Spanien:Der Bilbao-Effekt

Spanien baut und baut und baut - und will mit den gigantischen Bauwerken vor allem eines: Touristen anlocken.

Lisa Sonnabend

Der Bilbao-Effekt: Eine Stadt, meist eine kleine, die für Touristen bislang wenig zu bieten hatte, baut sich ein gigantisches Bauwerk - und schon kommen die Besucher in Scharen.

Palau de les Arts, Valencia, AP

Aus jedem Betrachtungswinkel wirkt das "Palau de les Arts" in Valencia ganz unterschiedlich.

(Foto: Foto: AP)

So hat Frank Gehry mit seinem Guggenheim-Museum aus der kleinen baskischen Stadt Bilbao einen Touristenmagneten gemacht. Nun versucht Valencia mit einem spektakulären Opernhaus, dem "Palau de les Arts", die Massen anzulocken.

Wie ein gigantischer Motorradhelm sieht das Bauwerk des 54-jährigen Architekten Santiago Calatrava von der Seite aus: Fenster als Schlitze für die Augen, ein schwebendes Dach als Aufprallschutz. Von vorne - mit Blick auf das künstliche Wasserbassin - erinnert das Opernhaus an einen Haifisch, der mit weit aufgerissenem Maul aus dem Meer auftaucht. Von hinten dagegen eher an ein riesiges Ei.

Opern- oder Parkhaus?

Die Treppe im Inneren ist geformt wie ein Schneckenhaus. Und die großen kühlen Säle ähneln einem Parkhaus, bemerken Spötter. Ein Gebäude, das vielen Sichtweisen Raum lässt.

Die Fertigstellung des "Palau de les Arts" bildet den Schlussstrich und Höhepunkt für das futuristische Kunstareal vor den Toren von Valencia, die "Ciutat de les Arts i les Ciènces".

Oper statt Paella

Die vier organischen Bauten, die alle von dem in Valencia geborenen Architekten Calatrava errichtet wurden, sind zu einer Art Wahrzeichen des modernen Valencia geworden: die Heimatstadt der Paella auf dem Weg zu einer Architektur- und Kunst-Metropole.

Das "Hemisfèric" ist ein riesiges Planetarium und Imax-Kino, das sich wie ein sanft geschwungener Hügel aus dem Beton erhebt; das "Ozeanogràfic" ein Aquarium, dessen grammophonförmigen Glasscheiben, die Umrisse der umstehenden Bauwerke reflektieren; das "Umbracle" ein überdimensionaler Laubengang, unter dem Palmen empor wachsen. Und nun das gewaltige Opernhaus.

Das Operngebäude ist fertig; regelmäßige Aufführungen starten in Valencia, das bislang mit Opern wenig am Hut hatte, allerdings erst im kommenden Herbst. Die Stadt hat dafür hochkarätige Künstler verpflichtet. Stardirigent Zubin Mehta musizierte bei der Eröffnungsfeier. Und Lorin Maazel wurde bereits für die erste Spielzeit engagiert.

Der "Sagrada Familia" die Show stehlen

Auch Barcelona und Madrid haben architektonisch aufgerüstet: In Barcelona hebt sich seit Kurzem ein vibratorförmiger Turm von der Stadtsilhouette ab.

Als "Büro-Gurke" beschimpfen ihn viele und ärgern sich, dass das 143 Meter hohe Bauwerk der "Sagrada Familia", der originellen, immer noch unvollendeten Kathedrale von Altmeister Gaudí, ein wenig die Show am Himmel über Barcelona gestohlen hat.

Der Bilbao-Effekt

Jean Nouvel hat den "Torre Agbar" geschaffen, dessen Form der Architekt an eine Wasserfontäne angelehnt hat - und eben nicht an ein Phallussymbol oder eine Gemüseart, wie viele meinen. Die Fassade besteht aus tausenden Glaslamellen in verschiedenen Farben, wodurch sich je nach Tageslicht die Tönung der Gebäudehülle verändert.

Torre Agbar, Barcelona, Reuters

Der "Torre Agbar": Phallussymbol, Gurke oder Wasserfontäne?

(Foto: Foto: Reuters)

Auch in der spanischen Hauptstadt Madrid wurden in diesem Jahr zwei Bauwerke von Jean Nouvel eingeweiht: ein Hotel und ein Museumsanbau.

Der durch Platzmangel notwendig gewordene Erweiterungsbau des "Museo Nacional Reina Sofia" spielt mit Licht und Schatten. Dieser, den nur eine gute Handbreite von dem bestehenden Museumsbau trennt, ist in tiefem Dunkelrot gehalten.

Funktional oder dekadent?

In dem gewaltigen Dachflügel, unter dem sich Ausstellungsraum, Bibliothek und Auditorium vereinen, spiegeln sich die Umrisse des nahe gelegenen Atocha-Bahnhofes.

Im Norden von Madrid ist das Design-Hotel "Puerta América" entstanden, für das weltberühmte Architekten in jeweils einem Stockwerk ihre Vorstellung von einem idealen Hotelzimmer verwirklicht haben: weiß oder schwarz, fließend oder kantig, funktional oder dekadent.

Ziel der Reise

Jean Nouvel hat ebenfalls eine Etage kreiert: an den Wänden Bilder von üppigen Frauen und Blumen. Auch der Plan für die Fassade mit den orangen Markisen und Außenaufzügen stammt aus seiner Feder. Der Aufenthalt im Hotel soll für Touristen das eigentliche Ziel und der Zweck der Reise werden.

Ein Land im Größenwahn? Warum hat Spanien in jüngster Zeit so viele architektonische Mammutprojekte in Angriff genommen? Eines der Ziele ist klar: Touristen in die Städte locken.

Badeurlauber genügen der spanischen Tourismusindustrie offenbar nicht mehr. Ob sich der Bilbao-Effekt auch auf Valencia übertragen lässt? Man wird sehen - vielleicht auf der nächsten Urlaubsreise.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: