Shanghai vor der Expo:Stahl trifft Bambus

Im Mai beginnt die Expo in Shanghai. Sie soll die Stadt der Zukunft zeigen. Ein Besuch im Vorfeld gibt vor allem Aufschluss über die Gegenwart.

Claudia Fromme

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China Shanghai Expo 2010, AFP

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Ji Hai Ruan rackert für Deutschland. Vor einem halben Jahr hat der 37-Jährige seine Familie in der zentralchinesischen Provinz Hubei verlassen, um mit anderen Stahlarbeitern nach Shanghai zu ziehen. Er klopft sich den Staub von der Hose und lacht verlegen, gerade hat er die letzten Streben am deutschen Pavillon verschweißt. Herr Ji schreibt Geschichte: Er baut mit an der größten Expo aller Zeiten mit dem größten deutschen Pavillon aller Zeiten. Es soll die grünste Expo aller Zeiten werden mit den meisten Besuchern aller Zeiten. China kann vor Stolz kaum noch gehen.

"Die Arbeit ist immer dieselbe", sagt Herr Ji und zuckt mit den Schultern. Klettern. Schweißen. Hämmern. "Nichts Besonderes." Man möchte ihn herzen für die Gelassenheit inmitten des Expo-Wahns.

Bauarbeiter auf dem Expo-Gelände Foto: AFP

China Shanghai Expo 2010, AFP

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Von Mai bis Oktober 2010 stellt sich die Welt in Shanghai vor, vor allem aber Shanghai der Welt, darum wird geklotzt im Jangtse-Delta. 70 Millionen Besucher sollen die Stadt der Zukunft erleben, sechs Millionen davon aus dem Ausland.

Seit Jahren läuft in Shanghai die Vorfreude auf Hochtouren: Überall sind Wände mit Expo-Plakaten tapeziert, flackern Werbespots, wacht die Benimmpolizei. Kein Spucken, kein Rempeln, kein Pyjama! Zum Flanieren wird das Nachtkleid zuweilen noch getragen, was eine schöne Sitte ist in der glattgebügelten Finanzstadt. Die Behörden stört sie, darum raten nun "Zivilisierte-Kleidung-Überzeugungs-Komitees" höflich zu mehr Stil.

Herr Ji sagt, dass ihm alles egal sei. Er mache nur seine Arbeit, und zwar gerne. Er ist altes China. Die Expo will neues China sein. In Shanghai treffen sie sich.

Expo-Symbol Hai Bao Foto: AFP

China Shanghai Expo 2010, AFP

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Shanghai ist Baustellenland, nicht nur auf dem fast sechs Quadratkilometer großen Areal zwischen Nanpu- und Lupu-Brücke. Sechs U-Bahn-Linien mit 250 Stationen entstehen, Viertel werden abgerissen, die berühmte Uferstraße Bund wird aufgemöbelt. Fast 30 Milliarden Euro kosten alle Baumaßnahmen.

Gearbeitet wird immer, und aus den gläsernen Hotellifts betrachtet wirken nächtliche Schweißarbeiten wie Feuerwerke. Das Arbeitsrecht lässt hier viel Spielraum.

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China Shanghai Expo 2010, AFP

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Von Deutschland nach China sind es 20 Minuten, wenn man flott läuft. Es könnte unangenehm werden, wenn im Sommer die Sonne bei 40 Grad aufs planierte Areal knallt. Wer vor dem deutschen Pavillon wartet, erhält darum einen Schirm. Von diesem typischen Accessoire der Chinesinnen hat Wiechell sich inspirieren lassen, sagt er. Eine lichtdurchlässige Membrane umgibt sein Bauwerk.

Der Pavillon Chinas überstrahlt alles. Steht man am Fuß des Monumentalbaus, der an eine Pagode erinnert und korallenrot leuchtet, schwindelt es einen. 64 Meter hoch ist er, wie ein Haus mit 20 bis 25 Etagen. Er ist das Tor zur Expo.

Ein Trupp chinesischer Bauarbeiter kommt vorbei, einer schüttelt den Kopf, reicht einen Bauhelm. "Aufsetzen!", befiehlt er freundlich. Dann schwingt er sich auf das Gerüst des nahen Besucherzentrums.

Chinesischer Pavillon Foto: AFP

China Shanghai Expo 2010, ddp

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Auf der Baustelle des deutschen Expo-Pavillons wird nach deutschem Recht gebaut - und nach deutscher Sitte. So feierte Ji Hai Ruan also das erste Richtfest seines Lebens. Bratwürste, Bier, Bänke. "Natürlich geht's hier um die Arbeit", sagt Lennart Wiechell, der Architekt. "Aber ebenso bauen wir ein Gebäude aus sozialen Beziehungen."

Ein Richtfest ist nicht nur in China ungewohnt, sondern auch für den Pavillon - einen Dachstuhl hat er nicht. "Balancity" heißt das formschöne Bauwerk, das wirkt wie drei Gletscher, die in einem Hang gelandet sind. Im März 2009 war erster Spatenstich, jetzt steht der Innenausbau. 30 Millionen Euro ist das Budget für den Pavillon, 6000 Quadratmeter ist er groß.

Besucher reisen schneckenförmig in die Stadt der Zukunft, in der Mensch und Umwelt in Balance sind. Es gibt einen Hafen, Parks, eine Fabrik, eine Oper, bis man in der Energiezentrale landet. Dort hängt eine drei Meter dicke Kugel, die durch Bewegungen und Rufe schwingt. Auf dem Weg dahin sieht man deutsche Kultur und Wirtschaft, darum geht's ja, ums Verkaufen.

Computergrafik: ddp

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Eine neue Welt entsteht, die alte wird umgebaut. Das Bindeglied ist: Bambus. Auf der Expo kommt kaum ein Gerüst ohne den jahrtausendealten Baustoff aus, mit Seilen sind die Riesengrashalme festgezurrt, Bambusmatten dienen als Laufstraße.

Florian Özdikmen eilt über das Gerüst des Besucherzentrums, es sieht aus, als tänzele er auf einer Bambusbrücke im RTL-Dschungelcamp. "Sitzt bombenfest!", ruft er begeistert. Er ist Co-Architekt des deutschen Pavillons. Bambus sei ein faszinierender Baustoff, schwärmt er. Darum gehe es doch hier, ums Lernen. Etwa, dass man mit der deutschen Art nicht immer weiterkommt. "Mir konnte es zuerst nicht schnell genug gehen", sagt er. Doch je mehr die Deutschen einforderten, desto länger mussten sie auf die Freigabe durch die Chinesen warten.

Özdikmen lernte zu warten - und zu verstehen. Er habe wochenlang nur Sport mit den chinesischen Kollegen gemacht. Mit mehr Gelassenheit laufe nun alles gut.

Foto: AFP

China Shanghai Expo 2010, AFP

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Wer von der Expo ins Herz der Stadt will, folgt einfach den Bambusgerüsten, mit denen die Häuser der Hauptstraßen versehen sind. Herr Li wohnt am Suzhou-Creek im traditionellen Shikumen, einem Hofhaus; gerade repariert er die Rollschuhe seiner Enkelin, nebenan vierteilt ein Mann eine Schildkröte. Seit fast 50 Jahren lebt er hier. "Für die Stadt ist die Expo gut", sagt er. Ob sie auch für sein Viertel gut ist, weiß er nicht. Immer näher rücken die Abrissbagger.

Im Nachbarviertel waren schon Offizielle wegen einer Umsiedlung, nicht für die Expo, aber danach. "Ich will nicht weg", sagt Li. "Wegen der Hochhauskrankheit." Geht er zur Expo? "Nein", sagt er. "Ich bin zu alt."

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China Shanghai Expo 2010, AFP

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"Hochhauskrankheit" nennen sie hier die Umpflanzung in Hochhäuser, die Großfamilien trennt, die einsam macht. Alle beeilen sich zu sagen, dass für schönere, größere Wohnungen gesorgt werde. Für die Expo mussten 272 Firmen, darunter Werften und Stahlfabriken, das Areal verlassen. 18.000 Familien wurden umgesiedelt, direkt gezwungen worden sei keiner, heißt es. Harmonie ist ein Lieblingswort der Kommunistischen Partei.

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China Shanghai Expo 2010, AFP

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Harmonie schätzt auch Cai Long Gen, vor allem in der Kasse. Vor der Zickzack-Brücke am beliebten Huxinting-Teehaus trifft man ihn an einem Postkartenstand. Er hoffe, dass viele Expo-Besucher es zu ihm schaffen. Shanghai verlassen hat er noch nie. "Die Welt kommt zu uns, da muss ich nicht in die Welt hinaus", sagt der kleine Mann mit den lustigen Augen. Besucht er die Expo? "Ich kann nur weg, wenn ich genug Karten verkauft habe", sagt er. Das sei für ihn leider wichtiger als alles Philosophieren über die Umwelt.

Überdachter Boulevard auf dem Expo-Gelände Foto: AFP

China Shanghai Expo 2010, AFP

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Darum geht es bei der Expo. "Better City, Better Life" ist ihr Motto, und es ist die erste Weltausstellung, die sich um das Leben in der Stadt kümmert. Shanghai ist die ideale Kulisse dafür. Amerikaner, Briten, Franzosen, Japaner hatten hier das Sagen, und so trägt Shanghai viele Gesichter. Ein bisschen Europa, ein bisschen USA, sehr viel neues China.

Auf der einen Seite ist da der weltweit umschlagsstärkste Hafen, die einzige Magnetschwebebahn der Welt im Alltagseinsatz. Und es gibt die 3000 Wolkenkratzer im Finanzdistrikt Pudong, dessen ältestes Symbol der Fernsehturm samt Kitschkugel ist und das neueste das 492 Meter hohe Shanghai World Financial Center, das ein eckiges Loch ziert und darum "Flaschenöffner" heißt. Noch vor 20 Jahren war hier Sumpf, dann wurde Shanghai zum Laboratorium des Kapitalismus. Es ist westlicher als der Westen, sagen manche. Das Manhattan des Ostens.

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China Shanghai Expo 2010, AFP

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Auf der anderen Seite sind da die älteren Viertel, eben jenes Teehaus von 1784, in dem schon die Queen Drachenblumentee zu sich nahm, die klassische Gartenbaukunst im Yu-Garten drumherum, das französische Viertel mit Art-Deco-Villen, das jüdische Viertel in Hongkou, wo 19000 deutsche Juden im Zweiten Weltkrieg Zuflucht fanden. Wer dieses Shanghai meint, vor allem das aus der Kolonialzeit, spricht gern vom Paris des Ostens.

Vom Bund hat man eine gute Sicht auf das Manhattan und das Paris des Ostens. Alle eint seit Monaten ein Geräusch: Baulärm. Man ist versucht, sich einen der in Asien beliebten Mundschutze vorzuspannen, um nicht ständig Sand zwischen den Zähnen zu haben. Die Stadt atmet Beton.

Afrikanischer Pavillon Foto: AFP

China Shanghai Expo 2010, AFP

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Shanghai boomt, 18 Millionen Menschen wohnen hier, 2012 sollen es 20 Millionen sein. Wohin mit ihnen? Wohin mit der Natur? Darauf soll die Expo antworten. Ihr Maskottchen heißt Hai Bao und erinnert an diese sprechenden Zähne aus Kindercomics beim Kieferorthopäden. Er ist ein Wassertropfen und aus dem Schriftzeichen für Volk abgeleitet.

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China Shanghai Expo 2010, Reuters

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Hai Bao wirbt für Nachhaltigkeit - soweit das geht mit einer Messe, die nach sechs Monaten abgerissen wird, im Land mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoß. Die Gastländer geben sich dennoch alle Mühe. Israel zeigt flüsternde Gärten, Rumänien ein Greenopolis in Apfelform, Dänemark verleiht die Meerjungfrau, die USA zeigen eine Ökomall. Es geht um die Umwelt, aber viel mehr um den Einstieg in den wichtigsten Markt der Welt.

Solarpaneele auf der Expo 2010 Foto: Reuters

China Shanghai Expo 2010, dpa

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In den U-Bahn-Stationen zählen Digitaluhren rückwärts bis zum Start der Expo. Lennart Wiechell, der Architekt, kann dann weiterzählen - bis sein Pavillon abgerissen wird. Ihm mache das nichts, sagt er. "Temporäres Bauen hat einen eigenen Reiz." Nicht alles sei in Stein gemeißelt für die Ewigkeit, man könne mehr experimentieren.

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China Shanghai Expo 2010, Reuters

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Herr Ji, der Bauarbeiter, wird dann nicht mehr hier sein. Seine Arbeit für Deutschland ist beendet. Nun rackert er einige Meter weiter an einem Pavillon, der auch der größte in der Geschichte seines Landes werden soll. Jenem der Schweiz.

(Claudia Fromme, SZ vom 11.2.2010/dd)

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