Spanien: Valencia (SZ):Alles sprießt

Die spanische Stadt Valencia möchte endlich ein eigenes Profil haben und baut es sich mit waghalsiger Architektur

Klaus Raab

(SZ vom 29.05.2001) - Wenn die Kinder Fußball spielen wollen in Valencia, dann gehen sie in den Fluss, und manche von ihnen nehmen die Palmen als Tore. Wasser gibt es seit 30 Jahren nicht mehr. Man könnte annehmen, der liebe Gott habe eine krakelige Handschrift und nicht mehr lesen können, was er eigentlich wollte, als er Valencia erschuf. Und so machte er erst einen Fluss und später einen Park daraus, weil er sich wohl doch getäuscht hatte beim ersten Versuch.

Spanien: Valencia (SZ): Bildungsentertainment: Museu de les Ciències

Bildungsentertainment: Museu de les Ciències

In Wirklichkeit wurde der Fluss, el Túria, ganz profan umgeleitet, weil die Überschwemmungen den Menschen tatsächlich bis zum Hals standen. Das Jahr 1957, als das Wasser bis ins erste Obergeschoss der Häuser am Ufer gekommen sein soll, brachte das Fass zum Überlaufen. Seit den 1970ern fließt der Túria, statt durch die Altstadt hindurch, weit um sie herum; sein ehemaliges Bett aber hat sich der Mensch angeeignet, um spazierenzugehen, oder um Sport zu treiben, oder um einfach nur faul herumzuliegen, zwischen den Bäumen und den Wegen und den Fußballern und dem Opernhaus, an dem zwei Buben an diesem Samstagnachmittag den Ball vorbei treiben, auf dem Weg zum nächstbesten Stück Rasen. Beide heißen Sanchez, wenn man den Rückenaufschriften auf ihren Trikots glauben darf. Sanchez wie einer der Stürmer des FC Valencia.

Als der kleinere Sanchez ein Zuspiel übersieht, macht es platsch, und der Ball liegt im Teich. Den Teich haben die Valencianer direkt vor dem Palau de la Música angelegt, und den Palau haben sie 1985 mitten in den Flussbettpark gestellt. Sie sind stolz darauf, weil zum Beispiel Luciano Pavarotti hier singt, wenn er hier singt, und Zubin Mehta hier dirigiert, wenn er hier dirigiert. Weil man endlich ein Gebäude hat, eines mit viel Licht, das konkurrieren kann mit den großen Opernhäusern dieser Welt. Die Oper war gewissermaßen der erste Schritt auf dem Weg zum neuen Valencia. Der Architektenwettstreit zwischen Santiago Calatrava und Norman Foster hatte da noch nicht einmal angefangen.

Ahorn innen, außen Glas

Alles begann in Berlin, wo Foster den Reichstag mit der Glaskuppel versah, von der Calatrava behauptet, sie seiseine Idee gewesen. Seitdem baut Calatrava bevorzugt in Fosters Heimatstadt London, und Foster baut dann eben in Calatravas Heimatstadt Valencia. Im Nordwesten der Stadt hat Norman Foster den Palacio de Congresos de Valencia hingestellt, ein funktionales Kongresszentrum im Stil einer platt gewalzten Schildkröte, mit viel Ahorn innen und viel Glas außen und wenig Stufen überall, für das Foster den Preis des "Royal Institute of British Architects" bekommen hat. Santiago Calatrava indes verwirklicht zusammen mit Félix Candela ein Projekt am südöstlichen Ende des alten Túria-Laufs. 1998, im selben Jahr wie das Kongresszentrum, wurden zwei Abschnitte der Ciutat de les Arts i les Ciències eröffnet, der vierteiligen Stadt der Künste und Wissenschaften, die auch eine Stadt der Natur werden soll, was nur bei der Namensgebung offenbar übersehen wurde.

L'Hemisfèric beherbergt ein Planetarium, ein Imax-Kino und eine Lasershow; und nicht, dass es all das nicht auch anderswo gäbe - in Valencia ist es, dank der Architektur, bis ins Detail inszeniert als das Beste und Neueste, was die Welt zu bieten hat. Der Museu de les Ciències "Príncipe Felipe", direkt östlich, ist eine Art Bildungsentertainment mit wechselnden Ausstellungen im Erdgeschoss und einer wissenschaftlichen Versuchsstation im Obergeschoss mit einem Schwerpunkt auf Pappwalen. Bis jedoch die gesamte Anlage fertig ist, dauert es noch mindestens zwei Jahre. Dazu gehören auch der architektonisch waghalsige Kunstpalast, der Palau de les arts, und Candelas l'Oceanogràfic, eine Unterwasserstadt im Osten der Anlage. Wo später Mangrovenwälder und die Weltmeere vereinigt sein sollen, ist heute noch eine Baustelle. Dafür aber eine große. Mindestens 411 Millionen Mark kostet, umgerechnet, die gesamte Anlage. Teurer war ein Bauprojekt nie in der Geschichte der drittgößten Stadt Spaniens.

Alles fließt

Doch was ist schon Geld, wenn's ums Image geht? Irgendwie will man eines Tages zu den Städten Europas gehören, unter denen sich alle Welt etwas Konkretes vorstellen kann, wenn nur ihr Name fällt. Wenn es perfekt läuft, soll sich jedermann vorstellen können, hier Urlaub zu machen. Und weil man weder Olympia noch Expo hatte und deshalb auf sich selbst angewiesen ist, versucht man, sich architektonisch ein eigenes, ein besonderes Gesicht zu verpassen. Deshalb müssen Altes und Neues ganz eng zusammenrücken. Nahe der alten Puente de la Mar aus dem 14. Jahrhundert führt, neben 13 weiteren Brücken, seit kurzem auch die neue Puente del Calatrava über den trockenen Fluss, benannt nach dem Architekten, die im Volksmund nur La peineta heißt, Haarspange. Alles fließt in der Stadt. Nur der Túria, der fließt außerhalb.

Dass allerdings alles fließt, das hat lange Zeit keiner gemerkt. 1998 musste das Tourismusbüro den Valencianern per Plakat mitteilen: Valencia se mueve. - "Die Stadt bewegt sich." Sonst würde ein Taxifahrer auf die Frage, wo man in Spanien denn mal Ferien machen könne, vielleicht noch heute sagen, Sevilla zum Beispiel, das sei doch eine schöne Stadt. Nicht, dass die Valencianer ihre eigene Stadt nicht mögen, aber deswegen muss man sie ja nicht gleich weiter empfehlen.

So konkurrenzfreudig die Verwaltung und die Tourismusbüros sich gerieren - die Valencianer haben keine Lust, sich ständig an anderen messen zu müssen. Ihnen gefällt ihre Stadt, und wenn sie zufällig auch anderen gefällt, dann kann man nichts machen. "Es ist ein bisschen wie beim Fußball", stellt ein Kellner auf der Calle Caballeros, nahe der Kathedrale, lapidar fest. "Wir wollen nicht wie Barcelona sein. Aber am Ende sind wir trotzdem besser."

Urlaub in Gral-Nähe

Wenn die Valencianer selbst Urlaub machen, fahren sie 20 Minuten raus ans Meer, in ihre Zweitresidenzen, weil es ihnen hier Urlaub genug ist. Sie haben die Paella erfunden, und sie haben ihre Traditionen und ihren Spaß, und sie glauben, dass der 17 Zentimeter hohe Achatkelch, der seit 1424 in der Kathedrale steht, der Heilige Gral sei. Warum, bitte sehr, soll man da noch wegfahren? Und die Zukunft, die darf ruhig kommen, wenn sie will, und wenn sie nicht will, dann soll sie' s bleiben lassen. Wenn die Stadt aber auch manchmal ein bisschen verschlafen wirkt, und man sie, wenn man genau aufpasst, leise schnarchen zu hören meint - dann ist das doch meistens nur ein Tretroller, der von irgendwo her um die Ecke schnurrt.

An manchen Orten und zu manchen Gelegenheiten kann Valencia auch richtig laut sein. Im März zum Beispiel, wenn jeden Tag um 14 Uhr so viele Böller gezündet werden, dass man meinen könnte, der FC Valencia hätte gerade die Champions League gewonnen. Erst am 20. März kehrt wieder Ruhe ein, wenn das Fest der Fallas vorüber ist. Früher, während beim Frühjahrsputz der alte Krimskrams aus den Häusern geräumt wurde, kam einer auf die Idee, man könne doch auch ein Riesenfeuer machen. So begannen die Zimmerleute vor 200 Jahren, die Lampengestelle und Kerzenständer der Wintermonate zu verbrennen, weil es im Sommer ohnehin lange genug hell war. Und irgendwann fingen die Valencianer dann an, selbst gebastelten Puppen aus Holz, Pappe und Wachs ihre ausrangierten Kleider anzuziehen, und so machen sie's heute immer noch. Ein Teil der schönsten Falla, ein ninot, wird verschont und kommt ins Museu Faller, während die anderen Fallas, bis zu dreißig Meter hoch, um Mitternacht verbrannt werden, an 350 Plätzen in der Stadt.

Wenn Valencia nicht döst, liebt es Spektakel und Krach. Wenn Valencia aber döst, dann wird es zumindest nachts wach, im Viertel Carmen, wo früher die arabische Stadtmauer verlief. Es ist bislang der kälteste Mai seit 1984, und morgens um halb drei sind alle Straßencafés bis auf den letzten Platz besetzt. Ein kalter Mai, das heißt 16Grad nach Sonnenuntergang. Die Straßen sind taghell um diese Uhrzeit, Satellitenfotos sollen sogar belegen, dass Valencia heller leuchtet als alle anderen spanischen Städte. Die Stierkampfarena wird angestrahlt, nicht viel weiter auch la Lonja, die 500 Jahre alte gotische Seidenbörse, die seit 1996 Weltkulturerbe ist.

Spanisch auf Kanal drei

Auch die Jugenstilfassade des Nordbahnhofs ist nachts beleuchtet. Ganz in der Nähe hat die Acción Cultural aufgerufen zur Kundgebung, wie jedes Frühjahr. Es geht um die Emanzipation Kataloniens, der Region Valencia und der Balearen von der Zentralregierung in Madrid, und die Demonstranten machen die Sprache zu einem Instrument der Politik. In den meisten der 17 Regionen Spaniens wird Spanisch gesprochen, in Katalonien aber wird die offizielle Anerkennung von Katalan als erste Sprache gefordert, in Valencia die Anerkennung von Valencianisch. Erfolge hat man längst errungen, weil Sprache offenbar macht, was sie will. Die Plaza de San Agustin heißt auf dem Schild auch Plaça de Sant Agustí - das ist die valencianische Version. Und im Touristenbus, der jeden Tag ab der Plaza de la Virgen abfährt, kann man zwischen acht verschiedenen Sprachen wählen. Kanal eins: Valencianisch. Kanal zwei: Französisch. Und erst auf Kanal drei, da wird die Stadt auf Spanisch erklärt. So ist das seit Jahren, eigentlich schon seit dem 18. Jahrhundert: Wenn die castillisch-sprachigen Spanier, die Vertreter des Hochspanischen, behaupten, die Spanier seien ein Volk, halten die Katalanen und Valencianer dagegen, sie seien auch eines.

Wenn es um die Frage der staatlichen Autonomie geht, oder um Fußball natürlich, drehen die Valencianer durch. Bei Fußball fast alle. Bei der Autonomie eine Minderheit; je nach politischer Denkart schwanken die Schätzungen zwischen zwei und fünfzehn Prozent. Wahrscheinlich sind es achteinhalb. Francesca gehört zu den Befürworterinnen der Unabhängigkeit, schließlich seien "Katalonien und Valencia ihrer Identität beraubt worden". Francesca plant, eines Tages alle Mittel auszuschöpfen, um das Spanische aus Valencia zu verbannen. Irgendwann. Francesca ist 13.

INFORMATIONEN:

Übernachtung: Hotel Astoria Palace, Plaza de Rodrigo Botet, 5, 46002 Valencia. Tel. 0034/96/39810-00, Fax 0034/96/39810-10, E-Mail: info@hotel- astoria-palace.com, www.hotel-astoria-palace.com, ab 305Mark

Weitere Informationen beim Oficina Española de Turismo in Düsseldorf, Tel. 0211/68039-80, Fax -85/86, E-Mail: dusseldorf@tourspain.es, www.tourspain. es oder beim Spanischen Fremdenverkehrsamt in München, Tel. 089/5307 4611, Fax 53074620.

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