Surfen auf Hawaii:Tanzen am Abgrund

Die Welle spricht zu dir: Wie schwer es ist, beim Surfen auf Hawaii alles richtig zu verstehen.

Achim Zons

Also, das da vorne, hat Titus gesagt und auf die Spitze des Longboards gezeigt, das wird Nase genannt. Und das da hinten ist die Leash, eine rund zwei Meter lange Leine, mit der das Brett am Bein des Surfers gesichert wird. Und das, was da gerade in der Mitte des Surfboards mal wieder ins Wasser fällt, muss Titus nicht weiter erklären: Das ist der Besucher höchstselbst, der zum soundsovielten Male unter Wasser nach Orientierung sucht und sich fragt, was er hier überhaupt macht.

Natürlich haben wir uns nicht nur deshalb nach Hawaii begeben, um unter Einsatz des Lebens Surfen zu lernen, aber was bleibt einem schon anderes übrig im besten Surfrevier der Welt, wo das Wellenreiten erfunden wurde und es zudem auch noch die besten Surflehrer geben soll.

Titus ist einer jener Big-Wave-Rider, von denen man in der Szene mit Bewunderung spricht. Klar, er hat sein Leben lang nichts anderes gemacht, als das Meer zu beobachten und auf die Wahnsinnswelle zu warten. Er muss es also können. Immerhin: Vor tausend Jahren wurde hier auf den Inseln das erste Mal gesurft. Es lag also nahe, es auch einmal zu versuchen.

Titus ist nicht sonderlich groß, aber überaus muskulös. Wenn man ,,Surfing USA'' von den Beach Boys hört und sich dabei einen dieser beach boys vorstellt, könnte man Titus vor Augen haben: blonde Haare, vom Salz gebleicht, vom Wasser strähnig gelockt. Er ist braungebrannt, hat kein Hawaiihemd an, sondern ein schwarzes Neopren-T-Shirt und darunter einen Oberkörper, der gebaut ist wie eine umgedrehte Tanne, was bedeutet: schmale Hüften und breites Kreuz.

,,Du musst immer die Welle im Blick haben'', sagt er, als wir den nächsten Versuch starten und schon wieder rund hundert Meter vom Strand entfernt auf unseren Surfbrettern in den Pazifischen Ozean hinauspaddeln. Gehorsam nickt der Mensch mit dem Oberkörper eines Apfelbaums und fixiert das Wasser. ,,Und vergiss eines nicht'', fährt Titus fort, ,,the wave speaks to you.'' Und wir blicken auf das nächste Ungetüm, das drohend näherkommt. Muss eine seltsame Sprache sein, die so eine Welle spricht: Außer Rauschen ist nichts zu hören.

Vielleicht sollten wir den kurzen Moment im Angesicht der nahenden Katastrophe nutzen und erläutern, warum wir uns das alles freiwillig antaten. Es ist ja nicht unbeobachtet geblieben, dass sich die Reisegewohnheiten geändert haben. Reiseziele in der Nähe des eigenen Zuhauses - Flaucher, Gardasee, Toskana - machen einen auf Partys nicht mehr zum begehrten Gesprächspartner, ein wenig exotischer sollte es schon sein.

Hawaii ist da nicht die schlechteste Alternative. Vor allem, weil die Inseln ein paar Assoziationen auslösen, die schon was zählen beim Smalltalk: Honolulu, Waikiki Beach, Pearl Harbor, aktive Vulkane, wunderbares Wetter, gewaltige Wellen, kilometerlange Strände und braune, hübsche Hawaii-Mädels, die in der Vorstellung immer eher zurückhaltend bekleidet im Baströckchen herumlaufen. Man kann sich denken, dass ein derartig vorgebildeter Besucher in mehrfacher Hinsicht überrascht wird, wenn er jetlaggeplagt seinen Fuß das erste Mal auf hawaiianischen Boden setzt.

Tanzen am Abgrund

Dass Hawaii - 137 Inseln, davon im Wesentlichen nur acht bewohnt - seit 1959 der 50. Bundesstaat der Vereinigten Staaten ist, dürfte noch einigermaßen bekannt sein. Auch, dass die Amerikaner schon 1887 hierherkamen, um in Pearl Harbor, nicht weit von Honolulu entfernt, einen Marinestützpunkt aufzubauen gegen den bösen Feind, der schon damals aus dem Westen kam.

Westen kann man getrost mit Japan ersetzen, denn Hawaii liegt ziemlich genau in der Mitte des Pazifischen Ozeans zwischen dem amerikanischen Festland und Japan - für die Japaner ist Hawaii also das erste Ziel, das sie treffen können, wenn sie sich den USA in böser Absicht nähern wollen. Was sie dann ja auch bekanntermaßen in den Morgenstunden des 7. Dezember 1941 beim Angriff auf Pearl Harbor gemacht haben.

Ziemlich erfolgreich zumindest aus ihrer Sicht, weshalb es vor allem japanische Touristen sind, die sich heute die schwimmende Gedenkstätte über dem zerstörten Schlachtschiff U.S.S. Arizona anschauen, das auf dem Grund des Hafens liegt. Insgesamt haben die japanischen Piloten damals acht amerikanische Kriegsschiffe versenkt und 2403 Soldaten getötet.

Es ist schon eindrucksvoll, wie Amerikaner mit schmachvollen Niederlagen umgehen: ungeschminkt, realistisch, nichts beschönigend. In dem Film über die Ereignisse 1941, der im Memorial Museum von Pearl Harbor zu sehen ist, wird die Strategie des japanischen Gegners bewundert, seine Klugheit gelobt, sein Mut geachtet.

Und dann sieht man auf der großen Tafel mitten auf der Gedenkstätte, wem diese ungeschminkte Erinnerung zu verdanken ist: der Northrop Grumman Corporation zum Beispiel, oder dem Schiffs- und Flugzeugbauer General Dynamics, oder dem Raketenhersteller Raytheon Aircraft Corporation - also vor allem amerikanischen Rüstungsfirmen, die sich das Gedächtnis an eine der dunkelsten Stunden der USA Millionen Dollar haben kosten lassen. Bestimmt nicht ganz uneigennützig.

Immerhin: Der Besucher hätte gewarnt sein müssen, als er am nächsten Tag auf den Parkplatz des Kalalau Lookouts oben am Waimea Canyon fuhr. Ihm hätte sofort der schwarze Ford Pickup auffallen müssen mit dem Kennzeichen KWU 696. Aber dann hat ihn das imposante Naturschauspiel doch so gefesselt, dass alle verräterischen Hinweise keine Rolle mehr spielten.

Wie ein gewaltiger Riss zieht sich nämlich der Waimea Canyon durch das Innere Kauais, der mit einem Alter von sechs Millionen Jahren ältesten Insel Hawaiis. Es sieht aus, als hätten zwei gewaltige Riesen die Erde von zwei Seiten ziehend auseinandergerissen, so wie man ein Bettlaken auseinanderreißt: Elf Kilometer lang und an manchen Stellen 1000 Meter breit und mehr als 800 Meter tief reicht der Canyon. In Wirklichkeit hat diese gigantische erdgeschichtliche Leistung der Poomau River vollbracht, der von zahlreichen Wasserfällen an den umliegenden Berghängen gespeist wird und in Jahrtausenden die Erde so tief eingegraben hat.

Wäre schön, denkt da der tief beeindruckte Betrachter, wenn er ein Foto hätte von sich und dem Canyon im Hintergrund, der in diesem Moment von der abendlichen Sonne eingetaucht wird in ein warmes Rot. Vielleicht könnte ja der hochaufgeschossene Mann da rechts, nur drei Meter entfernt, das Foto machen, sieht doch verdammt nett aus, wie der seine hübsche Freundin gerade in den Arm nimmt und ihr offenbar etwas sehr Liebes ins Ohr flüstert, denn sie schmiegt sich glücklich an ihn...

Tanzen am Abgrund

Doch da durchzuckt einen die Erkenntnis: Der Mann ist einer der gefährlichsten Männer der Welt, zumindest zeitweise. Und man traut seinen Augen nicht: James Bond höchstpersönlich, der Agent für alle Lebens- und Liebeslagen, löst seinen Blick von dem gigantischen Naturschauspiel und holt aus einer schäbigen blau-weißen Kühltasche eine Flasche Champagner und zwei Champagnerkelche heraus und reicht sie seiner weiblichen Begleitung, die, wie wir später über Google ermitteln, nicht seine Ehefrau Keely Shaye Smith ist. Trotzdem scheinen die beiden sehr glücklich zu sein, als sie anstoßen, auf was auch immer.

Bond ist perfekt getarnt. Dunkelblaues Poloshirt, hellblaue Hose, bei der dummerweise der Stoff nur für ein Modell bis zu den Knien gereicht hat, weshalb unten zwei Beine herausschauen, die eindeutig zu weiß und zu dünn sind für einen Mann, der eigentlich mit allen Körperteilen die Welt zum Schmelzen bringen sollte - natürlich im Dienste Ihrer Majestät.

Um gleich weiteren Spekulationen vorzubeugen: Bei diesem James Bond handelt es sich nicht um den aktuellen, sondern um den Vorgänger, um Pierce Brosnan, der den 007 gab in ,,Goldeneye'' oder in ,,Stirb an einem anderen Tag''.

Domizil für Schauspielprominenz

Später erfahren wir, dass Pierce Brosnan hier auf Kauai ein Haus hat, nicht weit von dem Hanalei-Beach entfernt, wo der Besucher so erfolgreich vom Surfbrett gefallen ist. Brosnan ist übrigens nicht der einzige prominente Schauspieler, der an diesem Ort über eine Residenz verfügt und ansonsten beruflich in Los Angeles zu tun hat, auch Bruce Willis und Bette Midler sollen sich auf der Insel eingekauft haben. Und natürlich Sylvester Stallone, besser bekannt als Rocky I bis VI. Trotzdem hat auch Stallone nur ein Haus und nicht sechs, am Anini-Beach, in der Nähe von Princeville.

Mit mehreren Vorurteilen kann man also gleich aufräumen. Erste Erkenntnis: Bond trinkt außer Diensten nicht Martini, sondern Champagner, und den auch nicht gerührt, sondern höchstens ein wenig geschüttelt auf der kurvenreichen Fahrt hier herauf zum Kalalau Lookout.

Zweite Erkenntnis: Brosnan-Bond hat offenbar kein Problem damit, seinen Ford-Pickup mit ein wenig Champagner im Blut zu fahren. Der Jurist spricht in diesem Zusammenhang gerne von dem Prinzip des ,,maior minus continet'', also davon, dass das Kleinere manchmal auch in dem Größeren enthalten sein kann, was in diesem Fall heißt: Wer die Lizenz zum Töten hat, der darf auch mit Alkohol im Blut Auto fahren.

Auf was für Gedanken man nicht alles kommt in dieser Ecke der Welt, wenn die Sonne einem nur lange genug auf den Kopf scheint, das Meer einen fertigmacht, und alle Menschen einen freundlich anlächeln. Man muss es zugeben: Diese Menschen sind alle so nett und fürsorglich, dass man irgendwann misstrauisch in den Spiegel schaut und sich fragt, ob sich irgendetwas zum Positiven geändert haben könnte, was man beruhigenderweise verneinen kann.

Bejahen kann man aber, dass die Hawaiianer außer ihrem freundlich-entspannten Wesen auch sonst vieles gemeinsam haben: zuallererst natürlich das obligatorische Hawaiihemd, das Jürgen von der Lippe vor Jahren hierher importiert haben muss; irgendwie die gleichen Vorfahren, denn fast jeder sagt ungefragt, dass er aus einer alten Surfer-Familie stammt, nicht zuletzt diese seltsam lustig klingende Sprache, die einen dazu verleitet, den einen oder anderen zunächst nicht ganz ernst zu nehmen.

Vielleicht hängt das ja auch damit zusammen, dass das Idiom, das man auf Hawaii spricht, viel älter ist als das, was man in Amerika als Englisch bezeichnet. Verblüffend vor allem ist, dass Hawaiianisch mit ganz wenigen Konsonanten auskommt, was die Hawaiianer mit einer freizügigen Verdopplung der Vokale wettzumachen versuchen.

Tanzen am Abgrund

Um genau zu sein: Das hawaiianische Alphabet verfügt nur über zwölf Buchstaben. Manche Worte bestehen aus so vielen Vokalen, dass sie wie bayerische Grunzlaute klingen: Man sollte also immer mit Ha'aha'a (Demut) und viel Ahonui (Geduld) den Menschen begegnen und im Falle eines Konflikts die Methode des Ho'oponopono anwenden. Weiteres regelt der Arzt oder Apotheker, übrigens sehr erfolgreich: Selbst heute noch, trotz aller Amerikanisierung, ist Hawaii der US-Bundesstaat mit der besten Gesundheitsstatistik.

Schon wahr, das ist nicht gerade der zentrale Gedanke gewesen auf dem Surfbrett. In der Musik gibt es ja die Fermate: den Moment des Einhaltens, des Sammelns, des Abwartens vor einem Solo. Diese Fermate haben wir hier im Wasser vor dem Hanalei-Beach jetzt schon lange genug ausgedehnt, doch mehr Zeit bleibt nicht.

Die Welle, eindeutig höher als eine Welle auf dem Starnberger See, kräuselt sich schon leicht, der Sog zerrt schon kraftvoll an einem, und wir versuchen verzweifelt, uns dagegen zu stemmen. Wie gesagt, das Meer spricht zu einem, wäre also nicht schlecht, wenn die Ohren frei wären.

Wenn du siehst, wie sich die Welle aufbaut, hat Titus eben noch gesagt, dann dreh' die Nase deines Boards in den Sog des heranrollenden Wassers. Und wenn du dann siehst, wie leichte Schaumfähnchen das Kippen der Welle ankündigen, dann musst du auf dem Brett mit aller Kraft vorwärts paddeln, das Brett nach unten drücken, dich blitzschnell aufrichten, von der Hocke in den Stand gehen, einen Fuß nach vorne, einen nach hinten, mit dem Körper über das Board die Welle fühlen und in gebückter, elastischer Haltung jede Bewegung mitmachen- und dann ab in die untergehende Sonne.

Klar, kein Problem, sage ich, schnell paddeln, blitzschnell aufrichten, elastisch abfedern, und dann ab ins Paradies. Was soll daran schwierig sein, habe Schwimmen gelernt mit vier und Schiffe versenken mit sechs und Negerköpper mit acht.

Titus versteht nicht alles, muss er auch nicht, er schaut nur verblüfft, denn der Besucher, mittlerweile voller Zorn und Salzwasser, hat aufgegeben und ist längst auf dem Weg zurück zum Strand, wo er sein Longboard mit letzter Kraft in den Sand wirft, bevor er sich aus dem Auto trockene Sachen holt. Scheiß Surfen. Scheiß Meer. Von mir aus kann es reden, so viel es will. Aber nicht mehr mit mir.

Immerhin, am Ende gibt mir Titus zum Abschied doch noch freundlich die Hand. Er dreht sich um, geht ein paar Schritte, bleibt stehen. ,,Willst du wissen, was du falsch gemacht hast?''

Natürlich.

,,Du hast das Meer nicht ernst genommen.''

Fast überflüssig zu sagen, dass in seiner Stimme nicht Mitleid ist, sondern nur Triumph.

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