Skigebiete Kanada: Whistler:Das Poltern nach dem Pfeifen

Im einst beschaulichen Whistler in Kanada beginnen in einem Jahr die Olympischen Winterspiele - schon heute wird die Party geprobt.

Titus Arnu

Die junge Frau ist schon morgens um acht irre gut drauf und begrüßt einen strahlend am Sessellift: "Hi Honey, you look fantastic today!" Das kann man von ihr auch sagen. Sie trägt blaue Strumpfhosen, rote Turnschuhe, ein blaues Trikot und eine Australien-Fahne als Umhang. Ins Gesicht hat sie sich rote Streifen und blaue Sterne geschminkt. Ein erstaunlicher Anblick, besonders bei minus 15 Grad, Wind und Schneefall.

Die schockierende Begegnung mit der luftig gekleideten Liftfrau macht einen etwas nachdenklich. Müsste man die Dame kennen, eventuell sogar gut? Falls nicht, wieso nennt sie einen dann "Honey"?

In den Alpen wäre man eher verstört, wenn einen der Lift-Sepp so begrüßte. In Whistler ist das völlig normal. Dort gehört eine positiv ausgeflippte Grundstimmung zum Skiurlaub wie in Tirol der Jagatee zur Hütte.

Whistler, ein Ort mit etwa 9000 Einwohnern, ist im Winter bevölkert von Horden notorisch gut gelaunter, skiverrückter junger Leute aus der ganzen Welt, die als Liftboys und Liftgirls, Bierzapfer, Ski-Service-Fachkraft oder Snowboardlehrer arbeiten. An diesem klirrend kalten Tag ist "Aussie-Day", an dem die Australier sich selbst feiern - deshalb trägt die Frau am Lift nur eine dünne Flagge statt einer warmen Jacke. Spaß kennt keine Temperaturgrenzen.

Kein Wintersportort in Nordamerika hat mehr Partys und mehr Pisten zu bieten als Whistler. Und bis 2010 soll alles noch größer und besser werden. Dann kommen die Olympischen Winterspiele nach Vancouver und Whistler, und natürlich rechnen die Organisatoren damit, dass die Veranstaltung eine einzige Riesensause wird.

Nachhaltiges Erbe der Großveranstaltung

Von dem Sportereignis wird aber langfristig noch viel mehr erwartet. Die ganze Tourismusregion soll davon profitieren. Nachhaltigkeit ist das Ziel, sowohl in Whistler, wo die alpinen und nordischen Disziplinen sowie die Bob-und Rodelwettbewerbe ausgetragen werden, als auch in Vancouver, wo die Zeremonien stattfinden und alle restlichen Sportarten.

"Wir wollen nicht nur großartige Spiele veranstalten", sagt John Furlong, Vorsitzender des Organisationskomitees Vanoc, "wir müssen den Gemeinden auch ein nützliches Erbe hinterlassen." Après-Ski ist in Whistler extrem wichtig, auch im übertragenen Sinne, wenn man die Kosten von mehr als zwei Milliarden Euro rechtfertigen will.

Tägliches Üben für die große Party

Après-Ski im nicht übertragenen Sinne ist sowieso ein großes Thema in Whistler. Schon ein Jahr vor Beginn der Spiele wird täglich geübt für die große Party. Jeden Sonntagabend feiern die Wintersportler, bis es raucht.

An der Talstation der Gondelbahn auf den Whistler Mountain steigt wöchentlich die Show "Ring of Fire", die ziemlich wenig mit Johnny Cash und viel mit olympischem Feuer zu tun hat. Zu Hip-Hop-Musik hüpfen Snowboarder und Skifahrer über eine Schanze durch einen brennenden Reifen, manchmal rückwärts und mit doppeltem Salto. Nebenan, in der Bar "Garibaldi Lift Company", tanzen die Leute zu Livemusik auf den Tischen, das Bier kommt in 1,5-Liter-Krügen.

Das Poltern nach dem Pfeifen

Whistler heißt Whistler ("Pfeifer"), weil in dieser Gegend früher außer dem Pfeifen von Murmeltieren nicht viel zu hören war. Heutzutage kann es schon mal etwas lärmiger zugehen, nachdem die Lifte geschlossen haben (im Januar teilweise schon ab 14.30 und 15 Uhr). Besonders laut wird es, wenn "Aussie Day" ist und betrunkene Jugendliche in Badehose und Flipflops grölend und hüpfend durch die zugige Fußgängerzone ziehen.

Ruhe abseits der Feiermeile

Wenn man etwas abseits der Feiermeile wohnt, am Fuß des Blackcomb Mountain etwa, hat man aber seine Ruhe. Es gibt auch keine Beeinträchtigungen durch Baulärm, denn alle Sportstätten für Olympia sind bereits jetzt, ein Jahr vor Beginn der Spiele, fertig.

In Whistler wurden eine Bobbahn, Unterkünfte für die Athleten und ein Zentrum für die nordischen Sportarten neu errichtet, in Vancouver eine Halle für Eisschnelllauf, eine Curlinghalle und das olympische Dorf. Die Hälfte der Sportanlagen existierte bereits. Denn Whistler ist schon vor 40 Jahren zu olympischen Zwecken gebaut worden. Geschäftsleute aus Vancouver hatten in den siebziger Jahren erste Lifte auf dem Whistler Mountain errichtet, um die Olympischen Winterspiele in die Region zu holen, waren aber mit der Bewerbung zweimal knapp gescheitert.

Mit großem Aufwand wurde die ganze Region deshalb nun in ein hochmodernes Wintersportgebiet transformiert. Die neue Bobbahn in Whistler gilt als sehr anspruchsvoll. Nach den Spielen werden Touristen in Bobs mitfahren können und dann am eigenen Leib erfahren, welche Kräfte dabei auf den Körper wirken.

Besser, schneller, weiter - dieses Motto gilt auch für das Skigebiet und seine Abfahrten. Im Dezember 2008 wurde das Weltrekord-Projekt "Peak to Peak Gondola" in Betrieb genommen: Die Seilbahn fährt in elf Minuten 4,4 Kilometer vom Gipfel des Whistler Mountain zum Blackcomb Mountain, davon schwebt sie 3000 Meter lang frei über dem Tal, bis zu 400 Meter hoch. Zwei der 28 Gondeln sind mit Glasboden ausgestattet - für Menschen mit Höhenangst ist das nichts.

Exotische Sportarten stoßen auf Verwunderung

Whistler war als Ziel für Pistenspaß und Heli-Skiing schon immer beliebt, Sportarten wie Langlauf, Biathlon und Skispringen stoßen aber oft noch auf Verwunderung. Und obwohl 30 Prozent aller Medaillen dort verteilt werden, ist das Nordische Zentrum im Callaghan Valley bei Whistler ziemlich beschaulich ausgefallen.

Bislang verirren sich nur wenige Touristen dorthin, obwohl es ein hervorragend präpariertes Loipennetz gibt, das durch eine spektakulär schöne Landschaft führt. "Langlauf wird durch die Olympischen Spiele populärer werden", hofft Chris Waller, Chef des Langlaufzentrums. Und die Biathlon-Crashkurse, die er seit kurzem anbietet, seien besonders bei Jugendlichen beliebt - "im Wald rumlaufen und schießen, das mögen die".

Lesen Sie weiter, wie die Ureinwohner damit umgehen, das ihre Heimat vermarktet wird.

Das Poltern nach dem Pfeifen

Ein großer Teil des Geldes für die Winterspiele, etwa 400 Millionen Euro, fließt in den Ausbau des Sea-to-Sky-Highways, der Whistler und Vancouver verbindet. Das olympische Dorf ist indes von der Pleite bedroht: Zuletzt stiegen die Baukosten dafür auf 875 Millionen kanadische Dollar (537 Millionen Euro), die Stadt musste einen Sonderkredit aufnehmen. Auch die Kosten für die Sicherheit während der Spiele werden fünf mal höher als geplant.

Beim aufwändigen Umbau der Landschaft durften auch die "First Nations", wie die indigenen Völker in Kanada respektvoll genannt werden, ein Wörtchen mitreden. "Pelpala7wit i ucwalmicwa muta7 ti tmicwa" heißt es in der Sprache der Lil'wat, die in der Gegend von Whistler leben - das Land und die Menschen sind eins.

Für die Stämme der Lil'wat und der Squamish sind Berge, Wälder und Flüsse beseelt, viele Gipfel gelten als Sitz von Geistern. Auf dem markanten Black Tusk, einem erloschenen Vulkan, sei einst der legendäre Donnervogel gelandet, sagt Tsunaxen, der mit bürgerlichem Namen Willie Lewis heißt. Wie gehen die Ureinwohner damit um, dass ihr Land nun komplett vermarktet wird?

"Wir können der Welt durch Olympia zeigen, dass wir lebendig und aktiv sind", sagt Tsunaxen, "und nicht nur benachteiligt und vom Aussterben bedroht." 5000 Squamish und 3600 Lil'wat leben in dem Gebiet, auf dem die Olympia-Stätten errichtet wurden, und sie haben sich ganz gut mit der Veranstaltung arrangiert.

In Whistler hat gerade das Kulturzentrum "Skwxwú7mesh Lilwat7úl" eröffnet, in dem die First Nations ihre Geschichte, Sprache und Traditionen präsentieren. Die Stämme der Lil'wat, Musqueam, Squamish und Tsleil-Waututh, die seit Jahrtausenden in der Gegend leben, sind offizielle Mitgastgeber der Spiele. Das olympische Komitee schmückt sich nicht nur mit deren Folklore - sie wollen auch die ökologische Lebensweise und die Spiritualität der Ureinwohner zum Thema machen.

Nur das nehmen, was man braucht

Ein Prinzip der Lil'wat heißt "K'ul'tsam", was ungefähr bedeutet: Nimm dir nur die Nahrung, die du brauchst. Am Seafood-Buffet des Four Season Hotels, wo frische Austern, Riesenkrabben, Jakobsmuscheln und Lachscarpaccio zur Auswahl bereitliegen, fällt das allerdings ebenso schwer wie in den ausgezeichneten Restaurants von Vancouver. Etwa im chinesischen Sun Sui Wah Seafood Restaurant, wo es Dim Sum mit Garnelen, gedämpfte Seeohren (Abalone) und Hühnerfüße zu essen gibt. Die Nachfrage beim Kellner, was sich hinter dem poetischen Namen "geröstete Entenzunge" verbirgt, ergibt allerdings die prosaische Auskunft: "Ja, genau: geröstete Entenzunge."

Informationen

Anreise: Mit Lufthansa und Air Canada Direktflüge von Frankfurt am Main nach Vancouver, mit British Airways über London. Weiter mit dem Mietwagen oder dem Bus "Whistler Express" (www.perimeterbus.com).

Unterkunft: Four Seasons Whistler, 4591 Blackcomb Way, Whistler, B.C., Canada, DZ ab 180 Euro, Tel.: 001/604/935 34 00, www.fourseasons.com/whistler

Skigebiet: Whistler und Blackcomb Mountain, Tel.: 001/604/904 81 34, www.whistlerblackcomb.com, etwa 200 Pisten, 30 Lifte

Allgemeine Auskünfte: Canadian Tourism Commission, Tel.: 018 05/52 62 32 (14 Cent/Min.), www.BritishColumbia.travel

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