Spielplatz Alpen:Klettersteig ins Spital

Auf den modernen Klettersteigen der Alpen tummeln sich viele Ahnungslose, die durch ihre Selbstüberschätzung nicht nur sich selbst in Gefahr bringen. Ein Bergbesuch in der Schweiz.

Dominik Prantl

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Klettern in der Schweiz

Quelle: AP

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Es könnte alles so schön sein. Die Sonne wirkt mit einer Kraft, als wolle sie die Schnee- und Gletscherrudimente auf dem gegenüber liegenden Titlis regelrecht wegbrennen. Weit unten im Tal liegt wie die Bühne eines antiken Theaters die Gemeinde Engelberg, eingebettet in Zuschauerränge aus Felsen.

Die Betreiber der Brunnibahn haben daraus ein Theater für Familien gemacht, mit Sommerrodelbahn, Kinderspielplatz und einem Barfußweg namens Kitzelpfad um den Härzlisee. Es ist wirklich ein Flecken Erde, an dem es sich aushalten lässt. Aber heute nicht, denn es ist Samstag.

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Der Einstieg

Unweit der Brunnihütte steht diskutierend eine fünfköpfige Familie, nennen wir sie Familie Strebsam. Herr Strebsam hat sich offenbar in den Kopf gesetzt, den Zittergrat zu gehen, einen kurzen, aber knackigen Klettersteig mit überhängenden Abschnitten. Frau Strebsam fragt einen Passanten: "Wissen Sie, ob dieser Steig Stahlstifte hat? Unser Kleinster hat damit Probleme." Der Kleinste ist etwa fünf Jahre alt. Der Passant sagt deshalb: "Das hat überhaupt keinen Sinn."

Frau und Herr Strebsam streiten sich daraufhin eine Weile, worauf der Papa mit den beiden Älteren in Richtung Zittergrat marschiert, die sportliche Mama mit dem Kleinsten den Brunnistöckli-Klettersteig wählt. Es ist die einfachere Variante, der Weg für die Mehrheit.

Schweiz Engelberg Titlis Klettern

Quelle: online.sdereise

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Früher waren Felswände das Terrain für Spezialisten, heute sind ihnen Zügel für die großen Massen angelegt. An Stahlseilen eingehängt, hangeln sich Berggänger über Eisenklammern und Stahlstifte an den gezähmten Felsen entlang.

Ob drahtige Rentner, bedingt schwindelfreie Marathonläufer oder kraftlose Muttis - beinahe jeder kann die Wand hochgehen. Viele Bergbahnbetreiber und Tourismusverbände zählen Eisenwege inzwischen ebenso zur Grundausstattung wie ein vernünftiges Wanderwegenetz.

Gedeckt scheint der Bedarf trotzdem noch lange nicht zu sein, denn am Wochenende kommt es an den Stahlseilen zum Klettersteigstau. Am ersten felsigen Stück des Brunnistöckli packen Uschi und Kati ihre Kameras aus und legen ein ausführliches Fotoshooting hin. Unten wartet eine geführte Gruppe Schweizer in einheitlichen, farbigen Bergschuhen geduldig darauf, endlich loslegen zu können. Uschi und Kati fotografieren unbeirrt weiter.

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Die Brücke

Nach einigen Höhenmetern mündet der Zittergrat in den Brunnistöckli-Klettersteig. Links schwitzt gerade Herr Strebsam am Abgrund, vor ihm schwingen sich locker wie zwei Äffchen seine Kinder aufwärts. Er stampft schnaufend wie eine alte Dampflok hinterher. Die drei bleiben an der Engelsbrücke stehen, am Felsen davor ist ein Warnschild angebracht mit dem Hinweis: "Max. 2 Personen, 200 kg." Herr Strebsam geht voran. Als er etwa die Mitte der Brücke erreicht hat, sagt die Tochter am unteren Ende der Brücke zum Sohn: "Geh lieber noch nicht los, wenn der Papa noch drauf ist." Uschi und Kati haben sich am anderen Ende der Brücke in Stellung gebracht. Imposante Bilder schießen. Die Gruppe Schweizer zieht vorbei.

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Quelle: online.sdereise

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Eine Tour auf einem modernen Klettersteig wie am Brunnistöckli ähnelt oft mehr dem Besuch eines Spielplatzes als einer alpinen Unternehmung. Der Grundgedanke, den Weg zum Gipfel zu vereinfachen, wird ins Gegenteil verkehrt. Oft führen die Steige über Passagen, die besonderen Nervenkitzel versprechen.

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Mal ist der Weg ein Balanceakt auf dünnem Drahtseil, mal führt er über schaukelnde Brücken und wacklige Leitern. Die Stellen bekommen Namen wie Teufelsschlund, Wolkentritt und Himmelsleiter. An der ebenfalls nahe Engelberg gelegenen Fürenwand stecken wiederum so viele Eisenstreben in der Senkrechten, dass man während des Vertikallaufs kaum mehr auf den Felsen treten muss.

Eigentlich ist das eine schöne, sichere Sache, doch die physikalischen Gesetze lassen sich nicht außer Kraft setzen. Schwerkraft, Höhenschwindel und alpine Gefahren wie Stein- und Blitzschlag wirken weiterhin.

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Am Seil

Den meisten dient der Brunnistöckli als Aufwärmphase für den 2593 Meter hohen Rigidalstock. Nächstes Jahr soll dort ein zusätzlicher Weg angelegt werden, erklärt Modeste Jossen, Geschäftsführer der Brunni-Bergbahn. Bisher müssen die Rigidalstock-Bezwinger jedoch an einem einzigen Seil auf- und wieder absteigen.

An diesem sonnigen Samstag gerät der Verkehr wegen erhöhten Aufkommens am frühen Nachmittag ins Stocken. Die Schweizer sind bald wieder eingeholt. Eine junge Frau schimpft an einem Engpass auf die Emporkömmlinge: "He, jetzt wollen wir die Runterspur mal wieder eröffnen." Schnell weiter, schon rauscht die nächste resolute Berggängerin heran und grüßt einen der entgegen Kommenden: "Ach Rüdiger, du auch hier."

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Manchmal fallen auch Steine von oben herab. Zwei Damen pausieren gerade, weil vor ihnen ohnehin nichts weitergeht, als zwei kleine Steine vorbei hüpfen. Die Frohnatur der beiden sagt: "Das nächste Mal nehme ich einen Helm mit. Der Kopf ist eines von den Dingen, die mir wirklich wichtig sind."

Ein ebenfalls im Stau steckender Bergführer stellt fest, dass die Frohnatur das Klettersteigset falsch angelegt hat. Die Frohnatur freut sich über den Hinweis, der Bergführer sagt: "Bei Männern mache ich das nicht mehr. Die lassen sich nichts sagen."

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Trifft auch nur die Hälfte der Erzählungen des Bergführers zu, so werden Klettersteige von einem Heer Ahnungsloser bevölkert, dessen Angehörige sich zudem maßlos überschätzen. Die Seile der Klettersteigbremse werden verknotet und Kinder an dünnen Prusikschlingen per Brustgurt gesichert. Zahlreiche Bergreiseveranstalter, Bergschulen oder auch der Deutsche Alpenverein bieten zwar Kurse an; nahe Berchtesgaden hat mittlerweile sogar eine Klettersteigschule eröffnet. Doch nur ein Bruchteil der Klettersteiggeher absolviert zuvor einen Kurs.

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Unterm Gipfel

Etwa 50 Meter sind es noch bis zum Gipfel, eine junge, leicht überforderte Frau befindet sich bereits auf dem Rückweg. Sie sieht müde aus. Die Leute warten geduldig, bis sie sich die Felsstufe hinabgequält hat. Langsam bildet sich eine Menschentraube. Die Schweizer Gruppe ist auch wieder da. Von oben ertönt eine Kinderstimme: "Stein!" Einige faustgroße Steine hüpfen bergab, gefolgt von einem Stück Fels mit dem Volumen eines Fußballs. Er springt fünf Meter oberhalb der Menschentraube auf. Die meisten schauen nach oben. Die junge, müde Frau kauert verängstigt am Felsen und wird mit voller Wucht an der Schulter getroffen.

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Quelle: Engelberg-Titlis Tourismus

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Abflug

Dreimal kommt der Hubschrauber. Beim ersten Mal prüft er die Lage, beim zweiten Mal wird der Sanitäter abgelassen, beim dritten Mal wird die Verletzte am Seil baumelnd ausgeflogen. Uschi und Kati haben aufgeschlossen und drücken auf die Auslöser ihrer Kameras. Ein Spektakel! Einer der Schweizer mit bunten Bergschuhen schaut hinab ins Tal und sagt zur Begleiterin: "Aber schön isses schon, Marlies."

SZ-Grafik Schweiz Engelberg Titlis

Quelle: SZ Grafik

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Informationen:

Anreise: Mit der Bahn von München über Luzern in sieben Stunden nach Engelberg.

Kurse: Hauser Exkursionen bietet Klettersteigwochenenden unter Anleitung von Bergführern für 280 Euro an, Spiegelstr. 9, 81241München, Tel.: 089/23500677, www.hauser-exkursionen.de

Auskünfte: www.myswitzerland.com, Tel.: 00800/10020030 (kostenfrei)

© SZ vom 8.7.2010 / Dominik Prantl/kaeb
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