24 Stunden in Singapur:Eine Nase voll

Ein Tag und eine Nacht - das reicht in einer schnelllebigen Metropole wie Singapur für ein kurzes Hineinschnuppern. Wenn einem nur nicht dauernd diese Stinkfrucht begegnen würde.

Tanja Rest

Von all den Schildern, denen wir in Singapur begegneten, mochten wir die akkurat bebilderte "7-Step-Handwashing-Technique" am liebsten (auf der Zoo-Toilette). Am meisten beeindruckte uns "Low Crime doesn't mean no Crime!" (an einem Stand in Chinatown, mit Piktogramm des Schussopfers). Richtig erfrischend dagegen war: "Littering encouraged" (an der Long Bar des Raffles-Hotels).

Eine Nase voll: 24 Stunden in Singapur, Reuters

Baustelle des World Sentosa Casino auf Sentosa Island vor Singapur

(Foto: Foto: Reuters)

Wenn wir jedoch gefragt werden, welche Eindrücke wir vom Südzipfel der malaysischen Halbinsel mitgenommen haben, fällt uns zuerst ein Schild ein, das im Minibus zwischen dem No-Smoking- und No-Softdrinks-Zeichen klebte. Eine stachelige Frucht, die durchgestrichen war. Und es war wie verhext: Sobald wir einmal von ihr Wind bekommen hatten, verfolgte uns die Durian-Frucht und ihr bedenkliches Odeur überall hin. Aber der Reihe nach.

9:00 Uhr - Kranland

Noch sitzen wir im Minibus, der vom Changi Airport nach Downtown fährt, und haben nicht viel Zeit. Zeitnot ist ein Hauptmerkmal des Singapur-Besuchers, denn meistens kommt er her, weil er ganz woanders hin will. Nach Thailand, Bali oder Indonesien. Singapur gilt als Drehkreuz Südostasiens: ein, zwei Übernachtungen, mehr ist in der Regel nicht drin.

Der ganze Stadtstaat kommt übrigens nicht mal auf die Fläche Hamburgs. Und weil sich so ein kleines Land immer ein wenig größer machen muss, als es ist, rasselt der Fahrer erst mal sehr viele Superlative herunter. Bedeutendster Finanzplatz Südostasiens. Zweitgrößter Containerhafen der Welt. Weltgrößtes Riesenrad. Höchste Dichte an Dollarmillionären. Und, na klar: wichtigstes Handelszentrum für Durian-Früchte. An dieser Stelle verzieht der Fahrer das Gesicht.

Was aber zuerst auffällt: In wohl keiner Stadt der Welt stehen so viele Kräne auf engstem Raum Spalier. Man baut, als sei die Wirtschaftskrise an den Landesgrenzen abgewiesen worden. Hoteltürme. Bankentürme. Wohntürme. Und einen dreiteiligen Casinoturm, der im nächsten Jahr eröffnen und natürlich eine der heißesten Spielhöllen des Universums werden soll.

10 Uhr: Mumbai

Touristen mögen so etwas eigentlich nicht, eine Stadt, die sich aufführt wie ein sich alle paar Jahre selbst verschlingender und neu gebärender Riesenorganismus. Touristen wollen Städte am liebsten so, wie sie immer schon waren. Darum landet man früher oder später zwangsläufig in Little India, einem Viertel nördlich von Downtown.

Eine Nase voll: 24 Stunden in Singapur, AFP

Straßenszene aus Little India in Singapur

(Foto: Foto: AFP)

Geduckte Ladenzeilen, in denen der übliche Mix aus Räucherstäbchen, Batiktüchern und tanzenden Shivas angeboten wird - man fühlt sich ein bisschen wie in Mumbai.

Das Aberwitzige an dieser Stadt ist ja, dass sie überall dort ganz bei sich selbst ist, wo sie etwas Fremdes in sich aufgenommen hat. Einen Stand mit Durian-Früchten gibt es natürlich auch, einige davon geöffnet. Man stelle sich einen mit ranziger Vanillesauce übergossenen Tilsiterkäse vor, der drei Tage in der Sonne gelegen hat. Ungefähr so.

12 Uhr: Wilde Orchidee I

Auch auf der Orchard Road begegnete uns die Stinkfrucht, sie prangte auf dem T-Shirt eines sehr dicken Touristen, oben drüber stand "Run!". Ehrlich gesagt sah der Mann so aus, als würde er sehr gerne davonlaufen, wie er da vor dem Paragon-Shoppingcenter stand und schwitzte - auf dieser gefräßigen Meile, die mit allen Mitteln an sein Geld wollte und ihm nur dieses eine bescheuerte T-Shirt hatte andrehen können.

Eine Nase voll: 24 Stunden in Singapur, AFP

Shopping Mall auf der Orchard Road

(Foto: Foto: AFP)

Auf der Orchard Road ein T-Shirt zu kaufen, das ist, als würde man die Yacht-Messe von Monte Carlo mit einem Schlauchboot verlassen. Das ist einfach nicht vorgesehen.

Auf 2,5 Kilometern reihen sich die Türme der Malls wie Dominosteine, die ein Riesenfinger mit einem einzigen Schnipp umstoßen könnte. In der kathedralenartigen Filiale von Prada wurden wir Zeuge, wie ein todernster Teenager mit Hilfe dreier Träger das halbe Sortiment davonschleppte.

"Orchard" heißt Orchideengarten. Aber hier wächst nur die Gier.

14 Uhr: Wilde Orchidee II

"Lady Di", stellt die Führerin vor und lächelt erwartungsvoll. "Nelson Mandela. Václav Klaus." Möglicherweise ist der Walk of Fame überschätzt. Am Ende hat man es auf dieser Erde erst geschafft, wenn sie eine Orchidee nach einem benannt haben - hier, im Botanischen Garten von Singapur.

Eine Nase voll: 24 Stunden Singapur, visitsingapore

Im Botanischen Garten von Singapur

(Foto: Foto: visitsingapore)

150 Jahre ist er alt und eine Art Gegengift zur Orchard Road: ein Ort von vollkommener Stille und Selbstvergessenheit, an dem der fiebrige Fortschrittswille pausiert und das Wachstum alle Zeit der Welt hat. Im größten Orchideengarten der Welt fängt "Margaret Thatcher" an zu zittern, wenn ihr ein Windhauch den altrosa Blütenrock lupft.

In vorauseilendem Gehorsam erkundigen wir uns nach dem Durian-Baum. Er ist 30 Meter hoch; silbriger Stamm, mandelförmige Blätter. Die Führerin sagt, es sei ein wirklich schöner Baum. Und dass sie einmal im Leben eine Durian-Frucht gegessen habe und dann nie wieder.

15.30 Uhr: Copy & Paste

An der Marina Bay ein Mal um die eigene Achse rotiert und gedacht: Ja was denn nun?! Jawohl, wir werden jetzt ein wenig ungeduldig mit Singapur. Die Märkte von Mumbai waren doch eigentlich viel schöner als in Little India, die Baustellen in Dubai genauso bekloppt und die Gucci-Highheels in der Münchner Maximilianstraße die gleichen wie in der Orchard Road.

Eine Nase voll: 24 Stunden in Singapur, visitsingapore
(Foto: Foto: visitsingapore)

Und nun dies: eine an allen Finanzplätzen des Globus zusammengeklaute bleigraue Einheits-Skyline aus Banken- und Hotelgiganten, dazwischen hoffnungslos zu groß geratene Plätze und Promenaden, nicht zu vergessen das internationale Must-have der Beschleunigung - die Zieltribüne der Formel1.

Copy & Paste lautet offenbar das Prinzip, nach dem man hier glaubt, die Zukunft heute schon abbilden zu können. Da sticht uns die Doppelkuppel des Esplanade Center ins Auge. "Stechen" passt, denn die Außenhaut ist ganz aus silbernen Stacheln zusammengefügt. Das 2002 eröffnete Kunst- und Kulturzentrum ist, man ahnt es, der Stinkfrucht nachempfunden, und das stimmt uns in diesem Moment beinahe versöhnlich.

17.00 Uhr: Sling Time

Aufs Hotelzimmer darf man Durian-Früchte übrigens genauso wenig mitnehmen wie in öffentliche Verkehrsmittel. Hat sich der heillose Gestank erst mal ausgebreitet, wird man ihn nämlich nicht mehr los.

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(Foto: Foto: iStock)

Aber wir sind ja nicht zum Übernachten ins altehrwürdige Raffles Hotel gekommen, sondern um doch noch so etwas wie Vergangenheit aufzuspüren in dieser so angestrengt geschichtslosen Stadt. Dafür bürgt hier ein einzelner Name: Sir Thomas Stamford Bingley Raffles, Sohn eines Kapitäns, Asienreisender für die East India Company.

Das stolzeste Hotel der Stadt wurde 1887 unter seinem Namen eröffnet: ein blendend weißer Kasten im Kolonialstil, der sich zwischen all den Wolkenkratzern ausnimmt wie ein Rembrandt, der versehentlich in eine Ausstellung für moderne Kunst geraten ist. An der berühmten Long Bar im ersten Stock haben schon Rudyard Kipling, Joseph Conrad und Jean Harlow gesoffen.

Außerdem hat ein Barkeeper hier vor hundert Jahren den Singapore Sling erfunden. Dieser Cocktail ist aus ähnlich vielen Zutaten zusammengerührt wie seine Geburtsstadt - im Ergebnis von himbeerroter Farbe und erschreckender Süße.

20.00 Uhr: Meeresungeheuer

"Long Beach Restaurant", eine Wand aus Aquarien, endlich wieder ein Verbotsschild: "Finger nicht ins Wasser halten!" Wäre auch schön blöd, wo man das Vieh doch gleich serviert bekommt. Truthahngroß und mit dunkler Paste einbalsamiert hockt es auf einer Silberplatte, die kolossalen Scheren ragen über den Rand hinaus. Nirgendwo sonst soll die Black Pepper Crab besser schmecken als im "Long Beach".

Eine Nase voll: 24 Stunden in Singapur, Reuters
(Foto: Foto: Reuters)

Zum Nachtisch gibt es Panacotta-Creme, die mit einem gelben Gelee überzogen ist. Den sieben Portionen, die an unserem Tisch wenig später abgeräumt werden, kann man ansehen, dass jeder Gast exakt ein Mal probiert und den Löffel dann erschrocken zur Seite gelegt hat.

Die Durian-Frucht schmeckt leider genau so, wie sie riecht.

24.00 Uhr: Durian

Auf dem Hotelbalkon blättern wir zu vorgerückter Stunde in "A Journey through Singapore", einem Band mit Reiseberichten aus dem 19. Jahrhundert. Die abenteuerlustige Amerikanerin Beatrice Borland hat in den zwanziger Jahren ganz Südostasien durchstreift und darüber das Buch "Passports for Asia" geschrieben.

Eine Nase voll: 24 Stunden in Singapur, AP

Durian-Früchte auf einem Markt

(Foto: Foto: AP)

Eine kürzere Passage über Singapur ist hier zitiert. - Was also hat Ms. Borlands Interesse geweckt, nachdem sie bereits Indochina, Siam und Borneo gesehen hatte? Waren es die im Hafen schaukelnden Handelsschiffe aus aller Welt? Die luftig-leichten Kolonnaden des Raffles Hotels? Der Menschenmix auf den Straßen?

"Wir hatten Geschichten über die Durian-Frucht gehört", schreibt Beatrice Borland. "Manche Leute hatten sich dreimal übergeben, nachdem sie versucht hatten, eine zu essen. Ich habe es probiert und kann jetzt sagen: Der Gestank war schlimmer als eine Kloake, ein Skunk und ein Misthaufen zusammen."

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