Souvenirs, Souvenirs:Ach du dickes Mosquito-Ei!

Die Mücken der Tundra finden jede ungeschützte Stelle am Körper, wirklich jede. Selbst dicke Pullover können sie nicht abhalten. Zeit für eine süße Rache.

Birgit Lutz-Temsch

Eine Reise geht so schnell zu Ende. Und die Erinnerungen verblassen auch immer sofort. Also bringen wir jetzt öfter mal was mit und stellen unsere Fundstücke in lockerer Folge vor.

Man wird wahnsinnig. Es surrt. Immer. Im Bett. Beim Frühstück. Im Bus. Am Strand. Moskitos. Tausende, Abertausende, Millionen, Phantastillionen. Sie legen ihre Eier in die quadratkilometergroßen Tümpel der Tundra, aus denen das Wasser nicht abfließen kann, weil der Boden darunter gefroren ist. Der kleine Ort Churchill an der kanadischen Hudson Bay liegt in der Subarktis, genau in der Klimazone, in der es kalt genug ist für Permafrost und warm genug für nervtötende Insekten. Fatale Kombination.

Ein Jogger läuft vorbei. Er ist mehr vermummt als bekleidet, inklusive Handschuhe, obwohl es 20 Grad plus hat. Auf dem Kopf trägt er ein Schutzwerk mit Netz, das an einen Imkerhelm erinnert. Nach zwei Minuten draußen weiß man, warum. Die Mücken der Tundra finden jede ungeschützte Stelle am Körper. Wenn man die Mütze vergisst, stechen sie durch die Haare auf den Kopf, und man kann ihnen sogar dabei zusehen, wie sie ihren juckreizbringenden Saugrüssel durch einen dicken Fleece-Pullover bohren.

Flora und Fauna der Arktis und Subarktis bestechen unter anderem durch ihre extreme Adaptionsfähigkeit. Die Mücken, so scheint es, haben ihre Bohrkraft an die Kleidungsgewohnheiten ihrer Opfer angepasst.

Andererseits arrangieren sich die Bewohner der Tundra mit den Mücken genauso, wie sie mit der Kälte und Dunkelheit im Winter leben, mit den Bären im Herbst und dem Staub im Sommer. Sie praktizieren den von ihnen sogenannten Churchill-Wischer - die permanente, wedelnde Bewegung der Arme vor dem Oberkörper, mit der sie die Insekten verjagen wollen. Mehr noch: Sie versuchen sogar, aus den Mücken Geld zu machen.

Wahnsinn im Gepäck

Churchill lebt von seinen Tieren. Im Sommer kommen die Touristen wegen der Belugas, im Herbst wegen der Bären. Aber es gibt viel mehr Mücken als Bären und Belugas zusammen, und so hat sich irgendein Souvenir-Erfinder runde, weiße Kaugummis ausgedacht, die er nun als Moskito-Eier verkauft. Nur begeisterte Aquarianer und Amphibienliebhaber, die es gewohnt sind, im Zoogeschäft Insektenlarven für ihre Molche, Lurche oder Olme zu erstehen, mögen hier nicht erstaunt den Kopf wiegen.

Alle anderen schüttelt es schon beim Anblick der Verpackung, auf der sich eine lustige, kleine Mücke angesichts der leckeren Eier lustvoll mit der Zunge über die Lippen leckt.

Wer kauft denn so was? Anscheinend ist die Nachfrage recht groß. Der Moskito-Eier-Korb an der Kasse der Arctic Trading Company ist jedenfalls prall gefüllt. "Oh", sagt die Verkäuferin, "die Japaner mögen das." Man stellt dann lieber keine weiteren Fragen mehr.

Rein zum Zwecke dieser Beschreibung kommt eine Eierschachtel mit ins Gepäck. Da steht sie nun, auf dem Schreibtisch, man beäugt sie misstrauisch. Vielleicht schenkt man sie doch lieber einem Lurchhalter. Aufmachen will man die Packung nicht, und auch so hat man Angst, dass sie trotzdem noch irgendwann schlüpfen: die Mücken der Tundra, zu Tausenden, Millionen, Phantastillionen.

Dann hüllen sie erst das Isartal ein mit einer surrenden Wolke, dann München und Bayern und schließlich das ganze Land. Und daran will man nun wirklich nicht schuld sein.

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