Shenzhen:Westwind in der Stadt der Konkubinen

Einst ein verschlafener Grenzort, gehört Shenzhen in Südchina heute zu den am schnellsten wachsenden Metropolen der Welt. Ein grober Fauxpas in der Stadt: Fahrradfahren.

Gemeinhin gilt Schanghai mit seinen Wolkenkratzern und seinem gigantischen Wirtschaftswachstum als die chinesische Boomtown schlechthin. Dieser Ruf ist zweifellos gerechtfertigt, doch Schanghai hat diese Rolle nicht für sich allein gepachtet.

Denn 1400 Kilometer weiter südlich gibt es eine andere chinesische Metropole, die genauso beeindruckende Hochhäuser und eine nicht minder boomende Wirtschaft bieten kann: Shenzhen zählt inzwischen zwölf Millionen Einwohner und hat damit ihre Nachbarstadt Hongkong weit überholt, die auf sieben Millionen Bewohner kommt.

Erstaunlicherweise ist Shenzhen bis heute ein weißer Fleck auf der touristischen Landkarte, selbst vielen weit Gereisten ist die Stadt kein Begriff. Das mag daran liegen, dass sie sich aus dem Schatten von Schanghai und Hongkong noch immer nicht herausgearbeitet hat. Zudem war Shenzhen bis 1979 nichts als ein verschlafener Grenzort mit gerade 30.000 Einwohnern, ein bedeutungsloses Nest ohne jeden Reiz.

Doch dann ging es Schlag auf Schlag: 1979 erhielt Shenzhen die Stadtrechte, ein Jahr darauf beschloss die Führung in Peking, die Stadt zur Sonderwirtschaftszone zu erheben. "Lasst den Westwind herein. Reichtum ist ruhmvoll", war damals die Parole von Machthaber Deng Xiaoping. Und die wurde befolgt: Ein unerhörter Bauboom setzte ein, Millionen Chinesen aus allen Teilen des Landes strömten in die aufstrebende Metropole, die im Auftrag der Kommunistischen Partei die damalige britische Kolonie Hongkong in den Schatten stellen sollte.

Fahrräder verboten

Das ist zumindest auf den ersten Blick gelungen: Die Skyline kann sich mit der von Manhattan messen. Das höchste Gebäude, das Diwang Mansion, misst 384 Meter. Ein Hochhaus entsteht in Shenzhen doppelt so schnell wie in anderen Teilen der Welt.

Die Stadt verfügt, anders als andere chinesische Millionenmetropolen, über zahlreiche Parks und moderne Stadtautobahnen voll mit Mercedes- und BMW-Limousinen. Dazu kommen Unmengen von Einkaufszentren und Restaurants, darunter die erste McDonalds-Filiale in ganz China. Fahrräder sind verboten - sie gelten als Symbol der Armut und würden den regen Autoverkehr stören.

Mit Hongkongs Alltag ist die Atmosphäre aber nicht zu vergleichen: In Shenzhen spricht kaum jemand Englisch, was die Verständigung erschwert. Zudem ist das Leben in Shenzhen hektischer. Die Menschen haben nicht viel übrig für Müßiggang und Langsamkeit, schließlich ist man hier, um in kürzester Zeit viel Geld zu verdienen.

Westwind in der Stadt der Konkubinen

Heute leben offiziell 3,5 Millionen Chinesen in Shenzhen, hinzu kommen acht bis neun Millionen Bewohner ohne Dauerwohnrecht. Sie arbeiten in den Baustellen, Fabriken und Werkstätten, wo die meisten T-Shirts, Plastikkugelschreiber und Einwegrasierer weltweit produziert werden.

Kaum jemand in der Stadt ist älter als 30 Jahre. Nirgendwo in China, auch nicht in Schanghai, ist das Einkommen pro Kopf höher. Das Verhältnis von Männern zu Frauen beträgt drei zu sieben. Nicht wenige der Shenzhenerinnen sind "Zweitfrauen" von reichen Hongkong-Chinesen, weshalb Shenzhen auch die "Stadt der Konkubinen" genannt wird.

Viele ausländische Touristen gibt es bis heute nicht in Shenzhen, manche Hongkong-Urlauber kommen für einen Tag herüber. Empfehlenswert sind aber durchaus mehrere Tage am Ort. Die Hotels sind um einiges günstiger als in Hongkong.

Zudem hat Shenzhen neben seiner modernen Architektur viele Attraktionen zu bieten, etwa den Lotus-Hill-Park mit einer Deng-Xiaoping-Statue. Das Einkaufszentrum Dongmen Circle ist eine Art Fußgängerzone aus zehn Straßen mit Geschäften, in denen das Preisniveau deutlich unter dem von Hongkong liegt. Und im Künstler-Stadtteil Dafen gibt es reihenweise Geschäfte, die sich auf das Kopieren von Ölgemälden spezialisiert haben. Eine von Hand gemalte "Mona Lisa" ist hier schon für umgerechnet 20 Euro zu haben.

Preiswerte Dienstleistungen

Auch Dienstleistungen wie Massagen und Maniküre sind preiswert, ebenso wie die Schneider, die in jedem Einkaufszentrum sitzen und innerhalb von ein bis zwei Tagen Maßanzüge und Maßhemden fertigen.

Für Zerstreuung sorgen auch mehrere Freizeitparks. Spannend ist "Minsk World", ein stillgelegter sowjetischer Flugzeugträger, der besichtigt werden kann. Während man Kampfflugzeuge, Torpedos und Raketen bewundert, sorgen als Russen verkleidete Chinesen, die russische Volksmusik zum Besten geben, für Unterhaltung. Im "China Folk Cultural Center", einem großen Freilichtmuseum, werden die Minderheiten und Stämme des Landes einschließlich der aus dem annektierten Tibet mit ihren originalgetreuen Häusern ausgestellt.

Auch "Windows of the World" lohnt einen Besuch: Hier werden Sehenswürdigkeiten aus aller Welt in einer Miniaturversion gezeigt, von den Pyramiden über den Kölner Dom bis zu den Niagara-Fällen ist der komplette Globus vertreten. Zu den beliebtesten Fotomotiven zählt die nachgebaute Skyline von Manhattan, die vollständiger aussieht als das Original: In Shenzhen ist das World Trade Center noch vorhanden.

Informationen

Anreise und Formalitäten: Regelmäßige Flüge von Deutschland nach Shenzhen gibt es nicht. Es empfiehlt sich eine Anreise über Hongkong. Vom dortigen Flughafen aus dauert die Zugfahrt zum Grenzbahnhof Lo Wu rund eine Stunde. Der Grenzübergang nach Shenzhen befindet sich innerhalb des Bahnhofsgebäudes. Im Unterschied zu Hongkong benötigt man für die Einreise nach Shenzhen allerdings ein chinesisches Visum. Informationen dazu gibt es online unter www.china-botschaft.de.

Klima und Reisezeit: Subtropisches Klima mit heißen und feuchten Sommern. Gute Reisemonate sind Oktober bis März.

Weitere Informationen: Fremdenverkehrsamt der Volksrepublik China, Ilkenhansstraße 6, 60433 Frankfurt (Tel.: 069/52 01 35).

Internet: www.china-tourism.de

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