Städtereise an der Donau:Was ist eigentlich mit Bratislava?

Bratislava

Blick auf Bratislava: links das "Ufo", rechts die Altstadt mit Burg.

(Foto: kaycco - stock.adobe.com)

Zwischen Prag, Wien und Budapest liegt ein touristisches Bermudadreieck: Bratislava. Zeit für eine Reise in die Donaustadt, die viele noch übersehen.

Von Irene Helmes

Wer vom Ufo aus auf Bratislava blickt, spürt direkt, wie sehr diese Stadt in Bewegung ist. Immer wieder vibriert der Boden, schwankt die Kapsel leicht, fast 100 Meter über dem Donauufer. Kein Grund zur Sorge: Die Aussichtsplattform steht sicher auf Stelzen verankert an der "Brücke des Slowakischen Nationalaufstands". Im kühlen Dekor der Skybar werden zu Loungemusik Getränke serviert und der Rundumblick reicht an klaren Tagen bis 100 Kilometer weit.

Es passt aber, dass dieses Wahrzeichen wirklich "Ufo" heißt. Wie hineingeworfen wirkt der futuristische Brückenturm aus Ostblockzeiten in Bratislavas ohnehin wilden Mix aus Mittelalter, K&K-Charme, Jugendstil, Plattenbauten und Moderne aus Glas und Stahl.

Vom Ufo aus also, unter dem die Donau von Wien weiter nach Budapest fließt, kann man alles überblicken: die bildhübsche Altstadt mit dem Burghügel, ihre gigantische Plattenbau-Antipode Petržalka, die kleinen Weinberge, die noch zwischen den Villen an den Hängen im Norden liegen, ein rätselhaftes Graffito namens "Horst" auf einer Mauer am Wasser, die waldigen Hügel Österreichs im Westen oder auch die qualmenden Raffinerien Richtung Ungarn im Südosten.

So viel man von hier aus sehen kann, so diffus ist bei den meisten die Vorstellung von Bratislava, bevor sie dorthin reisen. Zwar liegt die slowakische Hauptstadt auf der Route der beliebten Donau-Kreuzfahrten und direkt an zwei Landesgrenzen, gleichzeitig aber in einer Art touristischem Bermudadreieck zwischen den unvermeidlichen Schönen Prag, Wien und Budapest. Nun ist ein besonderes Jahr gekommen. 2018 bedeutet: aktuell massive politische Umwälzungen, zugleich die Erinnerung an 25 Jahre Hauptstadt der souveränen Slowakei, 50 Jahre Prager Frühling - und 100 Jahre, seit Bratislava am Ende des Ersten Weltkriegs noch Pressburg hieß und sich erst vom untergehenden Habsburgerreich lösen musste.

Wie ist sie also, die ewige kleine Stadt an der Grenze?

Zugleich "gehypt und vergessen", findet Michal Hvorecky. Er wurde 1976 in Bratislava geboren und hat mit Unterbrechungen sein bisheriges Leben hier verbracht - 13 Jahre Realsozialismus, eine aufwühlende Wendezeit und den Weg in den Turbokapitalismus inklusive. "Die Grenzerfahrung ist hier vielleicht das Grundsätzliche", erzählt der Schriftsteller in seinem hellen Büro im örtlichen Goethe-Institut. Befinde man sich doch immer an einer Schnittstelle, zwischen deutschsprachiger und slawischer Welt, im Krieg einst an der Front zum Nazi-Reich, dann an der Kante des Eisernen Vorhangs.

"Noch vor hundert Jahren war Bratislava eine mehrheitlich deutschsprachige, österreichisch-ungarisch-jüdische Stadt", erinnert er. Erst durch das dramatische 20. Jahrhundert wurde diese Vielfalt weitgehend zerstört, wurde die Bevölkerung fast homogen slowakisch. Die ungewöhnliche Lage "in der Ecke" des Landes trage bis jetzt dazu bei, dass Bratislava "nicht nur eine geliebte Stadt" sei.

Was früher war, diese "unglaublich reiche Geschichte", das sei "inzwischen eine vergessene Welt" für viele Slowaken, glaubt Michal. Für ihn ist es deshalb "auch eine Spurensuche, hier zu leben - es gibt immer noch viel zu entdecken, nicht wie in größeren Städten, wo schon alles recherchiert ist".

Auch für Touristen ist nicht eindeutig, was sie erwartet. Wenn sie per Schiff anlegen, gibt es keine majestätischen historischen Brücken oder opulenten Uferzeilen zu bewundern wie in Budapest. Auch zeigt sich Bratislava am Ufer zurückhaltender als Belgrad mit dessen Armada an Partybooten. Stattdessen liegt da zum Beispiel ein Abenteuerspielplatz, daneben laufen Jogger einen Fitnesspfad entlang. Nebenan im historischen Zentrum gibt es noch einen altmodischen Hutladen oder einen Optiker neben schicken Bistros und urigen, aber teils auch touristisch-ramschig wirkenden Bierkneipen. Wer an einem Werktag Ende des Winters durch die Altstadt spaziert, tut das zudem ziemlich alleine. Besucher sind zu dieser Jahreszeit rar. Und die Einheimischen gehen ihren Jobs nach, oft in den Bürotürmen am Rande des Zentrums.

Wie Maria Kecsoova. Sie nimmt sich nach der Arbeit und einem Yogakurs Zeit für ein Treffen. Im "Urban House", einer der vielen Altstadtbars, die in den vergangenen Jahren aus dem Boden geschossen sind, herrscht auch an einem Dienstag-Feierabend reger Betrieb, modische Gäste nippen in betont unaufgeregt-stylischer Umgebung an ihren Drinks. Die 30-Jährige gehört schon zu der Generation ohne eigene Erinnerung an den Ostblock, weitgereist und weltoffen, mit internationalem Freundeskreis. Was aber auch sie kennt, sind die gemischten Gefühle der Slowaken ihrer Hauptstadt gegenüber. "Ich dachte immer, ich sei die einzige, die diese Stadt wirklich mag", erinnert sie sich an die Zeit, als sie zum Studium aus ihrem Heimatdorf herzog. Das Motto vieler Neuankömmlinge sei eher, "ich bin zum Geldverdienen da, und danach nichts wie weg hier". Die Einheimischen hätten umgekehrt entsprechende Vorurteile. Sie dagegen habe sich auf Anhieb wohl gefühlt, erzählt Maria, und langweilig sei Bratislava seit 2006 auch nie geworden - ganz im Gegenteil.

Auf in die raueren Ecken

Ständig poppen hier neue Lokale auf, es gibt inzwischen eine vorzeigbare Bar- und Cocktailkultur (samt Orten wie einer "geheimen Bar", dem Michalska Cocktail Room, zugänglich an manchen Abenden durch eine Schranktür im Obergeschoss eines normalen Lokals). Und dann erst das tolle Essen, ob Fine Dining oder Streetfood. Anderes Beispiel: "Als ich hier neu war, hat man fast nie Englisch auf der Straße gehört, heute ist es in der Altstadt häufiger als Slowakisch." Nicht nur wegen der Touristen, sondern mehr noch dank der Expats aus aller Welt, die von internationalen Firmen angelockt wurden.

Bewegung komme außerdem durch die vielen jungen Selbständigen. "Die Start-Up-Leute arbeiten ja gerne vom Café aus", sagt Maria lächelnd, "auch das hilft der Gastro-Szene". Sie selbst hat ihre Leidenschaften für Couchsurfing, Englisch, Schreiben und Fotografieren mit Freundinnen für einen Stadt-Blog kombiniert, ohne ihren Job in der Kommunikationsabteilung eines großen Konzerns dafür aufzugeben. "Welcome to Bratislava" ist eine erfolgreiche Seite geworden zu Gastronomie, Nachtleben und Sehenswürdigkeiten.

Slowaken wie Ausländer könnten hier das Leben genießen, findet Maria, und möchte die schönen Seiten ihrer Stadt bekannter machen. Zum Glück, erzählt sie, habe sich auch die Sache mit den Junggesellenabschieden wieder beruhigt. Man höre nicht mehr oft von betrunkenen Briten, die in historischen Brunnen baden, und "selbst wenn im Sommer die Reisegruppen kommen, zum Beispiel mit österreichischen Rentnern oder asiatischen Familien, stören die eigentlich nicht." Es ist immer noch genug Platz für alle da - ein Gefühl, das in Städten wie Prag schon verloren ist.

Wie viel die Gäste wiederum von Bratislava mitbekommen, ist die andere Frage. Die meisten reisen zu einem Tagesausflug aus Wien an oder machen bei einer Flusskreuzfahrt Station, bevor sie abends wieder ablegen. Eher wenig Zeit also für Erkundungen jenseits der üblichen Stationen Altstadt-Burg-Souvenirladen-Kirche-Café.

Besser verstehen kann die Stadt aber nur, wer auch ihre Platten und rauen Ecken besucht - wie Peter Chrenka seinen Gästen beweist. Der 36-Jährige hat mit seinem Bruder und Freunden "Authentic Slovakia" gegründet, um Führungen abseits des Mainstreams anzubieten, für Menschen, die es genauer wissen wollen. An diesem sonnigen Tag steht Peter grinsend neben einem Škoda 110 L, Baujahr 1974. Der gehörte schon seinem Großvater und dient mittlerweile als Touristenschaukel.

Eine seiner Spezialitäten ist die "Post-Communist Bratislava Tour". Peter weiß noch, wie merkwürdig es sich als Kind anfühlte, vom Stadtrand aus die freien, österreichischen Fischer zu beobachten, während auf der eigenen Seite Soldaten patrouillierten. 1982 geboren, verbrachte er zwar seine ersten beiden Lebensjahre in Libyen, weil seine Eltern damals im befreundeten Staat als Lehrer arbeiten durften. Doch es ging schnell zurück in die Tschechoslowakei und seither lässt Bratislava den ehemaligen Philosophiestudenten und heutigen Fremdenführer nicht mehr los. In seiner Stadtlandschaft spielen weniger die hübschen Gassen oder die schicken Lokale eine Rolle als vielmehr alte Industriegelände, die langsam gentrifiziert werden, verlassene Bunker, bröckelnde Fassaden. Ein Detail reicht, und schon sprudelt eine Geschichte aus ihm heraus.

"Schau mal, die alten Autoreifen", ist zum Beispiel ein guter Anfang. Peter hat den Wagen auf einer Abrissfläche am Rande von Petržalka angehalten und erklärt neben den Relikten einer einstigen Gummifabrik, welche Rolle einst die Industrie im Viertel spielte. Hier auf der südlichen Seite der Donau, im größten sozialistischen Plattenbauprojekt Mitteleuropas, leben heute mehr als 100 000 Menschen. Hinter den Mietskasernen, wo an der Grenze einst Lebensgefahr drohte, franst Bratislava nun unspektakulär in eine flache Wiesenlandschaft aus.

Momentan wird extrem viel abgerissen und neu gebaut, ist viel Geld im Spiel. Denn auch in Petržalka hat sich einiges getan. Besonders in den 90er Jahren galt das Viertel als die Bronx Bratislavas, geprägt von Drogen und Kriminalität, erinnert sich Peter. Entsprechend trüb zeigten sich die Platten noch vor 15 Jahren. Seit diesem Tiefpunkt aber ist Petržalka bunter, sauberer und lebenswerter geworden, inzwischen dominieren Rot-, Gelb- und Grüntöne. Ironie der Geschichte, dass sich schon wieder ein anderer Trend abzeichnet: Die Architekten setzen im immer beliebteren Viertel nämlich wieder gerne auf eine altbekannte Farbe: Grau.

Vielen liegt nun aber auch daran, Spuren aus dem Sozialismus zu bewahren. So habe eine Initiative kürzlich dank Crowdfunding ein überstrichenes sozialistisches Fassadengemälde wiederhergestellt. Manche Gebäude gelten jetzt als architektonische Hingucker. Nach einer kurzen Fahrt über die Ufo-Brücke an der Altstadt vorbei steuert Peter den unverwüstlich knatternden Škoda in Richtung Rundfunkgebäude - eine umgedrehte, rostfarbene Pyramide -, und zum Freiheitsplatz. Dort wurde vor Jahrhunderten Wein angebaut, später exerzierten die Soldaten der K&K-Monarchie. Hinter dem Eisernen Vorhang hätten die Einheimischen den Ort dann "Sahara" genannt, so staubig und öde war es dort zeitweise, bis die Kommunisten als Symbol für "Kameradschaft" und "Freundschaft" den Springbrunnen mit einer riesigen Lindenblüte aus Stahl installierten.

Durch ein Villenviertel, wo der Politiker Alexander Dubček einst fast in Nachbarschaft mit seinem Kontrahenten Vasiľ Biľak wohnte, geht es hoch bis zu dem Punkt, der außer dem Ufo wohl die beste Aussicht bietet. Das Slavín, größtes Weltkriegsdenkmal Mitteleuropas, das noch heute an die Tausenden Soldaten der Roten Armee erinnert, die bei der Befreiung der Stadt von den Nazitruppen starben und hier begraben sind.

Kleine Schwester, ganz groß?

Bratislava ist aber auch dabei, die glücklicheren Seiten der Vergangenheit neu zu würdigen. Das Hotel Arcadia etwa, eines der schönsten der Stadt, liegt in einem Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, das sorgsam restauriert und modernisiert wurde. Bäcker bringen die süße Spezialität "Pressburger Kipferl" wieder ins Bewusstsein. Und zum Jubiläumsjahr feiern die Slowakei und Österreich die Verbindung ihrer "Zwillinge" mit dem Kunstprojekt "T.R.A.M. - Zeitreise Wien-Pressburg". Dabei pendelt bis November ein künstlerisch gestalteter Zug zwischen den Hauptstädten.

Autor Michal Hvorecky glaubt sowieso, dass man Gästen Bratislava touristisch gesehen "viel mehr als Kulturstadt, als kleine Schwester von Wien" zeigen könne. Es gebe schließlich - oft deutlich günstiger als in den Nachbarländern zu besuchen - großartige Orchester, Konzertsäle, zwei Opernhäuser, Museen, viel visuelle Kunst und eine lebendige Off-Szene. Ganz zu schweigen von den Ausflugsmöglichkeiten, schwärmt der Schriftsteller. Die Donau mit Sehenswürdigkeiten wie der Burg Devín und viel Grün, die Kleinen Karpaten, nur drei Stunden weiter die Hohe Tatra - all das sei immer noch eher Geheimtipp. Dabei "sind wir hier in einer wirklich schönen Ecke Europas".

Tipps für Bratislava

Essen und Trinken: Zum Frühstücken, aber auch später am Tag beliebt ist das "Mondieu Laboratoire", das ganz auf organische und hippe Speisen setzt. Junge Küche bietet ebenfalls das "Fach" - mit Saftbar, Bistro, Bar und Restaurant unter einem Dach. Kaffee, Snacks und Drinks gibt es im "Urban House". Auf dem englischsprachigen Blog "Welcome to Bratislava" werden etablierte Lokale sowie Neueröffnungen vorgestellt.

Pause mit perfektem Ausblick: Im "Ufo" an der Donaubrücke Most SNP mit 360-Grad-Aussichtsplattform und Restaurant/Bar auf 95 Metern Höhe. Die Fahrt im Lift nach oben kostet ohne Ermäßigung 7,50 Euro. Mehr unter www.u-f-o.sk

Touren abseits der Altstadt z.B. mit "Authentic Slovakia Tours" von Peter Chrenka und Kollegen, mehr unter www.authenticslovakia.com

Übernachten z.B. im Arcadia Hotel. Das Hotel befindet sich mitten in der Altstadt in einem historischen Gebäude aus dem Mittelalter, das aufwändig restauriert und modernisiert wurde.

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