Strandbäder in Italien:Wenn ein Tag am Meer zum Luxus wird

15 Euro die Liege, 20 Euro der Sonnenschirm pro Tag: Italiener protestieren gegen exklusive Strandbäder und das Geschäft mit einem nationalen Gut, das eigentlich allen zugänglich sein sollte.

"Stehen Sie bitte auf, Signora, Sie können hier nicht bleiben." Am Strand von Alassio im Norden Liguriens vertreibt ein Badeaufseher eine Schwangere, die ihrem Kleinen beim Spielen zuschaut. Grund ist eine städtische Verordnung, die die Nutzung des Ufers an Privatstränden untersagt. Wer hier nicht für einen Sonnenschirm bezahlt, darf höchstens durchspazieren, aber nicht Halt machen.

Die Szene erhitzte die Gemüter in ganz Italien. Ist sie doch symbolisch für die zunehmende Privatisierung der Strände des Landes. Seit 2006 gilt in Italien zwar ein Gesetz, das "freien und kostenlosen" Strandzugang garantiert. Doch wird dieses zunehmend zugunsten privater Interessen ausgehöhlt. Nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF stieg die Zahl privat betriebener Strände von 5568 im Jahr 2001 auf mehr als 12.000 heute. Strandbäder mit Miet-Sonnenschirmen und -Liegestühlen für durchschnittlich 15 bis 20 Euro täglich belegen inzwischen 900 der 4000 Kilometer Badestrände.

Enorme Profite für einen kleinen Kreis

"Strandbäder florieren und ans Meer zu gehen ist zum Luxus geworden", warnt Grünen-Chef Angelo Bonelli. Für städtische Regionen, die von der Privatisierung besonders betroffen sind, verlangt er eine "Wiederherstellung des Gleichgewichtes von 50% öffentlich und 50% privat". Die Italiener sollten "die Meeresküste zurückerobern, damit sie sich kostenlos auf eine Bank setzen und den Sonnenuntergang anschauen können". "Das Geschäftemachen mit diesem kollektiven Gut hat einem kleinen Kreis enorme Profite gebracht und gleichzeitig die Küsten-Ökosysteme geschwächt", warnt Gaetano Benedetto von der italienischen Sektion des WWF.

Viele Bürger haben sich damit abgefunden, fürs Baden bezahlen zu müssen. In Ostia in der Region Latium geht Marina mit Mann und Tochter jeden Dienstag ans Meer. Dort, am Hausstrand Roms, bezahlen sie 20 Euro pro Tag für Liegestuhl und Sonnenschirm. "Ich bin keine Stammkundin, aber ich bin bereit, einmal in der Woche für die Annehmlichkeiten zu zahlen", sagt sie. Sabrina hat für ein Sechs-Personen-Jahresabo mit Kabine, Sonnenschirm und zwei Liegestühlen sogar 1800 Euro hingelegt. Und das ist es ihr wert: "Die Atmosphäre ist familiär und ruhig", sagt die junge Frau.

Die Römerin Elisabetta besucht seit ihrer Kindheit die Privatstrände von Ostia. An den öffentlichen, "von den Behörden aufgegebenen Stränden" will sie ihr Handtuch nicht ausbreiten: "Der Staat ist unfähig, die öffentlichen Räume zu bewirtschaften. Es gibt keine Alternative." Ein Strandbadbetreiber sieht dies ebenso: "Verantwortlich für diese Situation ist der Staat, der die Verwaltung seines Vermögens nicht gewährleisten will und sie lieber in private Hände gibt."

"Zwei Prozent Privilegierte"

Nun formiert sich Protest. In Rom, wo laut Bonelli "80% der Badezonen privatisiert sind", starteten die Grünen ein Referendum gegen private Strandabschnitte. In Neapel begannen Bürger mit der Einrichtung eines öffentlichen Strandes auf einem verlassenen Industriegelände. "Wir vertreten die 98% Neapolitaner mit Badehose, die gezwungen sind, fürs Baden zu bezahlen, gegen die zwei Prozent Privilegierten mit einem Boot", sagt Mauro Forte von der Bürgerinitiative "Ein Strand für alle", die die wachsende Zahl von Hafenanlagen anprangert. Auch Bonelli betont: "In Rio de Janeiro ist der Zugang zur Copacabana kostenlos, für den Millionär wie für die Bewohner der Favelas." In Italien hingegen könnten sich zahlreiche von der Krise betroffene Bürger einen Tag am Meer nicht mehr leisten.

Weniger Urlauber, kürzere Ferien

Doch die von der Regierung geförderte Entwicklung verkehrt sich ins Gegenteil. Viele Strandbadbetreiber melden sinkende Einnahmen, weil die Kunden ausbleiben. Schätzungen des Verbraucherschutzverbands Codacons zufolge werden 44 Prozent der Italiener 2012 ganz und gar auf den Sommerurlaub verzichten. Das seien 2,5 Millionen mehr als Vorjahr. Und damit nicht genug: 80 Prozent der Reisenden werde darüber hinaus ihre Ferien verkürzen. "Wer sich vorher zwölf bis 15 Tage Ferien in Italien oder im Ausland leisten konnte, wird in diesem Jahr nicht mehr als zehn Tage Urlaub machen", erklärte ein Sprecher des Verbandes. Bei denen, die zuvor neun bis zehn Tage ans Meer gefahren seien, seien 2012 nur noch sieben Tage drin.

Kein Wunder, dass der Verband der italienischen Strandverkäufer Fiba-Confesercenti (Federazione Italiana Imprese Balneari) Schlimmstes befürchtet. 30.000 Betriebe sind der Federazione zufolge nach einem schlechten Saisonbeginn von der Schließung bedroht. Unter den 30.000 seien nicht nur Gastronomiebetriebe, sondern auch zahlreiche der insgesamt 12.000 Strandbäder.

Englischkurse im Strandbad

Noch Anfang Juli konnte man auf der Webseite vieler Seebäder problemlos buchen. Ein renommierter Strandclub in Genua hatte noch bis zum Freitag 179 freie Plätze zu bieten - für die Hochsaison ein Unding. Und so macht die Krise erfinderisch. Der Sporting Club Gianni Bazzurro in Genua etwa wirbt mit Gratis-Englischkursen am Strand und einem Stundenpreis für Sonnenliegen. Im ligurischen Celle Ligure wird nach Wetter bezahlt: Ist es wolkig, sinkt der Preis. Und an den überfüllten Massenstränden in Ostia bei Rom gibt es in diesem Jahr gar den Sonnenschirm auf Raten: 40 Euro pro Person pro Monat.

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