Südafrika:Crashkurs Wildnis

Wildnis ohne Blechkarossen: Auf einer "Walking Safari" lernt man die Spuren der großen und kleinen Tiere Südafrikas zu lesen.

Viola Schenz

Mit Morgenmuffeln hat Sam kein Erbarmen. Woher die Spur vor ihm im Sand stammt, will er wissen. Oh, Sam! Es ist erst halb sechs. Die Tasse Kaffee von vorhin wirkt noch nicht. Die Muskeln tragen die Kälte der afrikanischen Nacht in sich. Die Beine fühlen sich an wie Fremdkörper. Die Gehirnzellen dösen noch. Und dann soll man Spuren lesen?

Also: Sie verläuft quer über den Sandweg, ist länglich und geschwungen, muss also von einer Schlange stammen. Sam nickt ungeduldig, es war die 50-Euro-Frage. In welche Richtung ist sie gekrochen? "Schaut genau hin, es ist nicht schwer", sagt Sam. Ist es doch, besonders für Besucher aus schlangen- und sandlosen europäischen Großstädten.

Sam zeigt auf ein verwelktes Blatt und auf einen winzigen Zweig entlang der Spur. Beide sind leicht verschoben, haben ihre eigenen Mini-Spuren hinterlassen. Die Schlange hat sich also von links nach rechts bewegt, befindet sich - die Spuren sind frisch - also mutmaßlich rechterhand im Gebüsch. "Kommt also bitte nicht auf die Idee, da reinzulaufen", sagt Sam streng.

Natürlich nicht - schließlich hat er der Gruppe anfangs eingebleut, im Gänsemarsch brav hinter ihm und seinem geschulterten Gewehr herzutrotten. Auf einer konventionellen Safari, also unterwegs im Jeep, schützt die Blech-Karosserie, wenn plötzlich Löwe oder Elefant vor einem stehen. Bei einer Walking Safari ist man auf die geschulten Sinne und im äußersten Notfall auf die Treffsicherheit des Rangers angewiesen.

Doch auf die großen Tiere kommt es bei einer Walking Safari auch nicht an. Nicht die Big Five, also Löwe, Elefant, Leopard, Büffel, Nashorn, sind das Ziel, sondern die Small Five: Ameisenlöwe, Nashornkäfer, Elefantenmaus, Leopardenschildkröte und Büffelwebervogel. Oder Spinnen, Mistkäfer, Warzenschweine und Tiere, von denen man noch nie etwas gehört hat, etwa die Weißschwanzmanguste, oder eben Schlangen. Alles, was man per Jeep leicht übersieht - und manchmal auch überfährt.

Crashkurs Wildnis

Vier Stunden Fußmarsch erweisen sich bald als Crashkurs in Sachen Busch. Walking Safari heißt Wildnis durchs Vergrößerungsglas: Man lernt einen Löwenabdruck von einem Gepardenabdruck zu unterscheiden, und den eines Breitmaulnashorns von dem eines kleineren Spitzmaulnashorns. Man stößt mit dem Netz einer wunderschön gezeichneten Riesenspinne zusammen und spielt tief beeindruckt mit den Fäden, die so stark sind, dass man sie als Angelschnur verwenden könnte - sagt Sam. Man entdeckt, wie sich Luftwurzler das Überleben sichern, welche Blätter sich als Busch-Toilettenpapier eignen, und welche Zweige als Ersatzzahnbürsten.

Man avanciert in kurzer Zeit zum Kot-Experten, lernt die Hinterlassenschaften der Löwen von denen der Hyänen zu unterscheiden. Nie hätte man gedacht, wie viel Spaß es machen kann, sich eine Viertelstunde über Elefanten-Dung zu beugen und einer Kolonie Mistkäfer bei ihrer putzigen Rollarbeit zuzuschauen. Und wenn sich dann auch noch der ein oder andere ausgefallene Stachelschweinstachel findet, hüpft das Herz des europäischen Großstadtbewohners endgültig höher.

Alternative zu Jeep-Safaris

Weil sie die Wildnis greifbar machen, haben sich Walking Safaris im südlichen Afrika zu einer Alternative zu Jeep-Safaris entwickelt. Zu den führenden Anbietern gehört Conservation Corporation Africa (CCA), die nach eigenen Angaben größte Ökotourismus-Organisation des Kontinents. In ihren 35 Logdes und Camps verfährt CCA nach eigenem Muster. Drei Ziele, die sich eigentlich widersprechen, sollen unter einem Hut Platz finden: Wild und Natur schützen, Gewinn machen und die lokale Bevölkerung davon profitieren lassen.

Dafür kauft oder pachtet die Organisation Land, meist Weide- oder Ackerland von Farmern, verwandelt es in ein Wildreservat und errichtet darauf eine Lodge mit exotischem Komfort, exzellenter Küche und bestens ausgebildeten Rangern. Das soll betuchte Urlauber ins Land bringen - die meisten CCA-Gäste kommen aus Europa und den USA -, die sich diesen Mix aus Luxus, Wildnis und Entwicklungshilfe etwas kosten lassen.

Einrichtung von lokalen Künstlern

Alan Bernstein und Dave Varty, zwei Südafrikaner mit Liebe zur Natur und Gespür für Geschäfte, hatten CCA 1990, also noch zu Apartheid-Zeiten, ins Leben gerufen. Ihre Idee, die einheimische schwarze Bevölkerung an ihren Projekten teilhaben zu lassen, war damals geradezu revolutionär für Südafrika. Jahrzehntelang war es üblich gewesen, die Bewohner einfach zu vertreiben, wenn es darum ging, einen Nationalpark oder ein Wildreservat zu schaffen.

Bernstein und Varty dagegen lag daran, der lokalen, meist von hoher Arbeitslosigkeit geplagten Bevölkerung von Anfang an zu zeigen, dass ihnen Tourismus Nutzen bringt. CCA bildet erst aus und baut anschließend. So gab und gibt es in den angrenzenden Dörfern Kurse in Schreinern, Schlossern, Elektrifizieren, Kellnern und Verwalten. Dann machen sich die Schreiner, Schlosser, Elektriker ans Werk, danach die Kellner und Verwalter. Fast alle CCA-Lodges sind auf diese Weise entstanden, fast alle Einrichtungsgegenstände haben lokale Künstler und Handwerker gefertigt.

Crashkurs Wildnis

Gesangseinlage vom Camp-Team

Im Camp der Phinda Walking Safari ist das gesamte achtköpfige Team, vom Manager bis zum Praktikanten, schwarzer Hautfarbe. Auch Meva, der Koch, hat in Phinda seinen Beruf erlernt. Er ist der Stolz seiner zehnköpfigen Großfamilie, sein Gehalt ihre Lebensgrundlage. Jeden Abend hat er seinen großen Auftritt: Dann schlüpft er in seine weiße Kochjacke, setzt die hohe Kochmütze auf, stellt seine riesigen gusseisernen Pfannen auf den Rost über dem Lagerfeuer und verkündet das Menü: Heute besteht es aus Kürbissuppe, Rinderfilet mit Salat und Maisbrei, gefolgt von Joghurteis - Strom hat das Camp nicht, aber einen Generator-betriebenen Kühlschrank.

Zum Amarula, dem südafrikanischen Likör, gibt es eine grandiose Gesangseinlage vom gesamten Team und ein Trommelkonzert von Sam, dem Ranger, und Bongani, dem Wasserbringer. Und später, auf dem Weg ins Zelt-Bett, noch eine Gute-Nacht-Lerneinheit: Sam zückt seinen "Leatherman", ritzt eine Baumrinde an und lässt den ausgetretenen weißen Saft probieren, der sich im Mund schnell zu einer kautschukartigen Masse verwandelt: Busch-Kaugummi.

Preisgekrönte Qualität

Das CCA-Konzept ist aufgegangen: Die Organisation erhält Auszeichnungen für die Qualität ihrer Unterkünfte und für ihren öko-sozialen Ansatz. Walking Safaris passen genau in die Philosophie von CCA. In drei seiner Wildreservate bietet CCA Walking Safaris an: in Botswana, im Nordosten Südafrikas, in Ngala, am Rand des Krüger Nationalparks gelegen, und in Phinda in der Provinz KwaZulu Natal, drei Autostunden nördlich von Durban und in Nachbarschaft zum Greater St.Lucia Wetland Park, einem Unesco-Weltnaturerbe. Phinda ist Zulu und bedeutet "Die Rückkehr", früher gab es hier riesige Ananas- und Baumwollplantagen. Inzwischen kann das Reservat mit nicht weniger als sieben unterschiedlichen Ökosystemen aufwarten, darunter Savanne, Marschland und der nur seltene trockene Sandwald.

Besuch von durstigen Elefanten

Sechs Lodges sind über das 18000 Hektar große Phinda-Gebiet verteilt, mit der Walking Safari ist ein kleines Zeltlager dazugekommen. Maximal acht Besucher finden in den vier Doppelzelten Platz. Die stehen weit auseinander und gut im Wald versteckt, so dass man seine Privatsphäre allenfalls mit Affen und Antilopen teilt. Pro Zelt gibt es zwei (sehr bequeme) Betten plus Nachttische, zwei Campingstühle, eine Kommode und vier batteriebetriebene Neon-Laternen. Eine Reißverschlusszeltwand weiter das Bad: ein Tisch, ein Spiegel, eine Blechschüssel und -kanne, Shampoo, Seife, Handtücher, eine Dusche unter freiem Himmel und erstaunlicherweise eine Toilette mit richtiger Spülung.

Crashkurs Wildnis

Zwei Mal am Tag fährt Bongani auf seiner Schubkarre einen Kanister warmes Wasser ran und füllt den Sack über der Dusche auf. Das bekamen auch bald die Elefanten von Phinda mit. Ihr feiner Rüssel kann Wasser von weitem riechen, also dauerte es nach Eröffnung des Lagers nicht lange, bis die ersten ins Lager trampelten, weil sie auf den Inhalt der Duschwassersäcke scharf waren. Seitdem sind um das Camp sehr hohe Schwachstrom-Drähte gespannt.

Kontakt zum Zeltnachbarn per Trillerpfeife

Trampelpfade führen zum Gemeinschaftszelt mit der gut sortierten Bar, dem großen Sofa und der Mini-Bibliothek. "Dass sich nachher keiner alleine auf den Weg macht", mahnt Sam noch einmal. Nach Einbruch der Dunkelheit darf man sich nur in Begleitung eines taschenlampenbewaffneten Camp-Mitarbeiters zwischen Lagerfeuer und eigenem Zelt bewegen. Ein Lichtstrahl reicht, um eventuelle Vierbeiner zu vertreiben. Nachts hält nur noch die Trillerpfeife auf dem Nachttisch im Notfall Kontakt zu den anderen. Aber eigentlich will sich jeder nur am sternenübersäten Milchstraßenhimmel berauschen und an den Geräuschen der afrikanischen Nacht, den Zikaden und Fröschen, und am nächsten Morgen von den Tippelschritten einer äsenden Antilopenherde geweckt werden.

Walking Safari heißt nicht, dass auf den Jeep verzichtet wird. Abends gibt es eine Kombination aus Gehen und Fahren, da es in Südafrika früh und schnell dunkel wird, und ein Fußmarsch durch die abendliche Wildnis zu gefährlich wäre.

Alte Zulu-Tricks

Ein Sundowner gehört bei CCA immer dazu. Sam und Xolani, sein Fährtensucher und Assistent, klappen den Campingtisch auf, legen die Tischdecke drauf, die Nüsse, das Biltong und die getrockneten Mangos und mixen Gin Tonics & Co. 30 Meter weiter grasen drei Nashörner. Mit Hilfe eines alten Zulu-Tricks hat Sam vorher die Windrichtung ausgemacht: In einer Socke, verknotet am Gürtel, trägt er Asche mit sich, verstreut ein bisschen in die Luft und weiß sofort, woher sie weht.

Riechen können die Nashörner die Besucher also nicht, sehen sowieso nicht, wegen ihrer schlechten Augen. "Die machen dort ihre Party, wir machen hier unsere", sagt er beruhigend. Erst als die Ungetüme in Richtung Savanne weiter ziehen, kriegen sie Wind von den Menschen: Sie halten kurz inne, schnuppern rüber und setzen dann desinteressiert ihren Weg fort. Eine Drohgebärde hatten wir uns schon erhofft - eine klitzekleine zumindest.

Anreise: Von Frankfurt nach Johannesburg, z.B. mit Iberia oder South African Airways ab 703, bzw. 883 Euro (Direktflug). Im Mietwagen von Johannesburg in etwa sechs Stunden zum Reservat.

Weitertransport zum Camp mit Phinda-Jeep.

Alternativ fliegt Federal Air täglich von Johannesburg direkt nach Phinda.

Reisearrangement: Das viertägige Programm umfasst einen täglichen Morgen-Fußmarsch von etwa fünf Stunden, einen kürzeren Fußmarsch vor Sonnenuntergang sowie eine Abend-Safari im Jeep. Preise umgerechnet derzeit etwa 490Euro pro Person im Doppelzelt, inklusive Safaris und Verpflegung. Die vier Zwei-Personen-Zelte

verfügen über WC, Dusche (zweimal täglich warmes Wasser), es gibt ein Gemeinschaftszelt mit Bar, Kühlschrank und kleiner Bibliothek. Reservierung: CC Africa, Tel: 0027/11/809-4300,

Fax: -4400, E-Mail: reservations@ccafrica.com, Internet: www.ccafrica.com.

In Deutschland buchbar über die Agentur smart-partners, Tel.: 02104/831969, Fax: /931968,

E-Mail: office@smart-partners.de

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: