Todesfälle in den Alpen:Gefährliche Gratwanderung

In den Alpen nimmt die Bergbegeisterung stetig zu - und mit ihr steigt die Zahl der Todesfälle. Besonders viele Unglücke ereignen sich beim vermeintlich so harmlosen Bergwandern.

Wolfgang Koydl

Sie sind in den Bergen aufgewachsen oder aus dem Flachland angereist, sie sind routinierte Bergwanderer oder unerfahrene Sommerfrischler, und Alte sind ebenso unter ihnen wie Junge: Immer mehr Menschen verunglücken in den Schweizer Bergen tödlich. Seit Jahresbeginn waren es schon 119 Menschen, fast ebenso viele wie im gesamten vergangenen Jahr, als insgesamt 124 Wanderer, Skifahrer und Bergsteiger starben. Und die Saison ist noch lange nicht zu Ende. Die Schweizer Rettungsdienste stellen sich auf einen arbeitsreichen September ein.

Von einem "absoluten Rekord" an Unfällen spricht denn auch Ueli Mosimann, der beim Schweizer Alpen-Club (SAC) für die Fachgruppe Sicherheit zuständig ist und der jedes Jahr die traurige Aufgabe hat, die Unfallstatistik zu erstellen. Er schätzt, dass in diesem Jahr bereits 1400 Bergwanderer oder Bergsteiger verunglückten - und das sind zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor, das ebenfalls eine Steigerung um zehn Prozent gegenüber 2009 verzeichnete.

Bis Ende Juni hat der SAC 81 Bergtote registriert. Für Juli und August hat der Club noch keine endgültigen Zahlen. Doch die Schweizerische Nachrichtenagentur sda hat für diese beiden Monate jeweils 19 weitere Fälle errechnet. Und an jedem strahlend-sonnigen Sommertag erhöht sich diese Zahl.

Allein am vorvergangenen Wochenende stürzten vier Menschen in den Tod: ein Österreicher und ein Deutscher im Wallis, ein erfahrener Bergwanderer im Kanton Nidwalden und eine Frau in den Glarner Alpen im Kanton Glarus. Am Wochenende zuvor waren es sogar sechs Tote gewesen, unter ihnen eine 32 Jahre alte Schwedin, die in einer Höhe von 3650 Metern bei Randa in der Nähe von Zermatt abgestürzt war. Sie und ihre Begleiterin waren nicht angeseilt.

Tödliche Unfälle im Hochgebirge sind allerdings eher die Ausnahme. Die meisten Bergsteiger in diesen Regionen sind gut ausgebildet und vor allem gut durchtrainiert. Die meisten Gefahren lauern - so die Erkenntnis des SAC und des Schweizerischen Bergführerverbandes - beim vermeintlich so harmlosen Bergwandern: Insgesamt 54 der 124 registrierten Bergtoten des Jahres 2010 kamen beim Wandern ums Leben; nur 17 Kletterer verunglückten bei sogenannten Hochtouren.

Einen ähnlichen Trend hat man auch beim Deutschen Alpenverein (DAV) in München ausgemacht. Rund ein Drittel aller Not- und Unfälle in den deutschen Alpen werden von Bergwanderern verursacht: Sie "stolpern, knicken ein oder rutschen aus", heißt es in einer Erklärung, oder sie haben ihre Kondition überschätzt und brechen mit Herz- und Kreislaufbeschwerden zusammen. "Die Probleme sind mangelndes Know-how und mangelnde Kondition", meint denn auch DAV-Vertreter Thomas Bucher.

Selbstüberschätzung machen auch Schweizer Experten für viele Unfälle verantwortlich.

Volkssport mit Risiko

"Viele Wanderer unterschätzen die Distanzen oder gehen zu hohe Risiken ein", zitierte der Blick den Zermatter Rettungschef Bruno Jelk. "Dann sind sie der Herausforderung nicht gewachsen, und wir müssen ausrücken." Die steigende Zahl von Unfällen und Todesfällen verwundert den erfahrenen Bergsteiger nicht. "Die Rechnung ist einfach", sagt er, "je mehr Leute in den Bergen sind, desto mehr Unfälle passieren."

Denn der Alpinismus hat sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Volkssport entwickelt, was sich unter anderem auch an der Zahl der Übernachtungen in Schweizer Schutzhütten widerspiegelt: Mit knapp 340.000 Nächtigungen im vergangenen Jahr verzeichnete der Schweizer Alpen-Club das drittbeste Ergebnis. Ähnliche Entwicklungen gebe es auch in Italien und Frankreich, heißt es.

Und auch der DAV freut sich über "massive Zuwächse": Durchschnittlich vier bis fünf Prozent mehr neue Mitglieder traten, so Bucher, pro Jahr dem Verein bei.

Das Klischee vom völlig unbedarften Bergwanderer gilt nach seinen Worten allerdings auch nicht mehr. "Dass da einer mit Sandalen rumrutscht und irgendwo runterfällt, das gibt's eigentlich nicht mehr", sagt er. "Die Leute sind sehr gut ausgerüstet." Dennoch, so SAC-Experte Mosimann, findet man in der Schweiz noch immer Leute, die sich mit Turnschuhen auf schwierige Touren wagen.

"Und oft werden sie ohne feste und warme Kleidung von Wetterstürzen überrascht". Ein Aufstieg, der bei warmen Temperaturen und Sonnenschein beginnt, kann plötzlich in eisigem Regen oder Schnee enden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: