Slow Tourism:Alltag ist stressig genug

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Den Berufsalltag prägen Hektik und Stress - im Urlaub suchen manche Reisende das genaue Gegenteil.

(Foto: dpa-tmn)

Hektik bestimmt das tägliche Leben, da suchen viele zumindest im Urlaub Ruhe. Slow Tourism bietet Entschleunigung für Menschen, die auf Reisen auf organisierte Adrenalinkicks verzichten - ein Lob der Langsamkeit.

Caspar David Friedrich war ein überzeugter Slow Traveller - er wusste es nur noch nicht. Wenn der berühmte Maler der Romantik nach Rügen reiste, setzte er gemächlich mit dem Segelboot auf die Ostseeinsel über und wanderte dann zu Fuß weiter - mit häufigen Stopps für seine Skizzen. Fahrten mit der Kutsche waren ihm zu schnell. Dan Kieran ist eine Art moderner Geistesverwandter.

Kieran fliegt nicht, wenn er von England aus nach Warschau möchte oder nach Marrakesch, sondern nimmt den Zug. Das hat mit seiner Flugangst zu tun, aber mehr noch mit seiner Abneigung gegen hektische, flüchtige Eindrücke. Pauschalurlaub ist nicht sein Ding. Kieran ist überzeugter Anhänger des bewussten, langsamen Reisens. Sein erst vor wenigen Monaten auf Deutsch erschienenes Buch "Slow Travel" ist ein Loblied auf die Langsamkeit.

Wobei damit nicht nur die Geschwindigkeit des Reisens gemeint ist, sondern vielmehr die Haltung, die dahinter steht: die Offenheit, Eindrücke nicht nur ganz flüchtig vorüberhuschen zu lassen. Auch wenn Slow Tourism nicht nur etwas für Pauschalreise-Totalverweigerer ist, sieht Kieran dafür in der modernen Reiseindustrie wenig Chancen.

Wen spricht schon das nicht gerade aufregende Motto "Nun mal schön langsam und alles ganz sachte" an? Professor Ulrich Reinhardt sieht das anders: "Slow Tourism hat Potenzial und passt perfekt in unsere Zeit". "Da sind zum einen die Vielbeschäftigten, die sonst immer mit Smartphone und iPad durch die Gegend laufen und im Urlaub runterkommen wollen", erklärt der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Aber genauso interessant sei es für Ältere, die alles etwas ruhiger angehen möchten und vielleicht nicht mehr so gerne in den Flieger steigen. Und daneben all die, die Genuss schätzen und keinen Stress wollen.

Das Bedürfnis nach Ruhe und Entschleunigung findet Susanne Leder mehr als verständlich: "Es gibt in unserer Leistungs- und Erlebnisgesellschaft einfach eine gewachsene Sehnsucht nach Entschleunigung", sagt die Professorin für Tourismusmanagement an der Fachhochschule Südwestfalen in Meschede. "Die zunehmende Komplexität und Geschwindigkeit in der Arbeitswelt macht mental erschöpft", erläutert die Wissenschaftlerin. So mancher würde da am liebsten sein Leben komplett ändern - das ist allerdings schon psychologisch meist eine Nummer zu groß. "Beim Reisen probiere ich aus, wie das geht. Da darf ich mich trauen, etwas zu machen, was ich mich sonst nicht trauen würde", erläutert die Wissenschaftlerin. "Ich kann zum Beispiel sagen "Ich bin platt, ich muss runterfahren, ich gehe für eine Woche ins Kloster"."

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Wandern und Pilgern sind zwei Urlaubsaktivitäten, bei denen Tempo nicht im Vordergrund steht.

(Foto: dpa-tmn)

Wie Slow-Tourism-Angebote im Einzelfall aussehen, könne sehr unterschiedlich sein: "Das reicht vom Almurlaub über das Meditationsseminar bis zur Wüstenwanderung", sagt Prof. Leder. "Von asketisch bis luxuriös." Viele Trends im Tourismus haben damit zu tun: der zu Wellness genauso wie der zur Pilgerreise. Dass die Schweiz das Netz an Winterwanderwegen ausbaut, hängt genauso damit zusammen wie das Bemühen mancher Ferienorte wie den Alpine Pearls, das Autofahren im Urlaub verzichtbar zu machen.

Aber ist Slow Tourism vielleicht nur ein Hype? "Es gibt jedenfalls inzwischen viel mehr Regionen, Ferienorte und Veranstalter, die entsprechende Angebote machen, als wir anfangs gedacht haben", sagt Susanne Leder. "Auch die Tui wirbt inzwischen mit dem Slogan 'Zeit für Gefühle'." Allerdings besteht die Gefahr, dass die Branche das Label allzu großzügig einsetzt. Denn letztendlich geht es doch darum, Abstand zu schaffen - und sei es auch nur, indem man durch den Stadtpark schlendert.

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