Spanien:Orions Geheimnis

Auf La Palma fahnden Forscher nach erdähnlichen Planeten. Urlauber genießen einfach den Blick in die Sterne.

Von Thomas Urban

Der Schichtleiter im italienischen Observatorium, von den Insulanern etwas respektlos die Espressomaschine getauft, summt leise die berühmte Sternen-Arie aus Puccinis "Tosca" vor sich hin. Auf dem Bildschirm flimmern Abertausende Sterne auf. Der Mann zoomt einen riesigen Spiralwirbel heran. Nun liegen die Sterne da wie Zuckerkörner, die man in Milchschaum rührt.

Die Espressomaschine, betrieben für das Institut für Astrophysik in Rom, verdankt ihren Namen der Tatsache, dass sie in nüchterner, kantiger Industriearchitektur gehalten ist. Die anderen Sternwarten auf dem Roque de los Muchachos, dem Knabenfelsen auf La Palma, weisen die typischen Kuppeln auf, die sich nachts für gewaltige Spiegelteleskope öffnen. Insgesamt 15 Observatorien, finanziert von 19 Staaten, beobachten von der westlichsten der Kanarischen Inseln aus den Himmel. Von Weitem ähneln sie weißen Murmelkugeln. Dabei sind einige von ihnen höher als ein fünfstöckiges Haus.

Die Profi-Observatorien sind tagsüber für Besucher geöffnet. Wer hinein möchte, muss an einer Führung teilnehmen, die Wissenschaftler sollen möglichst wenig gestört werden. Die Besucher erleben dabei gelegentlich einen kleinen Kälteschock: Das Innere der Kuppeln ist auf Nachttemperatur heruntergekühlt, auf diese Weise ist sichergestellt, dass die empfindlichen Parabolspiegel beim Öffnen des Dachs nicht beschlagen. Wer den Sternenhimmel bei Nacht sehen möchte, kann an Touren teilnehmen, die kleine, örtliche Unternehmen überall in den Touristenzentren der Insel anbieten. Man fährt durch die Wolkendecke, hinauf zur "Sternenstraße". Auf dem Berg packen die Guides kleine Teleskope aus. Den Jupiter und seine größten Monde direkt zu sehen oder die Venus, die gleichzeitig Abend- und Morgenstern ist, ist sogar beeindruckender als die Bildschirme in den klimatisierten Büros der Profis. Dorf fehlt es gänzlich an Romantik.

Spanien: Dem Himmel so nah: das große Kanaren-Teleskop Grantecan mit einem Spiegeldurchmesser von mehr als zehn Metern.

Dem Himmel so nah: das große Kanaren-Teleskop Grantecan mit einem Spiegeldurchmesser von mehr als zehn Metern.

(Foto: Gunnar Knechtel/laif)

Vor 30 Jahren nahm das erste der Observatorien die Arbeit auf. Das jüngste ist das große Kanaren-Teleskop, Grantecan, mit einem Spiegeldurchmesser von beeindruckenden 10,4 Metern. Einige der Sternwarten fahnden nach erdähnlichen Planeten außerhalb des Sonnensystems, eine schwierige Aufgabe, da diese nicht von allein leuchten, sondern meist nur als Schatten an einem Stern vorbeihuschen. Zu den Wissenschaftlern gehören auch Deutsche, sie durchkämmen das All nach Überresten von Supernovas und Gammastrahlen.

Auf La Palma ist das Wetter keineswegs stabil, wobei die Insel mit 260 Sonnentagen im Jahr einen angenehmen Mix aufweist: Es herrscht überwiegend Straßencafé- und Strandwetter, doch regnet es auch genug, sodass eine üppige Vegetation 40 Prozent der Inselfläche bedeckt. Grüner ist keine der Kanaren-Inseln. Doch oben auf dem Roque de los Muchachos macht man sich wenig Gedanken über das Wetter: Der Gipfel liegt an Tagen mit verhangenem Himmel fast immer über der Wolkendecke. Diese verschluckt überdies nachts die künstlichen Lichtquellen in den Tälern und am schmalen Strandstreifen.

Informationen

Unterkunft: Parador de la Palma in El Zumacal, DZ ab 75 Euro, www.parador.es; La Hacienda de Abajo in Tazacorte, DZ ab 210 Euro , Hotel mit Kunstwerken vom 16. bis 19. Jahrhundert, Konzertsaal in ehemaliger Kapelle , www.hotelhaciendadeabajo.com

Observatorien: Örtliche Anbieter organisieren Besuche der Observatorien im Süden der Insel (nur tagsüber möglich) sowie nächtliche Touren zur Sternenbeobachtung im mittleren und nördlichen Teil der Insel. Weitere Auskünfte: www.la-palma-tourismus.com; Observatorien: http://www.iac.es

Damit die Sternengucker auf dem Gipfel aber auch in klaren Nächten nicht unter Lichtverschmutzung leiden, hat die Inselverwaltung schon 1988 das "Himmelsgesetz" beschlossen, das erste dieser Art: Die grelle Straßenbeleuchtung wurde durch Natriumdampflampen ersetzt, die ihr Licht gebündelt nach unten abstrahlen. Sie glühen langsam an, sie geben den Städtchen und Dörfern auf der Insel für eine Viertelstunde den Charme von Rotlichtvierteln, bevor sie sie in ein gedämpftes Weißorange tauchen.

Das besondere Klima La Palmas, geprägt von Passatwinden und dem Kanarenstrom im Atlantik, sorgt dafür, dass der Himmel über der Insel in wolkenfreien Nächten besonders klar ist, keine Dunststreifen trüben den Blick auf die Milchstraße, den großen und den kleinen Wagen, auf das Sternbild Orion. Es gibt weltweit nicht viele Punkte, von denen sich auf Höhe des Meeresspiegels so klar ausmachen lässt, dass Beteigeuze, der Megastern oben links in Orion, rötlich leuchtet, und Rigel, der helle Stern unten rechts, hellblau ist - abends am Strand, auf dem Rücken liegend auf schwarzem, von der Sonne gewärmten Vulkansand. Sich dabei im Meer der Sterne verlieren - das ist die totale Entspannung für Wanderer, die tagsüber zum Roque hochgekraxelt sind oder eine Runde durch einen der schlafenden Vulkane zurückgelegt haben.

reisereise

"Insel der Kontemplation" - damit wirbt denn auch das Fremdenverkehrsamt von Santa Cruz de la Palma, der gerade einmal 16 000 Einwohner zählenden Inselhauptstadt mit den prächtig geschnitzten Holzbalkonen an den Herrenhäusern. Es ist das Anti-Programm zum lauten Teneriffa, der Nachbarinsel, ganz zu schweigen von Gran Canaria oder Lanzarote am anderen Ende des Archipels. Permanente Partybeschallung am Strand, Massenauflauf in den Discos - all das gibt es zwar in den Städten Las Palmas de Gran Canaria und La Palma de Mallorca, nicht aber auf La Palma. Rund 100 000 Touristen kommen alljährlich, in der Besucherstatistik für die gesamte Inselgruppe machen sie gerade einmal ein Prozent aus.

Auf sie wartet ein engmaschiges, gut ausgeschildertes Netz von Wanderwegen und Rad-Strecken durch tiefe grüne Schluchten, über die Mondlandschaften der erkalteten Lavaströme, die hier zuletzt vor 44 Jahren flossen. Über enge Pfade hinauf zu den Gipfeln und Bergkämmen. Meist geht es steil bergauf und steil bergab, bei manchen Touren sind acht, neun Höhenkilometer zu bewältigen.

Waldbrände gibt es häufig. Aber dank des besonderen Klimas hier erholt sich die Natur rasch

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

An mehreren Stellen bietet sich dabei ein besonderes Erlebnis: Aus grünen Tälern und Wäldern stößt man durch eine dichte Nebelwand mit erfrischendem Nieselregen mitten hinein ins Sonnenlicht. Dieser Klimamix sorgt dafür, dass Bäume und Büsche sich rasch regenerieren nach den nicht gerade seltenen Waldbränden auf der Insel. Selbst gänzlich verkohlt und tot aussehende Kiefern zeigen schon im folgenden Jahr frische Triebe. Nach einem Jahrzehnt steht der Wald wieder, sind die Spuren der Brände von Grün überdeckt.

Ein einmaliges Naturschauspiel ist der Wolkenwasserfall an der Cumbra Nueva, einem scharfen Bergkamm. Der Passat drückt die Wolken von Osten gegen den Berg, sie wälzen sich über den Kamm, stürzen auf der Westseite herunter und lösen sich in weniger als einer Minute in den warmen Sonnenstrahlen in Wohlgefallen auf. Die "Sterneninsel", so wollen die Fremdenverkehrsexperten die Insel im Atlantik vermarkten. Gehobener Tourismus für Menschen, die ein Bedürfnis nach Tiefenentspannung, Begegnung mit der Natur und Lust auf Kultur haben. Ein Musikfestival gehört dazu. Für Mozarts Jupiter-Sinfonie ist es wohl zu klein ausgelegt, so sagen bedauernd die Kulturmacher. Aber ein Bariton sollte doch den "Holden Abendstern" aus Wagners "Tannhäuser" besingen, und ein Tenor nicht nur die "leuchtenden Sterne" für Tosca beschwören, sondern auch Puccinis Megahit "Nessun dorma" schmettern. Darin "erblassen die Sterne" im Morgengrauen. Ein neuer Tag beginnt auf La Palma.

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