Shetlandinsel: Berühmte Bushaltestelle:Heim zu Bobby

Auf der nördlichsten Shetlandinsel Unst gibt es viel Wind, wenig Menschen, aber ein Bushäuschen, das berühmt geworden ist.

Sven Weniger

Niemand soll sagen, dass es keine Märchen mehr gibt in unserer nüchternen Zeit. Sie schreiben sich nur anders. Dieses handelt von einer Bushaltestelle, die zum Kultobjekt wurde, und es geht so:

bobbys bus shelter

So sah der Unterstand 2010 aus.

(Foto: Sven Weniger)

Es war einmal ein kleiner Junge mit Namen Bobby, der lebte auf einer sehr kleinen Insel. Jeden Tag fuhr er mit dem Fahrrad von zu Hause zu besagter Bushaltestelle, um von dort in die Schule zu kommen. Eines Wintermorgens aber hatte ein Sturm das Dach des Wartehäuschens fortgeblasen, seine traurigen Reste wurden kurz darauf abgerissen. Von nun an wartete Bobby jeden Tag frierend bei Wind und Wetter am Straßenrand, mutterseelenallein, denn weit und breit gab es nur Wiesen und Ödland. Da fasste sich der Junge ein Herz und schrieb einen Beschwerdebrief an die örtliche Zeitung, und ein Wunder geschah...

Unst ist die nördlichste der Shetland-Inseln, die zu Schottland gehören; es ist sogar die nördlichste Insel Großbritanniens überhaupt. 614 Einwohner zählt der Zensus; davor steht ein "circa", ganz sicher scheint man sich nicht zu sein. Außerdem gibt es mehr als 100.000 brütende Seevögel, eine Handvoll Dörfer, zerklüftete Küsten, viel Meer, im Winter nur drei Stunden Tageslicht.

Wer Unst googelt, wird stets auf "Kunst" korrigiert, so als sei die Insel nur ein Tippfehler. Und doch war es das Internet, das die Geschichte von Bobby und seinem Bushäuschen hinaustrug in die Welt.

Die Stars: zwei Stoff-Hamster

Nicht lange, nachdem die Zeitung The Shetland Times den Leserbrief des siebenjährigen Bobby Macaulay 1996 veröffentlichte, hatte die Verwaltung ein Einsehen und setzte ein nagelneues rotes Wartehäuschen an den Platz des alten: Einen ungefähr ein Meter breiten und drei Meter langen Rahmen aus Vierkantrohr, verglast und mit offenem Eingang - die Standardausführung auf der Insel. Ein paar Tage später standen darin plötzlich ein altes Sofa und ein Tisch - woher sie kamen, wusste niemand.

bobbys bus shelter

So sah der Unterstand 2009 aus.

(Foto: Sven Weniger)

Kurz darauf folgten ein Fernseher, eine Snack-Vitrine, ein Heizlüfter, ein Teppich. Flugs war ein heimeliges Wohnzimmer aus der Haltestelle an der A968 zwischen den Weilern Unst und Baltasound geworden.

Der Volksmund nannte sie von nun an nur noch Bobby's Bus Shelter. Bald lag ein Gästebuch für die wenigen Nutzer aus, das sich mit Einträgen füllte, denn auch andere Insulaner schauten neugierig vorbei. Die englische Presse bekam Wind von der Sache. Bobby, inzwischen neun, bastelte mit seinen Eltern eine Website, und die Geschichte nahm Fahrt auf.

Inspiriert von Bobbys Story, ließen lokale Leser ihrer gestalterischen Phantasie nun freien Lauf. Man darf vermuten, dass viele einfach dankbar waren für die Abwechslung in ihrem einförmigen Alltag.

Zeugen für die jeweiligen Umbauten gab es keine. Ein PC kam hinzu, eine Kommode, Telefon, Vorhänge, Blumen. Eine Mikrowelle ersetzte die Snackbox. Im Wartehäuschen wurde es langsam eng. Der Clou aber waren die beiden Stoff-Hamster, die plötzlich samt Käfig in Bobby's Bus Shelter abgeliefert worden waren. Eine brillante Räuberpistole zu ihrer Herkunft erschien auf Bobby's Website, die beiden Spielzeugtiere avancierten zu Stars.

Mini-Bühne für Selbstdarsteller

Immer schneller drehte sich das Ideenkarussell. Im Winter Lichterketten und eine Flasche Whisky für die frierenden Busgäste; königlicher Schmuck zum Kronjubiläum der Queen, Themen-Dekorationen zum Millennium und schließlich Afrika, als der inzwischen 18-jährige Bobby dort ein Freiwilligenjahr absolvierte. Und immer gab es Einträge im Web, Kommentare, Anregungen, Kritik. Bis heute, denn das Märchen ist noch nicht zu Ende.

bobbys bus shelter

So sah der Unterstand 2008 aus.

(Foto: Sven Weniger)

Bobby ist mittlerweile erwachsen, und auch sein Baby führt längst ein eigenes, überaus dynamisches Leben. Denn das Wartehäuschen hat Unerhörtes erreicht, zuletzt den Schritt vom Kult zum Kultur-gut.

Es zeigt Ausstellungen, ist Bühne für Live-Musik. Während des Shetland Film Festivals wurde es gar zum Kino mit Leinwand und Projektor. Ein bekannter Kritiker aus London saß mit seiner Mutter auf den beiden einzigen Plätzen, sah ein Werk des örtlichen Filmclubs und war sehr angetan. Seit einigen Jahren wird die Haltestelle jedes Jahr in einer anderen Farbe dekoriert. Bobby's Bus Shelter hat bereits seine gelbe, türkise und rosa Periode durchlaufen. 2010 war Orange dran, selbst die Topfblumen hatten die passende Farbe.

Internetblogs bleiben stets am Ball und berichten begeistert, Fremdenverkehrsbeamte der Insel sind besorgt.

Schneewehen auf den Möbeln

Der Unst Bus Shelter - Bobby meinte, nun habe er lange genug seinen Namen getragen - steht derart im Fokus der wenigen Besucher der windigen Insel, dass sich niemand mehr für die vielen anderen Sehenswürdigkeiten interessiert: das Bootsmuseum, das Kulturhaus, die klapprige Burg, den Leuchtturm, die kleine Schokoladenfabrik.

SZ Grafik Schottland

Hier findet man den Ort zum berühmten Bushäuschen.

(Foto: SZ Grafik)

Die Leute fahren vom Belmont-Fähranleger im Süden auf der A968 direkt nach Norden zum Bushäuschen und kehren nach Besichtigung wieder um. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele der anderen Highlights meist geschlossen sind. Die Saison ist kurz, der Winter verdammt lang.

Die Bushaltestelle jedenfalls ist immer offen. Im Winter legen sich Schneewehen sanft aufs Mobiliar; die besten Stücke bringen die Nachbarn vorher in Sicherheit. Von Ostern an erwacht Bobby's Bus Shelter wieder zu neuem Leben.

Der Tag ist windig wie immer an der Landstraße zwischen Baltasound und Unst. Weit und breit ist kein Fahrzeug zu sehen. Hinter den Weidezäunen und leeren Wiesen bohren sich die Meerfinger der Shetland-Lochs in die Küste. Vor den Gattern steht, leuchtend wie eine exotische Skulptur, Bobby's Bus Shelter.

Die Blumen in den Kübeln flattern wie Wimpel in der Atlantikbrise. Da nähert sich von Westen der weiße Linienbus von P&T Coaches. Er verlangsamt kurz seine Fahrt. Als der Fahrer sieht, dass keine Gäste auf ihn warten, gibt er Gas und verschwindet.

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