Spanien: Abseits vom Jakobsweg:Nichts für Kerkelinge

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Pilgern auf dem Jakobsweg ist zur Massenveranstaltung geworden. Doch es geht auch anders: Der "Ursprüngliche Weg" ist viel ruhiger als die Hauptroute.

Sebastian Schoepp

Pilgern auf dem Jakobsweg war 2010 nicht zwingend eine meditative oder gar individuelle Angelegenheit. Bis Ende des Jahres wird der 300000. Pilger in Santiago de Compostela eingelaufen sein, schätzt man im Pilgerbüro nahe der Kathedrale, wo jeder, der mehr als 100 Kilometer zurückgelegt hat, Urkunde und Stempel erhält. 2010 ist allerdings ein sogenanntes heiliges Jahr, weil der Festtag des heiligen Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt. Doch auch in normalen Jahren hat der Ansturm sich vervielfacht. 1985 pilgerten gerade mal 690 Wanderer von den Pyrenäen zum Apostelgrab an Spaniens Nordwestspitze, 2009 waren es 145000, Buspilger und Spaziergänger nicht eingerechnet.

Kathedralen in Spanien
:Burgen des Glaubens

Die 14 Kathedralen des Landes sind die Burgen des spanischen Katholizismus, doch in einigen der Prachtkirchen beteten früher Muslime.

Um die Ordnung aufrechtzuerhalten, patrouilliert im Sommer inzwischen berittene Polizei auf den meistbegangenen Etappen. In den Herbergen ist ein gänzlich unheiliger Konkurrenzkampf um die Übernachtungsplätze entbrannt. Ähnlich wie Badegäste die Liegestühle am Pool mit Handtüchern reservieren, postieren Pilgerprofis bereits am späten Vormittag vor der Herbergstür ihre Rucksäcke, um Ansprüche anzumelden. Nicht mal die Wanzenplage, die in manchen Unterkünften grassiert, hat dieser Praxis Einhalt gebieten können. Kein Wunder, dass Ruhesuchende Ausschau nach Alternativen halten zum "Französischen Weg", der durch Promi-Pilger wie Paulo Coelho, Shirley MacLaine und Hape Kerkeling zum Welt-Hype geworden ist.

Ambitioniertes Streckenprofil

Eine solche Alternative ist der "Ursprüngliche Weg", der von Oviedo im Norden nach Santiago de Compostela führt. In Oviedos Herberge wurde am 31. August der 3000. Pilger gezählt. Das ist viel für die asturische Hauptstadt, aber fast nichts im Vergleich zur Hauptroute. Und daran soll sich nach dem Willen der Asturier auch nichts ändern. Der Ursprüngliche Weg müsse ein Refugium der Ruhe bleiben, finden sie. Eine Fremdenführerin sagt es anonym, aber deutlich: "Bitte keinen Hape Kerkeling."

Die Gefahr ist gering. Schon über die wenigen steilen Abschnitte auf dem Französischen Weg bricht der Komiker in seinem Bestseller "Ich bin dann mal weg" ja in heftiges Wehklagen aus. Der Ursprüngliche Weg ist nichts für Kerkelinge, er führt ständig auf und ab durch die asturischen und galizischen Berge. Auf den knapp 300 Kilometern sind jeden Tag mehrere hundert Höhenmeter zu bewältigen. Herbergen gibt es ausreichend, doch ist die Gegend dünn besiedelt, weshalb Proviant und Wasser den Rucksack beschweren. Ambitioniert erscheinen die elf bis 13 Etappen, die manche Pilgerführer für die Strecke von Oviedo bis Melide veranschlagen, wo der Ursprüngliche Weg auf den Französischen Weg trifft.

Und dann das Wetter. Im asturischen Idiom "Bable" sagt man "orvallu" zu dem beständigen Nieselregen, der aus den dichten Wolken rieselt, die sich vom Atlantik über die Berge schieben. Das schreckte schon die Mauren ab. Sie überließen die unwirtliche Gegend bei ihrer Eroberung der Iberischen Halbinsel den Überbleibseln der westgotischen Heere. Ein Riesenfehler, wie sich herausstellen sollte. Von Asturien aus begann die christliche Wiedereroberung. König Alfons II. war es, der im 9. Jahrhundert als erster Pilger von Oviedo aufbrach, um das Apostelgrab in Santiago zu besuchen. Er erfand den Jakobsweg.

Am Ziel: Pilger vor der Kathedrale in Santiago de Compostela. (Foto: Reuters)

Alfons markierte die Eckpfeiler seines Herrschaftsgebietes und festigte das noch zersplitterte kleine Reich. Die Pilger, die durch heftige Propaganda in ganz Europa nun kamen, spielten eine zentrale Rolle bei der Neubesiedlung der gewonnenen Gebiete.

Von größter Symbolkraft war für sie die Schatulle, die in der Kathedrale von Oviedo zu besichtigen ist, dem Ausgangspunkt des Ursprünglichen Weges. In der Schatulle werden wunderliche Preziosen aufgehoben, die auf langen und gefährlichen Wegen aus Jerusalem hierher gelangt sein sollen: ein blutiges Schweißtuch, das Jesus zugeschrieben wird, Federn von Erzengeln, Milchtropfen aus der Brust Mariens, eine Sandale Petri. Die dazugehörige Schatzkammer aus dem zehnten Jahrhundert wirkt fast rührend in ihrer gedrungenen Bescheidenheit. Ein halbes Jahrtausend nach dem Fall Roms ahmte die Präromanik noch dessen Baukunst nach und nahm dabei die eine oder andere gefundene Säule oder Münze zu Hilfe.

Oben in der Kathedrale steht eine Christusfigur mit großem Kopf, die wohl früher etwas höher hing, was die verzerrten Proportionen erklärt. Lange war sie für viele Pilger Anlass für einen beschwerlichen Abstecher vom Hauptweg nach Oviedo. Derzeit entdeckt die Fremdenverkehrswerbung ihren alten Leitspruch neu: "Wer nach Santiago geht, geht nur zum Diener - wer nach Oviedo geht, der geht zum Herrn."

Die erste Wegetappe führt durch Haine aus Eukalyptus in die Berge. Die Gegend ist arm, die Regierung hilft nach mit großen Autobahnbauten. Man latscht um riesige Betonpfeiler herum. Auch Freunde der äolischen Energieerzeugung kommen auf ihre Kosten. Der Staat hat dem rückständigen Asturien besonders viele Windräder auf Grate und Höhen gepflanzt.

Wälder aus Eichen und Kastanien

Doch zwischendurch taucht man ein in Wälder aus Eichen und Kastanien, aus dem Río Narcea holen die Fischer Lachs. Am Ufer liegt das Dorf Cornellana. Dort befindet sich eine Herberge in einem aufgelassenen Kloster. Alejandra Medina Rodríguez betreut sie. Jedes Jahr würden es mehr Pilger, sagt sie. Vor wenigen Jahren habe man alle drei Wochen mal einen gesehen. Jetzt sind die 40 Stockbetten meist belegt, zur Not wird die Turnhalle geöffnet. Rummel sei das aber noch keiner, zum Glück.

In La Espina hat der Beton ein Ende. Entlang der kahlen Hänge der Sierra erreicht man Tineo mit seinem weiten Blick auf die kantabrischen Kordilleren mit ihren Zweitausendern. Hier treffen wir eine folgenschwere Entscheidung: eine Etappe auf E-Bikes zurückzulegen, Leihfahrrädern mit Trethilfe. Auf der steilen und steinigen Etappe lernt man die Aufstiegshilfe zu schätzen, besonders wenn ganz unasturisch die Sonne brennt. So gelangt man zum Kloster Obona, das seit dem 8.Jahrhundert verträumt in einem grünen Tal liegt. Im 12. und 13. Jahrhundert war es Pflichtstopp für Pilger, viele blieben, die Gegend erblühte. Seit der Säkularisation steht das Kloster leer, man kann auf einem Mäuerchen dösen und darüber nachdenken, ob etwas mehr Anteil am Jakobsboom nicht doch ganz gut für die Gegend wäre.

Ein Landsträßchen führt nach Campiello, und hier stellt sich heraus, dass der Apostel offenbar keine E-Bikes mag. Der Einsatz eines Motors - und mag er noch so klein sein - ist beim Pilgern ja verboten. Das Elektromotörchen jedenfalls verlegt den Schwerpunkt des Rades nach unten, was sich in einer engen Linkskurve fatal bemerkbar macht. Das Gefährt knickt weg. Eine riesige Beule auf der Stirn veranlasst den Gestürzten zum ersten Gelübde des Weges, nämlich fortan einen Helm zu tragen.

Zum Glück ist Casa Herminia nicht weit, eine Mischung aus Kneipe, Herberge und Gemischtwarenladen, wo es Pflaster und Jod gibt und zur Stärkung Chosco, Eintopf aus gekochtem Schweinefleisch, das tagelang auf Eichenholzfeuer geräuchert wurde. Wirtin Herminia Álvarez del Coto ist eine Institution auf dem Weg. Das Haus steht seit 1632, vor ein paar Jahren hat sie mit acht Betten für Pilger angefangen, jetzt hat sie 50 neben der alten landwirtschaftlichen Maschinenhalle.

Einer ihrer Gäste ist Adrian Arm aus Bern, der von Leon über Oviedo nach Santiago unterwegs ist. Der 25-Jährige geht ohne Probleme 30 Kilometer am Tag. Während Adrian seiner Wäsche im kühlen Abendwind beim Trocknen zusieht, spielen Mitpilger nebenan Bolo Celta, keltisches Bowling mit einem Ball aus Steineiche und komplizierten Regeln. Pilgerabende können lang werden

Monique La Bonne aus Bordeaux ist Profipilgerin, die alle Varianten kennt. Der Nordweg an der Küste sei zu dicht besiedelt, der Hauptweg zu voll, sagt sie. Der Ursprüngliche Weg gefällt der 62-Jährigen am besten. Sie trifft oft tagelang niemanden, in einer Herberge war sie ganz allein. Die nächsten Etappen werden besonders einsam, es geht über windige Pässe nach Grandas de Salime. Die Imker schützen ihre Honigvorräte mit Schieferplatten gegen Bären. In den Tavernen gibt es Wildschwein. In den Flüssen suchen Abenteurer nach Gold. Man fühlt sich ein wenig wie in Kanada.

Fuensagrada ist der erste Ort in Galicien, lange die ärmste Region Spaniens. Ein schiefergraues, windiges Kaff, die Bauten sind eher zweckdienlich als schön. Umso anmutiger die Landschaft voller sanft geschwungener Hügel und baumbestandener Täler. Es gibt ein Heimatmuseum mit wurmstichigen Ackergeräten, die vor kurzem noch in Betrieb waren, sowie eine heilige Quelle, die Fuensagrada den Namen gegeben hat. Das Wasser kühlt die noch sturzgeschwollene Stirn. Es wartet die Etappe über Lugo bis Melide zum Hauptweg. Dort hat es dann ein Ende mit der Ruhe. Aber nach so viel Abgeschiedenheit ist das ja vielleicht auch ganz schön.

Informationen:

Anreise: Iberia fliegt über Madrid zum Flughafen Asturien, eine halbe Busstunde von Oviedo entfernt, zurück mit Iberia von Santiago, insgesamt ab ca. 300 Euro. Unterkunft: Für ein Bett in der Pilgerherberge Oviedo genügt eine Spende, DZ im Hotel de la Reconquista ab 178 Euro, www.hoteldelareconquista.com Weitere Auskünfte: Spanisches Fremdenverkehrsamt München, Postfach 151940, 80051 München, Tel.: 0180/300 26 47, spaininfo@tourspain.es, www.spain.info/de

© SZ vom 21.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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