Städtereise in Italien:Hinter Venedigs edlen Fassaden

Enjoy the Silence: Venice

Das Herz der Serenissima: der Dogenpalast. Adelige Kaufleute entfalteten hier Macht und Reichtum. Davon legen die Kunstsammlungen heute noch Zeugnis ab.

(Foto: Vittorio Zunino Celotto/Getty)

Während der Biennale bekommen Besucher auch ganz besondere Zugänge zu den alten Kunstschätzen der Lagunen-Stadt.

Von Kia Vahland

Eine Reise zur Venedigbiennale lohnt immer, auch wenn die Kunst dort einmal nicht ganz überzeugen sollte. Denn dann ist da noch das größte Kunstwerk: die Stadt selbst. Das Arsenale, die alten Werftanlagen, in denen ein Teil der Biennale spielt. Die erst von Napoleon angelegten Giardini, wo sich die meisten Länderpavillons versammeln, die grüne Lunge im Stadtosten. Der Dogenpalast in seiner marmornen Herrlichkeit.

Gegenüber auf dem Inselchen San Giorgio Maggiore der Turm, von dem man den besten Blick hat, bis zum Hinterland und den Bergen im Norden. Dann, als Kontrast, die verwinkelten, dunklen Gassen, in denen sich Besucher auch mit Navigationsgerät noch verlieren, bis irgendwann aus dem Nichts heraus eine Fondamenta, eine Uferpromenade auftaucht.

Oder eine der Kirchen, denen Geld fehlt für Restaurierungen, die aber mit Werken von Giovanni Bellini, Tullio Lombardo, Sebastiano del Piombo und Veronese gefüllt sind. Mit Schätzen also, die unerreichbar und unverständlich bleiben für die Oligarchen, die ihre haushohen Yachten zu Biennalebeginn in Sichtweite des Markusdoms parken, und am Ende dann irgendeinen Hype kaufen, der nur für eine Kunstsaison angesagt ist.

In Venedig sammelt sich zur Biennalezeit das große Geld. Gleichzeitig führt die alte Handelsmetropole allen vor Augen, wie wenig wert rein materieller Reichtum ist im Angesicht einer hellblauen Wasserlinie, welche die gotisch geschwungenen Häuser umspült und dann, irgendwo am Horizont der Lagune, mit dem kaum bewölkten Himmel verschmilzt.

Eleganz und Stil bewahren die Venezianer auch angesichts der endlosen Touristenströme

Hier zählte Reichtum immer schon weniger als Eleganz und Stil, und es gehört zur eigentümlichen Widerstandskraft der Lagunenstadt, auf diesem Prinzip auch angesichts nicht enden wollender Touristenströme zu beharren. Selbst der Tagesgast, der nur in eine der überteuerten Gondeln steigt, bekommt davon eine Ahnung: Sein Blickwinkel rutscht tiefer, er sieht die oft abgeblätterten, aber immer noch prächtigen Fassaden von vorne und von unten, aus der Perspektive also, für die sie in der frühen Neuzeit gebaut wurden.

Während der Biennale sind Paläste geöffnet, in die man ansonsten nicht hineinkommt. Im Palazzo Cavalli-Franchetti am Canal Grande etwa ist der irakische Pavillon in einer filigranen Forschungsbibliothek untergebracht, in den Nachbarräumen residiert die venezianische Wissenschaftsakademie (https://ruyafoundation.org). Das Gebäude aus dem 16. Jahrhundert wurde im 19. Jahrhundert, wie so viele, im neugotischen Stil überarbeitet; die Treppe und die Inneneinrichtung lassen schon den Jugendstil ahnen.

Andere Häuser sind immer offen, weil sie private oder öffentliche Sammlungen beherbergen. Manche bieten ein Rahmenprogramm zur Biennale, das oft mit den ständig ausgestellten Exponaten nicht mithalten kann. Das aber macht nichts, geht es den Kuratoren doch nur darum, überhaupt Besucher in die kleinen Museen zu locken - wo viele mit Dogenpalast, Markusdom, Rialto ausgelastet sind.

Trotz allem: die unverwechselbarste aller Kunststädte

Das städtische Museo Correr am Markusplatz wirbt gerade mit einer pathetischen Ausstellung der iranischstämmigen Foto- und Videokünstlerin Shirin Neshat (http://correr.visitmuve.it). Um dort hinzugelangen, müssen die Besucher durch die stadthistorische Sammlung schlendern. Das düstre Vitrinensystem ist veraltet, und auf manchen frei stehenden Rahmen muss man erst einmal den Staub wegpusten.

Wer sich nicht abschrecken lässt, lernt viel über das alte Venedig. Man sieht die Plateauschuhe und, tatsächlich, Stelzen, auf denen Edelfrauen um 1500 durch Salons stolperten. Straßen gab es kaum, nur kleine Gassen für die Bediensteten. Eine Dame von Stand ließ sich über die Kanäle rudern, in mit Samt und Seide ausgekleideten Gondeln. Die auch ausgestellten, tief ausgeschnittenen Kleider zeigen, mit wie viel schneiderischer Raffinesse es wohlhabenden Venezianern gelang, die in der Republik geltenden Luxusverbote zu umgehen. Welche Kunstschätze sie zudem anhäuften, lässt sich in der Gemäldegalerie und in der Antikensammlung des Museo Correr erahnen. Letztere gibt immer wieder den Blick frei auf den Dogenpalast, das Herz der Serenissima.

Venedig war eine Republik, der Doge wurde gewählt. Entsprechend mächtig waren die Adeligen, die als Kaufleute und Besitzer von Handelsschiffen ökonomisch reüssierten und in den Scuole, den Laienbruderschaften, Einfluss in religiösen Fragen genossen. Alle Scuole anzuschauen, wäre eine eigene Reise. Ein Abstecher aber zu der von Jacopo Tintoretto ab 1575 komplett ausgemalten Scuola Grande di San Rocco ist bei jedem Biennalebesuch drin (www.scuolagrandesanrocco.org).

Tintoretto hatte sich den Auftrag erschlichen, indem er das erste Deckengemälde umsonst malte - und dann Stück für Stück die Herren Entscheider der Scuola süchtig machte nach seinem verwegenen, himmelsstürmenden Stil. Wo solch ein fruchtbarer Größenwahn herkommt, lässt sich nebenan in der Frarikirche bewundern. Kein Altarwerk verkörpert den freudigen Stolz der angeblich von Maria persönlich beschützten Stadt besser als Tizians gigantische "Mariä Himmelfahrt" von 1518 (www.basilicadeifrari.it).

Bei so viel himmlischer Hilfe, meinten die Venezianer der Renaissance, kann die Stadt nicht untergehen. Heute leben nur noch ein paar Zigtausend Venezianer hier, und sie sehen die Touristenströme und die ökologischen Probleme der Lagune mit Sorge. Trotz allem aber bleibt die Stadt sie selbst: die unverwechselbarste aller Kunststädte, auch und gerade zu Biennalezeiten. (Noch bis 26. November.)

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