Reisebildband Tibet:Auf der Suche nach dem Paradies

Der Fotograf Michael Yamashita wollte im tibetischen Hochland das wahre Shangri-La entdecken. Er traf auf Menschen, die einen Weg finden zwischen tiefer Spiritualität und den Einflüssen des 21. Jahrhunderts.

Stefan Fischer

6 Bilder

Shangri-La, Tibet

Quelle: © Michael Yamashita / Frederking & Thaler Verlag

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Der Fotograf Michael Yamashita hat sich auf die Suche nach dem Paradies gemacht. Im tibetischen Hochland ist er dabei auf Faszinierendes gestoßen: den Einfluss des 21. Jahrhunderts auf eine vermeintlich weltabgewandte Realität.

In Tibet liegt das sagenhafte Shangri-La, immerhin so viel ist klar. Und damit ist auch klar: Die Suche nach einem realen Ort, der diesem Paradies entspricht, wird nie enden. Denn seit der Schriftsteller James Hilton diese Fiktion einer heilen, klösterlichen Existenz 1933 in seinem Roman "Der verlorene Horizont" in die westliche Welt exportiert hat, besitzt sie einen realen Marktwert.

Bild: Gebetsfahnen in den Grundfarben der fünf Elemente sollen den neu erbauten Unterkünften in Dege Gönchen Schutz garantieren.

Shangri-La, Tibet

Quelle: © Michael Yamashita / Frederking & Thaler Verlag.

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Insofern war es unter Gesichtspunkten touristischen Marketings clever, dass China die Stadt Zhongdian 2001 kurzerhand umbenannt hat in Shangri-La. Die Suchenden haben seither ein konkretes Ziel oder zumindest eine erste Anlaufstelle: Zhongdian, pardon, Shangri-La besitzt einen neuen Flughafen, erbaut für die Touristen, die sich tatsächlich in diese Abgeschiedenheit locken lassen. Nicht von ungefähr liegt dieses Paradies in Sichuan, in einer Region, die zwar zum tibetischen Hochland gehört, aber unumstritten chinesisch ist, anders als das seit Jahrzehnten annektierte Autonome Gebiet Tibet.

Bild: Teepflückerinnen in den Pflanzenreihen einer der drei größten Plantagen von Ya'an, in der Provinz Sichuan, dem Ausgangspunkt der nördlichen Tee-Pferde-Straße.

Shangri-La, Tibet

Quelle: © Michael Yamashita / Frederking & Thaler Verlag

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Der Fotograf Michael Yamashita war auch in Zhongdian/Shangri-La für seine Fotoreportage, die der Verlag Frederking & Thaler in einer deutschsprachigen Bildband-Ausgabe veröffentlicht hat. Es sei dort, so schreibt Yamashita in "Shangri-La", bei dem Versuch geblieben, "das Gefühl eines irdischen Paradieses heraufzubeschwören". Er hat sein Shangri-La woanders entdeckt: in Lhasa. Obgleich ihn die Stadt anfänglich enttäuscht hatte, zu groß waren seine Erwartungen gewesen. Aber als er dann an der Rückseite des Potala-Palasts stand, der auf den meisten Fotografien von vorne zu sehen ist, und der Bau sich im umliegenden Sumpfland spiegelte, da habe er eine Entsprechung gefunden für seine Vorstellung vom Paradies.

Bild: Der Potala-Palast in Lhasa, einst Kloster und Sitz des Dalai Lama, zählt zu den Bildern Tibets mit dem größten Kultstatus. Der Palast scheint zwischen den Bergen und über dem Sumpfland im Vordergrund zu schweben.

Shangri-La, Tibet

Quelle: © Michael Yamashita / Frederking & Thaler Verlag

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Die meiste Zeit über jagt Yamashita jedoch keiner Phantasie hinterher, sondern dokumentiert eine reale Gegenwart, die dem westlichen Betrachter freilich genauso unwirklich erscheinen mag wie die Existenz von Shangri-La. Der Fotograf hat den Chamagudao bereist, ein Netz von Handelswegen, über das jahrhundertelang Tibeter Pferde nach China exportiert und im Gegenzug dafür Tee erhalten haben. Im Jahr 1074 wurde sogar die Sichuan-Tee-Pferde-Behörde gegründet, die diesen Handel förderte, überwachte und auch besteuerte.

Bild: In der Riu Xiang-Teefabrik in Menghai, Yunnan, verpacken Arbeiter Pu-Erh-Teefladen in Papier.

Shangri-La, Tibet

Quelle: © Michael Yamashita / Frederking & Thaler Verlag

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Das ist eine spannende Episode der chinesisch-tibetischen Nachbarschaft, aus ihr heraus lässt sich eine Menge vor allem über die tibetische Kulturgeschichte ableiten. So sind eine Reihe buddhistischer Klöster zugleich Handelszentren gewesen, diese Funktion ist sicherlich weniger bekannt. Nach wie vor liefert China übrigens große Mengen Tee ins Hochland, Tibet wiederum handelt inzwischen nicht mehr mit Pferden, sondern mit Pilzen: Yartsa Gunbu ist ein Parasit, der die Larven bestimmter Würmer befällt und von innen auffrisst. Diesem Pilz werden starke Heilkräfte nachgesagt, er ist begehrt in der chinesischen Medizin.

Bild: In einem Kloster in Gandze studieren Nonnen heilige Schriften. Die Bücher wurden im Namen Dege Parkhang von Hand gedruckt.

Shangri-La, Tibet

Quelle: © Michael Yamashita / Frederking & Thaler Verlag

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Den Tibetern, die Yartsa Gunbu ernten, hat er Wohlstand gebracht. Diese Entwicklung belegt Michael Yamashita in seinen Fotografien; es sind Motive, die erst einmal wegführen von jedweder paradiesischen Anmutung. Aber es geht dem Fotografen auch gar nicht darum, eine vorindustrielle Idylle zu suggerieren, die manche nach wie vor sehen in Tibet. Sondern zu beobachten, wie die ausgeprägte Spiritualität, die bislang noch allerorten anzutreffen ist, sich unter den Einflüssen des 21.Jahrhunderts wandelt. Wie eine vermeintlich weltabgewandte Gesellschaft also auf die Welt reagiert. Tibet als Ganzes ist nicht das Paradies. Aber erst deshalb ergibt es überhaupt Sinn, sich auf die Suche zu machen nach einem solchen.

Michael Yamashita: Shangri-La. Entlang der Teestraße von China nach Tibet. Frederking & Thaler Verlag, München 2012. 272 Seiten mit 185 Abbildungen, 49,95 Euro.

© SZ vom 8.11.2012/dgr
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