Spanien im 17. Jahrhundert:Niedergang eines großen Gönners

Spanien im 17. Jahrhundert: Philipp IV.: Sein Hofmaler Diego Velásquez schuf dieses Portrait des Königs in den Jahren zwischen 1626 und 1628.

Philipp IV.: Sein Hofmaler Diego Velásquez schuf dieses Portrait des Königs in den Jahren zwischen 1626 und 1628.

(Foto: Museo Nacional del Prado, Madrid)

Unter Philipp IV. erleben Kunst und Literatur eine Blüte, doch den Zerfall des spanischen Weltreichs kann der Habsburger nicht aufhalten.

Von Carlos Collado Seidel

1621 erbt Philipp IV. mit nur sechzehn Jahren das größte Reich auf Erden und wird zum mächtigsten Monarchen seiner Zeit. Die weitläufigen Besitzungen umfassen nicht nur die Eroberungen in Amerika, sondern auch die Kronen Neapels und Siziliens, das Herzogtum Mailand sowie Burgund. Außerdem noch Portugal mit seinem Kolonialreich, das 1580 in Erbfolge an die spanischen Habsburger gefallen ist. Die Spanischen Niederlande gehören auch dazu, wenngleich sich der nördliche Teil, die calvinistischen Generalstaaten, schon vor Jahrzehnten losgesagt haben und der Krone seitdem zu schaffen machen.

Die recht ruhigen Zeiten, die unter Philipps Vater geherrscht haben, sind alsbald vorbei. Der mit den abtrünnigen Generalstaaten geschlossene Frieden ist abgelaufen und eine Verlängerung kommt nicht infrage angesichts des konfessionell begründeten Krieges, der mit dem Prager Fenstersturz 1618 begann und seitdem im von den österreichischen Vettern regierten Heiligen Römischen Reich tobt. Nicht nur dort werden die Geißel des Krieges, eine marodierende Soldateska und Seuchen das Land dreißig Jahre lang verwüsten. Fortan befindet sich auch die spanische Krone in einem permanenten Kriegszustand: Nach Auseinandersetzungen in Italien und den Gefechten mit den Holländern kommt ab 1635 vor allem der Krieg mit dem Frankreich Ludwigs XIII. und später auch noch der gegen das England Cromwells dazu. Zudem müssen die Vettern im Reich mit Soldaten und Geld unterstützt werden.

Die spanische Krone ist für diese Waffengänge eigentlich gut gerüstet. Der Infanterie haftet der Ruf der Unbesiegbarkeit an, und die Monarchie kann sich kostspielige Kriege durchaus leisten, ist sie doch dank des schier nicht versiegenden Silberstroms aus Übersee unermesslich reich. Doch diese Kriegsanstrengung übersteigt alles bisher Dagewesene. So müssen portugiesische und genuesische Bankiers einspringen; im Gegenzug werden Krongut und künftige Staatseinkünfte verpfändet, vor allem das Silber. Fallen die Einnahmen niedriger aus als erwartet - etwa, wenn es den Korsaren gelingt, einzelne Silbergaleonen oder mitunter den gesamten Konvoi zu kapern -, wird die Situation dramatisch: Gleich drei Mal: 1627, 1647, 1652 muss die Krone den Bankrott erklären.

Richelieu setzt in Frankreich die Macht des Königs durch. In Spanien gelingt das nicht

Graf Olivares, Erster Minister des Königs, will sämtliche Kräfte mobilisieren und entwickelt dazu einen formidablen Plan: Die verschiedenen, eigenständig verfassten und an Eigeninteressen orientierten Königreiche und Fürstentümer Aragonien, Valencia, Katalonien und Portugal sollen den Gesetzen Kastiliens unterworfen werden. Hier ist es der Monarchie längst gelungen, die Mitsprache der Ständeversammlung und vor allem des Adels weitgehend zu unterbinden. Sollte der König überall so schalten und walten können, wie er es in Kastilien tut, würde die spanische Krone die notwendige Machtfülle haben, um wieder zur unangefochtenen Führungsmacht zu werden. Olivares scheitert mit seinem Plan, während es Kardinal Richelieu im Nachbarland gleichzeitig gelingt, den Machtanspruch des Königs durchzusetzen und Frankreich den Weg zur Weltmacht zu bahnen. Für Historiker wie John Elliott ist das kein Zufall. Richelieu habe die Pläne schlichtweg kopiert.

Olivares hat indes seine liebe Not, die Ständeversammlungen Aragoniens, Valencias und vor allem Kataloniens auch nur dazu zu bewegen, die Kriegsanstrengung mit Geld und Soldaten zu unterstützen. Nervenaufreibendes Gezänk ist die Folge. Gleichzeitig wird die Steuerschraube in ungeahnte Höhen gedreht. Schließlich bringt die Last der Abgaben die unteren Schichten in eine derart erbärmliche Lage, dass es in nahezu allen Landstrichen zu Hungeraufständen kommt. Zudem suchen Pestepidemien in grausamer Regelmäßigkeit das Land heim und raffen Abertausende dahin. Folgenschwer ist die Revolte der Landarbeiter Kataloniens, die sich am Fronleichnamstag 1640 gegen die monatelange Einquartierung von Truppen erheben. Dem Aufstand schließen sich nämlich die Mächtigen im Prinzipat an, die sich, des Drucks der Krone überdrüssig, von ihr lossagen. Ende des Jahres, geplagt von den Folgen der Handelsblockaden, zieht auch noch Portugal einen Schlussstrich und begründet eine eigene Dynastie.

Philipp führt die sich aneinanderreihenden Niederlagen und Katastrophen auf sein eigenes Versagen zurück. Doch geht es nicht um politische Unzulänglichkeiten, sondern um persönliche Verfehlungen: Es sei die Strafe des Allmächtigen dafür, dass er kein gottgefälliges Leben führe. Der König hat viele uneheliche Kinder und gibt sich den Vergnügungen der schönen Künste hin. Das Goldene Zeitalter findet in ihm einen bereitwilligen Gönner. Entsprechend deutet er persönliche Schicksalsschläge, wie 1646 den unerwarteten Tod des Kronprinzen Balthasar Karl. Eindringlich lesen sich der Zwiespalt und die Gewissensplagen im Briefwechsel mit der Nonne María Jesús de Agreda, der er sich über Jahrzehnte hinweg anvertraut. Der Psychiater und Historiker Gregorio Marañón hat hingegen eine vernichtende Diagnose: Charakterschwäche und Willensparalyse.

Der König, der das Ansehen der Krone zu den Höhen früherer Zeiten zurückführen will, kommt aus der Defensive nicht heraus. So muss er 1648 im Frieden von Münster, der den Dreißigjährigen Krieg beendet, die Unabhängigkeit der Generalstaaten anerkennen. Wenige Jahre später kann zwar Katalonien wieder der Krone unterworfen werden, die Wiedereingliederung Portugals gelingt indes nicht mehr. Auch im Krieg mit Frankreich bleibt der Durchbruch aus. Der 1659 auf der Fasaneninsel - einem winzigen im Grenzfluss an der Biskaya gelegenen Eiland - geschlossene "Pyrenäenfrieden" zwingt die spanische Krone zur Abtretung von Besitzungen in den Niederlanden und vor allem des katalanischen Roussillon. Ludwig XIV. will gut zu verteidigende Grenzverläufe: im Osten den Rhein und im Südwesten die Pyrenäen. Fortan markiert nicht mehr die spanische Festung Salses die Grenze. Gut fünfzig Kilometer weiter südlich thront auf einem Felsen die neue, von Vauban errichtete, - heute gut sichtbar für den Tross der Touristen, die sich auf der Autobahn der Sonne entgegenbewegen.

Die Schwierigkeiten Philipps lagen wohl weniger in einer vermeintlichen Charakterschwäche, denn in der Übermacht der Feinde begründet. Der britische Historiker Robert Stradling sieht in Philipp IV. sogar den stärksten aller Monarchen der spanischen Habsburger und keinesfalls einen dekadenten und das Reich dem Verfall preisgebenden minderen Herrscher, dessen Schwächen in einer vermeintlich zwingenden Konsequenz zur Auslöschung der Dynastie geführt hätten. Vielmehr hielt sich auch die Herrschaft des schwächlichen Karl II., trotz seiner unübersehbaren Degeneration, dreieinhalb Jahrzehnte lang überaus stabil. Die Folgen der unaufhörlichen Eheschlüsse zwischen Cousins oder mit Nichten belasteten zudem mitnichten allein die spanische Dynastie, sondern genauso die bourbonische und die österreichische. Auch deren Fortexistenz hing in jener Zeit stets am seidenen Faden. Gleichwohl: Die spanische Vormachtstellung war dahin. Nun betrat das Frankreich des Sonnenkönigs die politische Weltbühne.

Carlos Collado Seidel lehrt als Professor Geschichte an der Philipps-Universität Marburg.

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