Streit in Jerusalem:Scharmützel um die Grabeskirche

Das Dach des berühmten Gotteshauses in Jerusalem ist einsturzgefährdet, doch ein erbitterter Streit der Nutzer verhindert die Reparatur.

Thorsten Schmitz

Die meisten Touristen in der Altstadt von Jerusalem sind schon froh, wenn sie im Gassen-Labyrinth nicht verlorengehen und den Eingang zur Grabeskirche finden. Es führen keine Schilder zur Kirche auf dem Golgatha-Felsen, wo die Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Jesu stattgefunden haben soll, man muss sich auf die Erklärungen der Basarhändler und auf Stadtpläne verlassen.

Streit in Jerusalem: Die Grabeskirche in Jerusalem zählt zu den wichtigsten Heiligtümern des Christentums und zieht Touristen aus aller Welt an.

Die Grabeskirche in Jerusalem zählt zu den wichtigsten Heiligtümern des Christentums und zieht Touristen aus aller Welt an.

(Foto: Foto: Lena Prieger)

Das Viertel um die Grabeskirche ist ein Irrgarten aus Wohnhäusern, Kapellen, engen Gassen und verwinkelten Mauern. Wer den Eingang dann endlich gefunden hat, wirft sich entweder gleich auf die Knie an jener Stelle, wo Jesus einbalsamiert worden sein soll, oder er stellt sich in die Schlange vor jenem Ort, ein paar Schritte weiter, wo der Gottessohn auferstanden sein soll.

Nur wenige Touristen nehmen Notiz von dem winzigen Eingang neben der Hauptkirchenpforte, der zu zwei kleinen äthiopischen Kirchen führt. Die weiß gekleideten Priester sind über jeden Besucher froh. Gerne weisen sie auch den Weg auf das Dach, wo das Deir-al-Sultan-Kloster steht und der originalgetreue Nachbau eines äthiopischen Dorfes - inklusive der Kirche, 26 Lehmhäusern, Bäumen und einem (funktionsuntüchtigen) Brunnen. In den Gebäuden leben rund zwei Dutzend äthiopische Mönche.

In den vergangenen Tagen haben sie für Schlagzeilen gesorgt. In einem Brief an das israelische Innenministerium und den für Jerusalem-Fragen zuständigen Minister Rafi Eitan warnte Erzbischof Matthias von der Äthiopischen Kirche nun vor Gefahren für Mönche und Touristen: Das Kloster sei vom Einsturz bedroht.

Der Boden ist das Dach

Pikant daran ist, dass der Boden, auf dem sich das 1875 errichtete Kloster und die aus Lehm gebauten Mönchsunterkünfte befinden, zugleich Teil des Daches der Grabeskirche ist. Sollte also das äthiopisch-orthodoxe Deir-al-Sultan-Kloster zusammenstürzen, könnten Teile des Grabeskirchen-Daches bröckeln. Erzbischof Matthias hatte einen Bericht zur Baustatik des Klosters anfertigen lassen. Ein Ingenieurbüro kommt darin zu dem Schluss, dass Eile geboten sei für eine grundlegende Renovierung.

Doch die israelische Regierung, die für den Erhalt der religiösen Stätten in Jerusalems Altstadt verantwortlich ist, koppelt eine Instandsetzung des äthiopischen Klosters an eine Forderung: Die äthiopischen Christen sollen erst ihren jahrzehntelangen erbitterten Streit mit den koptischen Christen aus Ägypten beilegen, deren Konvent an die äthiopische Kirche grenzt.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum eine Holzleiter seit dem 19. Jahrhundert an einem Fenster der Grabeskirche lehnt und nicht verrückt werden darf.

Scharmützel um die Grabeskirche

Die beiden Kirchen streiten sich seit langem um Nutzungsrechte und Eigentumsfragen. Vor sechs Jahren musste der Oberste Gerichtshof in Jerusalem einem ägyptischen Priester erlauben, dass er zwischen dem Deir-al-Sultan-Kloster und den Mönchszellen aus Lehm sitzen darf. Monatelang wurde der 72-Jährige von israelischen Polizisten begleitet, wenn er einen Schemel aufs Dach der Grabeskirche trug und dort die Mittagssonne genoss - unter argwöhnischen Blicken der äthiopischen Mönche.

Streit in Jerusalem: Äthiopisch-orthodoxe Mönche feiern eine Zeremonie.

Äthiopisch-orthodoxe Mönche feiern eine Zeremonie.

(Foto: Foto: Reuters)

Die Grabeskirche, die wichtigste Kirche des Christentums, hat seit ihrer Errichtung durch Kaiser Konstantin 335 immer wieder zu Streitereien zwischen verschiedenen christlichen Konfessionen geführt. Seit dem Jahr 1852 regelt ein osmanisches Gesetz die Besitzansprüche in und an der Grabeskirche. Das Gesetz wurde von Israel übernommen.

Die Kirche teilen sich - wie die Bethlehemer Geburtsbasilika - die römisch-katholische und die griechisch-orthodoxe Kirche sowie die Armenier und die kleineren christlichen Konfessionen der Kopten, Syrer und Äthiopier. In fast 2000 Vorschriften und Regelungen ist festgehalten, wer wann und wo welche Liturgien abhalten darf. In dem Konvolut an Vorschriften wird jede einzelne Treppenstufe der jeweiligen Konfession zugeordnet, selbst das Anzünden von Kerzen ist paritätisch geregelt. Nur der Schlüssel zum Haupteingang der Grabeskirche befindet sich nicht in der Hand der Christen. Den einzigen Zugang verwaltet gemäß der Tradition eine muslimische Familie.

Eine unverrückbare Holzleiter

Die Äthiopier weigern sich nun, dem Druck der israelischen Regierung nach einer Einigung mit den ägyptischen Kopten nachzugeben. Die Kopten besäßen keine Rechte am Deir-al-Sultan-Kloster, schreibt der äthiopische Erzbischof Matthias.

Die ägyptischen Kopten wiederum beanspruchen das Kloster für sich. Die äthiopische Kirche hatte es übernommen, nachdem vor etwa 150 Jahren die ägyptischen Mönche bei einer Pestepidemie ums Leben gekommen waren.

Eine Einigung zwischen Ägyptern und Äthiopiern scheint in weiter Ferne zu liegen. Der Versuch Israels etwa, eine schlichte Holzleiter, die seit dem 19. Jahrhundert an einem der oberen Fenster der Grabeskirche lehnt, an einen sichereren Ort zu stellen, scheiterte am jahrelangen erbitterten Widerspruch der sechs Kirchenbesitzer. Weil man sich nicht einigen konnte, wer die Leiter bewegen dürfe, steht sie noch immer über dem Haupteingang zur Grabeskirche.

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