Stellen Sie sich das Gegenteil für Prag vor. Dessen Morgen ist schön und bietet, was die meisten Besucher in dieser Stadt suchen: geheimnisvolle Ecken und Gassen, den Charme vergangener Jahrhunderte.

Optimaler Ausgangspunkt für den Frühspaziergang ist die Karlsbrücke. Die Brücke also, auf der das Gewusel sonst kein Ende hat. In der Dämmerung hantieren nur ein paar verstreute Menschen mit Foto-Stativen, ein einsamer Jogger pustet vorbei. Im Westen ist der Hradschin zu erkennen, auch dorthin könnte man nun gehen. Unser Weg führt in die Gegenrichtung, in die Altstadt am Ostufer der Moldau, dem Sonnenaufgang entgegen.

Prag am Morgen

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Das Tacken der Blindenampel am Übergang hinter dem Brückentor klingt laut. Oder besser gesagt: Es ist deutlich zu hören, denn drumherum ist Stille, nicht das Getöse des Vorabends.

Hochgeklappte Bürgersteige gelten normalerweise nicht als erstrebenswert. In einer Stadt der "Pub Crawls" und massenhaften Junggesellenabschiede sind sie es. Beste Voraussetzungen also, sich vorzustellen, wie es früher war in dieser Stadt, die wie wenige andere in Europa ihre historischen Bauten durch die großen Kriege hindurch erhalten konnte.

Prag am Morgen

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Auch andere Touristenmagneten zeigen sich morgens von ihrer ruhigeren Seite. Doch Metropolen wie Paris, London oder Rom machen in ihrer Weitläufigkeit die Entscheidung schwer, wohin in der kostbaren Zeit. Recht anstrengend im Halbschlaf. Ein klarer Punkt für Prag.

Bevor gegen neun Uhr die Stühle auf den Restaurantterrassen zurechtgerückt werden, die Souvenirläden ihre Gitter hochziehen und sich die ersten Reisegruppen am Treffpunkt um ihre Anführer scharen, ...

Prag am Morgen

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... scheinen tatsächlich nur Menschen mit triftigem Grund auf den Beinen zu sein. Ein Model im extravaganten Abendkleid etwa, dessen Fotograf die Gunst der Stunde für ein Shooting nutzt.

Eine Herausforderung gibt es allerdings: den Wettlauf mit Müllabfuhr und Straßenreinigung. Hinter den Ecken scheuern Maschinen das Kopfsteinpflaster, im Hintergrund leeren Männer in Warnwesten Eimer in Lastwagen. Doch das reißt nur kurz aus der träumerischen Stimmung. Einmal umdrehen und wenige Schritte genügen zum Beispiel an dieser Stelle, um einen der berühmtesten Plätze Prags fast für sich zu haben.

Prag am Morgen

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Der Altstädter Ring, Staroměstské náměstí, ist einer der meistbesuchten Orte der Stadt. Bei Sonnenaufgang nicht.

Astronomische Uhr, Altstädter Ring, Prag am Morgen

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Die astronomische Uhr ist noch fast unbeachtet. Das Zifferblatt stammt aus dem Jahr 1410, seit dem 17. Jahrhundert bewegen sich die Figuren der zwölf Apostel zu jeder vollen Stunde in einer kleinen Prozession. Die Details sind umso beeindruckender, wenn bei der Betrachtung nicht Stadtführungen in drei Sprachen simultan ins Ohr dringen.

Prag Panorama Altstädter Ring

Quelle: Irene Helmes

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Jetzt noch ein paar Meter weiter, und der erwachende Altstädter Ring liegt ganz im Blickfeld. Die Fassaden genauer ansehen, ohne das Risiko, gleich vom nächsten Segway oder einer romantischen Pferdekutsche überfahren zu werden? Jetzt ist ein guter Zeitpunkt dafür.

Ein höflicher älterer Mann aus Seoul fragt vorsichtig, ob das da hinten denn nun die berühmte Jan-Hus-Statue sei. Sie ist es. Beinahe zu übersehen, so unbedrängt steht sie auf dem Platz.

Prag am Morgen

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"Stadt der hundert Türme" wird Prag auch genannt. Der Turm des alten gotischen Rathauses ist 69 Meter hoch und für seinen Ausblick beliebt. Wer mag, merkt ihn sich für später vor - Besichtigungen sind ab neun Uhr, montags erst ab elf Uhr möglich.

Vorher ist aber die beste Idee, immer weiter zu schlendern. Ohne Eile wohlbemerkt, denn um diese Zeit wird Prags Problem zum Vorteil. Platzt die eher kleine Altstadt tagsüber und abends schnell aus allen Nähten, ist sie in ihrer Überschaubarkeit jetzt ideal. Durch die Celetná-Gasse geht es in Richtung Pulverturm.

Prag am Morgen

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Am Pulverturm befand sich einst das Osttor der Stadt. Der Grundstein zum Prašná brána wurde 1475 gelegt, die Bauarbeiten waren aber erst vier Jahrhunderte später abgeschlossen. Den Namen trägt der Turm, seit er im 17. Jahrhundert als Munitionslager diente.

Prag am Morgen

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Nun könnte man sich an diesem Punkt natürlich fragen, ob man noch ganz richtig im Kopf ist. Warum man gegen sieben oder acht Uhr morgens schon seit geraumer Zeit auf den Beinen ist, anstatt endlich mal auszuschlafen, Idylle hin oder her. Man könnte unkonzentriert um ein paar Ecken zu viel biegen und unversehens die Altstadt aus den Augen verlieren. Oder immer mehr Sehenswürdigkeiten abhaken wollen und sich in eine optimierte Großbesichtigung hineinsteigern.

Also Vorsicht: Widerstehen Sie der Versuchung, es mit dem Flanieren zu übertreiben. Vom Pulverturm aus geht es am gemütlichsten leicht rechts weiter, zum Beispiel zunächst über den Boulevard Na příkopě. Der Wenzelsplatz da hinten läuft auch nicht davon, im Gegenteil gehört diese Stätte des Prager Frühlings zu den Ecken der Stadt, die belebt eindrücklicher sind.

Prag am Morgen

Quelle: Irene Helmes

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Angenehmer ist es, bald in einer Art Kreis zurück Richtung Karlsbrücke in die nächsten Gässchen um die Bethlehemskapelle einzubiegen.

In diesen herrscht auch gegen acht Uhr noch Ruhe. Auf die Straßenreinigung bleibt Verlass. Ansonsten aber wird immer spürbarer, dass diese Altstadt mehr Museum ist als Lebensmittelpunkt vieler Menschen. Die müssten sich um diese Zeit nun ja langsam auf den Weg machen. Doch im historischen Stadtkern leben nur etwa 40 000 der mehr als 1,2 Millionen Prager. Dass sich gerade auf den Einfallstraßen und im Nahverkehr wie in jeder anderen Stadt massenhaft Menschen Richtung Arbeit gähnen - in dieser Gegend ein unwirklicher Gedanke.

Prag am Morgen

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Und plötzlich ist da wieder die Moldau, mit dem Panorama der Karlsbrücke und dem Burgviertel auf der anderen Seite.

Prag am Morgen

Quelle: Irene Helmes

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Einige Minuten vor neun Uhr, wieder auf der Brücke am Ausgangspunkt. Zwei müde, aber schon tapfer aufgebretzelte Brautpaare versuchen, es ihren Fotografen recht zu machen und sich vor der Kulisse in albumtaugliche Posen zu werfen.

Allein sind sie aber längst nicht mehr. Immer mehr Passanten kommen ins Bild. Etwas weiter lotst eine junge Reiseführerin ein Häuflein eifrige, graumelierte Amerikaner zu den Statuen, den obligatorischen Regenschirm als Erkennungssignal unter den Arm geklemmt, die Stimme recht heiser. Vielleicht eine der sogenannten "Early Morning Tours", die gerade zu ihrem Ende findet. Denn es wäre ja gelacht, wenn sich nicht auch die ersten Stunden des Prager Touristentages organisieren ließen. Auch der stille Morgen wird längst als Tour angeboten. Praktisch oder paradox? Jedenfalls nicht zwingend nötig, wie wir nun wissen.

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Quelle: Illustration: Jessy Asmus / SZ.de

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Es ist kurz vor neun Uhr. Zeit, ausgiebig zu frühstücken oder sich erst noch einmal hinzulegen. So erholsam kann eine Städtereise sein.

Vorschlag für die Morgenrunde:

Start war auf der Karlsbrücke (1), von dort aus folgt man der Straße Karlova zum Altstädter Rathaus mit der astronomischen Uhr (2), das an der Ecke zum Altstädter Ring (3) mit dem Jan-Hus-Denkmal steht. Zwischen Storch-Haus und Teynkirche biegt man in die Celetná ein zum Pulvertor (4) und folgt der Straße Na příkopě (5) bis zum Wenzelsplatz (6), den man sich aber für einen späteren Zeitpunkt aufhebt. Lieber macht man noch einen Abstecher zum Bethlehemsplatz (7), bevor wieder die Karlsbrücke in Sicht kommt.

© SZ.de/dd/rus
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