Tipps für New York:Staten Island hat mehr zu bieten als eine Fähre

Staten Island Ferry in New York The Staten Island Ferry on its way to it s St George Terminal in Ne

Zwischen Manhattan und Staten Island verkehren die berühmten orangefarbenen Fähren - gleichermaßen beliebt bei Pendlern wie bei Touristen.

(Foto: imago/Levine-Roberts)

New-York-Besucher setzen kostenlos nach Staten Island über, weil das Schiff direkt an der Freiheitsstatue vorbeifährt. Doch die wenigsten Touristen bleiben länger. Warum eigentlich nicht? Fünf Tipps.

Von Johanna Bruckner

Für New-York-Besucher beginnt die Überfahrt nach Staten Island mit einem Stress-Moment. In der Wartehalle für die kostenlose Fähre drängen sich die Menschen. "Na toll", denkt der unerfahrene Tourist, "da kommen wir doch nie drauf!" Aber das Wunder von Manhattan ereignet sich im Whitehall Terminal tägliche Dutzende Male: Alle Wartenden dürfen mit aufs Boot und finden mit großer Wahrscheinlichkeit sogar einen Sitzplatz. Und obwohl die Stehplätze an der rechten Fensterfront mehr als begehrt sind, weil man von hier aus den besten Blick auf die Freiheitsstatue hat: Unter den Augen von Lady Liberty werden erfahrungsgemäß selbst eben noch rempelnde Mitreisende zu Gentleman-Touristen und lassen einen auch mal kurz den Ausblick genießen. Außerdem gibt es ja noch die Rückfahrt. Und die tritt ein Großteil der Fähr-Touristen umgehend an.

Als Eindruck von Staten Island, der südwestlich von Manhattan gelegenen Insel, bleibt so nur die schmucklose Wartehalle des St. George Terminals mit den üblichen Coffee-to-Go-Ketten und Sandwich-Läden. Einzige Attraktion: Es gibt freies Wifi (wie im Übrigen auch auf der Fähre), sodass man schon mal die nächste Sehenswürdigkeit in Manhattan googeln kann. Dabei hat auch Staten Island, der fünfte New Yorker Borough, einiges zu bieten - das geplante "New York Wheel" noch nicht eingerechnet.

Dieses Riesenrad ist Teil einer großangelegten Neugestaltung des Ortes St. George, 1,6 Milliarden US-Dollar will die Stadt investieren, Stand heute. Allerdings ruht der Bau des "New York Wheels" auf unbestimmte Zeit - es gibt Rechtsstreitigkeiten. Wenn es einmal fertig ist, werden bis zu 40 Personen in jede der 36 Gondeln passen. Das "New York Wheel" soll natürlich das "London Eye" in der britischen Hauptstadt übertrumpfen, und überhaupt eine der "großartigsten Sehenswürdigkeiten der Welt" werden. Darunter machen es die Amerikaner nicht.

Auch wenn es in Wahrheit mit Großprojekten in New York nur wenig besser läuft als in Hamburg oder Stuttgart: Die Bemühungen, den Anlegeort St. George aufzuwerten, werden sichtbar, sobald man die Wartehalle verlässt. Baustellen, wohin das Auge blickt; um die Mittagszeit machen die Arbeiter entlang der mehrspurigen Richmond Terrace Lunch Break. Wer sich von dem wenig einladenden Anblick des schweren Geräts und der Bauzäune nicht abschrecken lässt, findet ein paar hundert Meter nordwestlich des St. George Terminals die erste Sehenswürdigkeit.

Staten Island September 11 Memorial

Direkt am Wasser steht eine Installation, die wie eine Miniatur-Ausgabe des "Oculus"-Bahnhofs von Stararchitekt Santiago Calatrava im Financial District wirkt. Das Konstrukt am Ground Zero aus weißem Stahl ist Teil des 9/11-Memorials. Die Miniaturausgabe in Staten Island erinnert allerdings weniger an ein Dinosaurier-Gerippe (wie der große Bruder drüben in Manhattan, zumindest in den Augen mancher Kritiker), sondern wirkt tatsächlich wie ein Flügelpaar - auch wenn es eigentlich Seiten symbolisiert: Die hohen, weißen Schwingen der "Postcards" geben den Blick frei auf die Skyline von Manhattan.

Tipps für New York: Erinnert an den "Oculus"-Entwurf von Stararchitekt Santiago Calatrava (rechts): das 9/11-Memorial in Staten Island.

Erinnert an den "Oculus"-Entwurf von Stararchitekt Santiago Calatrava (rechts): das 9/11-Memorial in Staten Island.

(Foto: Fotolia / Luca Bravo / Unsplash.com)

Erschaffen hat die Gedenkstätte in Staten Island der japanische Architekt Masayuki Sono. 273 Einwohner von Staten Island starben bei den Anschlägen von 2001, darunter Finanzanalystinnen, Computerspezialisten, Feuerwehrleute. An sie erinnern 273 Steintafeln an den Innenseiten der Flügel. (Insgesamt sind es sogar 274 Tafeln, eine ist einem Opfer des Anschlags auf das World Trade Center von 1993 gewidmet.) Sonos Mahnmal ist mehr als eine Ansammlung von Stahl und Steinen, hier ist die Erinnerung zutiefst menschlich: Die steinernen Platten mit den Namen der Verstorbenen haben die Form ihrer Gesichter im Profil. Sie blicken, wie der Besucher, in Richtung Manhattan. Dort erhebt sich stolz zwischen den grauen High Rises das blauschimmernde One World Trade Center, errichtet am Ort des Terroranschlags.

Staten Island September 11 Memorial

In Stein verewigt: die 273 Opfer des 11. September 2001, die in Staten Island zuhause waren.

(Foto: Johanna Bruckner)

Wer nach der Besichtigung der Gedenkstätte auf leichtere Gedanken kommen möchte, wirft am besten einen Blick durch die Absperrgitter in das hiesige Baseballstadion. Das ist nur ein paar Treppenstufen entfernt. Hier sind die Staten Island Yankees zu Hause, die in Anspielung auf das sehr viel bekanntere - und erfolgreichere - Team der New York Yankees auch "Baby Bombers" genannt werden. Aber immerhin spielen die Staten Island Yankees mit einem fantastischen Panorama auf die vielleicht berühmteste Stadtansicht der Welt. Schiffenthusiasten sei ans Herz gelegt noch ein Stück weiter entlang der North Shore Waterfront Esplanade zu spazieren. Dort können sie sich auf einer der Bänke niederlassen und den gewaltigen Frachtern bei der Einfahrt in den Kanal zwischen Staten Island und New Jersey zuschauen.

Dauer: 30 Minuten bis 1 Stunde, Eintritt: frei, mehr Informationen gibt es hier.

Snug Harbor

Snug Harbor wurde Anfang des 19. Jahrhunderts als Alterssitz für Seeleute gegründet. Der reiche New Yorker Robert Richard Randall, der selbst als Kapitän zur See gefahren war, verfügte in seinem Testament, dass das Familienvermögen und die Ländereien der Randalls für Matrosen eingesetzt werden sollten. Ursprünglich war die Seniorenresidenz im Norden des heutigen Washington Square Parks geplant. Doch wegen Rechtsstreitigkeiten wurde am Ende entschieden, die dortigen Besitzgründe zu vermieten und von dem Geld die großzügigen Ländereien in Staten Island zu kaufen. Anfang des 20. Jahrhunderts wohnten in Snug Harbor - "snug" bedeutet so viel wie "gemütlich" - bereits 900 Männer, die in ihrem Leben nie ein Zuhause gekannt hatten.

Geblieben ist davon die Idee, Menschen ein Refugium zu geben, denen die nötigen Mittel fehlen: Heute kommen in den kleinen Cottages auf dem Gelände regelmäßig junge, aufstrebende Künstler unter. Sie können - wie die Besucher - Kreativität oder Kraft aus der Naturkulisse ziehen. Der Park bietet weitläufige Wiesen (auf denen Kinder tatsächlich herumtollen dürfen), knorrige Baumwurzeln und im Botanischen Garten eine Explosion an Farben, Formen und Düften. Während das Abschalten im Central Park schwerfällt, weil die Großstadt eben doch nur einen Blick auf die Hochhäuser von Upper East und Upper West Side entfernt ist, atmen New-York-Besucher in Snug Harbor durch. Und müssen dabei nicht befürchten, den Atem anderer Touristen im Nacken zu spüren - denn selbst an Wochenenden ist die Anlage nicht überlaufen.

Essen wie bei Großmutter

Wer einen Abstecher nach Asien machen möchte, ohne Amerika zu verlassen, kauft sich für fünf Dollar eine Eintrittskarte für den angegliederten "Chinese Scholar's Garden". Sämtliche Elemente des Gartens stammen aus der ostchinesischen Stadt Suzhou oder wurden dort gefertigt. Selbst die Steine sind importiert, die die kleinen Wege säumen. Alles, um ein möglichst authentisches chinesisches Garten-Erlebnis zu schaffen. Der Versuch scheint geglückt - zumindest halten die asiatischer Reisegruppen, die an einem Dienstagnachmittag den Scholar's Garden erkunden, sämtliche Details mit ihren Handykameras fest. Vom kleinen Bambuswäldchen über die geschnitzten Holztüren bis zu den Teichen, in denen (angeblich) Koi-Karpfen schwimmen.

170501 NEW YORK May 1 2017 Photo taken on April 28 2017 shows the scenery of the Chinese

Ein bisschen Asien in Amerika: der "Chinese Scholar's Garden" in Snug Harbor.

(Foto: imago/Xinhua)

Die Parkanlage im Nordosten von Staten Island ist am besten mit dem Bus zu erreichen (Linien S40, S44). Wer möchte, kann auch einen ausgedehnten Spaziergang dorthin unternehmen; mehr als einen farbenfrohen Großmarkt für Obst, Gemüse und Blumen sollte man am Straßenrand aber nicht erwarten.

Dauer: 1 bis 3 Stunden (auf der Anlage sind auch das Staten Island Museum und die Noble Maritime Collection untergebracht), Eintritt: frei, mehr Informationen gibt es hier.

Enoteca Maria

Die Inneneinrichtung ist Geschmackssache, das Konzept der "Enoteca Maria" aber äußerst charmant: Statt professioneller Köche stehen hier jeden Tag Großmütter am Herd. Auf die Frage, wie er auf die Idee für sein Restaurant gekommen sei, sagt Besitzer Jody Scaravella: "Trauer." Als innerhalb kurzer Zeit seine Eltern und Großeltern starben, suchte er einen Weg, sich ein Stück Familie zurückzuholen. "Ich wollte dieses Gefühl schaffen, das man hat, wenn die Oma zuhause gekocht hat und die ganze Familie zum Essen zusammenkommt."

Jeden Abend steht eine andere Hobbyköchin am Herd und bereitet eine Spezialität aus ihrem Heimatland zu. Mariella aus Venezuela, Diana aus Palästina, Dolly aus Sri Lanka (Für Hobby-Reiseführer: Staten Island hat den höchsten Anteil an Sri Lanker außerhalb des Inselstaats). Die Liebe, die Scaravellas "Nonnas of the World" in jedes Gericht stecken, kommt beim Gast an. Allein die frischgebackene Focaccia, die als kostenloser Appetizer gereicht wird, ist so gut, dass man glücklich heimgehen könnte, ohne einen weiteren Gang probiert zu haben. Was aber ein Fehler wäre.

Dauer: 1,5 Stunden, Kosten: ein Hauptgericht liegt zwischen 17 und 20 Dollar, mehr Informationen gibt es hier.

National Lighthouse Museum

Seien wir ehrlich: Die Besichtigung eines Leuchtturm-Museums steht bei einem New-York-Besuch nicht oben auf der Agenda. Auch wenn es nur fünf Gehminuten von der Fähranlegestelle entfernt liegt. Aber wenn Amerikaner etwas wirklich gut können, dann überraschen: Die Leidenschaft, mit der einem Mitarbeiter Bobby anhand eines Plastikfolders das Gelände erklärt (einst der landesweit einzige "Baumarkt für Leuchttürme"), muss sich vor der eines MoMA-Kurators nicht verstecken. Im Museum gibt es unzählige Leuchtturm-Miniaturen aus aller Herren Länder zu bestaunen (unter anderem ein Exemplar aus China mit geschwungenen Dächern). Es wird erklärt, warum das äußere Erscheinungsbild eines Turmes genauso wichtig war wie eine starke Linse (tagsüber halfen charakteristische Merkmale wie ein auffälliger Anstrich den Seeleuten bei der Orientierung). Und herausragende Leuchtturmwärter-Persönlichkeiten werden porträtiert.

So zum Beispiel die deutschstämmige Kate Walker, die zunächst ihrem Mann zuliebe 1883 auf die Leuchtturminsel Robbins Reef im New Yorker Hafen zog - und zwei Wochen lang ihre Koffer und Kisten nicht auspackte. Aus Protest gegen ihre neuen Lebensumstände. Doch als sich einige Jahre später ihr schwerkranker Mann mit den Worten "Mind the light, Kate" von ihr verabschiedete, trat die nicht mal 1,60 Meter große Frau das Erbe an. Mehr als 30 Jahre arbeitete Kate Walker als Leuchtturmwärterin auf Robbins Reef. Zunächst für die Hälfte des Lohns, den ein männlicher Leuchtturmwärter damals bekam. Als sie mit 73 Jahren in Rente ging, kaufte sie sich ein kleines Häuschen in Staten Island. Mit Garten - und noch wichtiger - Blick auf ihre alte Wirkungsstätte, Robbins Reef. Kate habe auch nach ihrer Pensionierung 1919 auf das Licht im Turm aufgepasst, sagt Museumsmitarbeiter Bobby nicht ohne Rührung.

Dauer: ca. 1 Stunde; Eintritt: 5 Dollar für Erwachsene; Kinder unter 12 Jahren sind frei, mehr Informationen gibt es hier.

Flagship Brewery

Von Brooklyn bis Staten Island - die New Yorker sind stolz auf ihre Bierkultur. Als Gast aus Deutschland ist es da das Mindeste, die hiesigen Hopfenprodukte zu probieren. Das geht zum Beispiel samstags in der Flagship Brewery, die von der Fähranlegestelle St. George in einer Viertelstunde zu Fuß zu erreichen ist. Eine personalisierte Führung durch die Brauerei gibt es nur bei vorheriger Anmeldung (über die Homepage) - als Entschädigung für diesen kleinen Planungsaufwand ist die anschließende Verkostung im Eintrittspreis von fünf Dollar enthalten.

Wer eine Grundlage braucht: Quasi auf dem Weg liegt der St. George Greenmarket, ein jeden Samstag stattfindender Bauernmarkt. Achtung, nur etwas für Frühaufsteher: Der Markt schließt um 14 Uhr!

Dauer: nach Absprache, Eintritt: 5 Dollar, mehr Informationen gibt es hier.

So gestärkt - und mental erholt - lässt sich dann auch das Schlangestehen für die Überfahrt zurück nach Manhattan besser ertragen. Außerdem weiß man ja: Jeder kommt aufs Boot.

Tipp: Das Journalisten-Paar Christina Horsten und Felix Zeltner hat mit seiner kleinen Tochter in den vergangenen 14 Monaten jeden Monat in einem anderen New Yorker Viertel gelebt - vorletzte Station war Staten Island. Ihre Erlebnisse haben sie auf dem Instagram-Account NYC12x12 dokumentiert.

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