Serie "Winterberge":Rosskopf: Rettung auf Kufen

Serie "Winterberge": Reise in die Kindheit: Ein alter Schlitten reicht am Rosskopf auf ideal geneigter Bahn.

Reise in die Kindheit: Ein alter Schlitten reicht am Rosskopf auf ideal geneigter Bahn.

(Foto: Frieder Blickle/laif)

In der Serie "Winterberge" stellen wir die schönsten Hänge für jede Sportart vor. Diesmal: Die fast zehn Kilometer lange Rodelbahn am Rosskopf in Südtirol - sie lockt oft mehr Gäste in die Gondel als das Skigebiet.

Von Dominik Prantl

Dort unten leuchtet das nächtliche Sterzing; fast 1000 Meter weiter oben liegt der Start in eine Zeitmaschine. Sie ist offiziell 9,6 Kilometer lang, hat eine perfekte Neigung von etwas mehr als fünf Grad und führt in vielen Haarnadelkurven und langen Geraden quer durch die eigene Kindheit zur Talstation der Rosskopf-Gondelbahn. "Unser Aushängeschild", nennt Helmut Messner, Präsident der Neuen Rosskopf GmbH, die Rodelstrecke. Und dann sagt er noch einen Satz, der für einen Bergbahnchef untypisch ist: "Ohne Rodeln hätten wir den Winterbetrieb schon einstellen müssen."

Dabei ist die Rosskopf-Bergbahn jedem Italienurlauber ein Begriff, zumindest dann, wenn er über den Brennerpass in den Süden reist. Die Bahn mit dem Schriftzug "Monte Cavallo" führt etwas nördlich von Sterzing direkt über die mehrspurige Autobahn, und zwar seit deren Eröffnung in den Siebzigern; manchmal steht man dort sogar im Stau vor der Mautstation. Nur so richtig wahrgenommen wird der Rosskopf offenbar nicht. Messner sagt: "Mit einem Prozent der Deutschen als Kunden, die über den Brenner fahren, wäre ich schon zufrieden."

Winterberge

Die schönsten Hänge für jede Sportart

Teil 1: Rodeln am Rosskopf

Denn der Rosskopf hat das gleiche Problem wie viele anderen kleineren Skigebiete: Im Sommer läuft das Geschäft als Freizeitberg mit Wanderern und Mountainbikern ganz ordentlich; seit 2005 haben sich die Passagierzahlen laut Messner auf 60 000 verdoppelt. Im Winter allerdings muss man sich etwas Neues einfallen lassen, um im Wettbewerb gegen die Saalbachs und Verbiers und Sellarondas dieser Welt zu bestehen.

Die Gondelbahn ist in die Jahre gekommen, das Gebiet für die heutigen Ansprüche zu klein, eine Talabfahrt fehlt noch immer. Weiter oben gibt es zwei einfache Sessellifte und ein paar wirklich wunderbare Pisten, die dem Anfänger allerdings zu steil und dem Profi zu wenig sind. Vor drei Jahren fragte eine Südtiroler Tageszeitung bereits: "Aus für den Rosskopf?"

"Sterzing hatte einen vollen Bauch", sagt Messner zu dem, was man in der Branche einen Investitionsstau nennt. Er meint damit jene Vor-Euro-Ära, als vor allem die Deutschen hier, in der nördlichsten Stadt Italiens, ihre letzten Lira vor der Heimreise verjubelten. Montags, so wird zumindest unten im Ort noch gern erzählt, wurde das Geld quasi säckeweise in eine der vielen Bankfilialen getragen. Am Rosskopf aber kam von den Einnahmen laut Messner wenig an. Immerhin wurde am Berg Ende der Neunzigerjahre das erste Stück Rodelbahn errichtet - und in den folgenden Jahren erweitert. Als Messner eines Sonntags die Massen auf ihren Schlitten ins Tal flitzen sah, dachte er sich: "Das kann doch nicht sein, dass man das einfach dem Zufall überlässt." 2009 wurde die Rodelstrecke deshalb an die Beschneiungsanlage angeschlossen, ein Jahr später erhielt sie eine Beleuchtung. Inzwischen wird sie noch vor den Pisten beschneit und als "längste beschneite und beleuchtete Rodelbahn Südtirols" beworben. Beim ADAC-Test im Jahr 2011 schnitt sie von den 30 geprüften Rodelbahnen am besten ab. Erst kürzlich war das Frühstücksfernsehen zu Gast.

Es ist aber noch etwas viel Wichtigeres passiert, und zwar in den Köpfen der Menschen. Messner erinnert sich noch gut: "Wenn man vor einigen Jahren über das Rodeln gesprochen hat, dann hieß es: Wer kommt denn schon wegen des Rodelns?" Inzwischen werden an guten Tagen bis zu 2000 Gondel-Auffahrten von Rodlern gezählt - und damit mehr als Skifahrer. Beim Nachtrodeln allein sind es manchmal 500, über den gesamten Winter rund 60 000. Vor allem die Italiener, neben den Deutschen mit etwa 50 Prozent die am stärksten vertretene Nation unter den Sterzing-Besuchern, lassen sich dabei sogar in Bussen aus den Städten im Norden des Landes ankarren. Überhaupt sind die italienischen Gäste entgegen ihrem Ruf als bewegungsfaule Klientel laut Messner eine sehr dankbare Kundschaft. "Denen macht auch die ein oder andere Bodenwelle nichts." Der Deutsche will es - seinem Ruf als Spießer folgend - dagegen perfekt präpariert.

Ob nun Italiener oder Deutsche, Kind oder Kind geblieben, Spießer oder nicht: Das Rodeln ist - neben dem Spaziergehen vielleicht - so etwas wie die demokratischste aller Winteraktivitäten, das Freizeitprogramm mit der größten Schnittmenge. Am Start trifft man auf sportliche Helmträger ebenso wie auf leicht angeheiterte Jungspunde im Fußballtrikot und mit Bassbox unter dem Arm. Kein Wunder also, dass die Rodelbahn demnächst um vier Kilometer verlängert werden soll, wenn der entsprechende Lift bis zum Gipfel ersetzt wird. Damit hätte sich auch die Debatte erledigt, wo sich nun wirklich die längste Rodelbahn Südtirols befindet. Anwärter für den Titel gab es unter anderem an der Plose und am Speikboden.

Nur: So ganz vom Alpinskifahren lassen will man dann doch nicht. Dabei ist sich Messner der Mängel seines Skigebiets durchaus bewusst, er spricht sogar saisonale Einschränkungen an: "Wir können ab Mitte März nicht mehr die guten Skifahrbedingungen bieten. Dazu sind wir zu sonnenexponiert." Und seine Tochter, sagt der Bergbahn-Präsident, sei wie manch anderer ja schon der Meinung, dass man den Rosskopf zum reinen Rodelberg umfunktionieren könnte. Und? Warum nicht? "Betriebswirtschaftlich müsste ich Ja sagen. Touristisch wird's schwieriger."

2015 gewährte die Gemeinde Sterzing der Neuen Rosskopf GmbH eine Finanzspritze von insgesamt 900 000 Euro über siebeneinhalb Jahre. Auch Messner vertritt die klare Meinung, dass im Winter ohne Pisten und Lifte nichts geht in Sachen Regionalentwicklung. Deshalb soll das Skigebiet ausgebaut werden. Außer dem neuen Sessellift gen Gipfel namens Panorama-Dreier soll demnächst auch eine Schneise für die Talabfahrt entstehen. Ferner wünschen sich die Touristiker einen Anschluss nach Gossensass und ins Nachbarskigebiet Ladurns drüben im Pflerschtal. Dort bietet die Geografie mit flacheren, nordexponierten Hängen ganz andere Optionen. Und mit 40 Pistenkilometern sei man dann überhaupt besser aufgestellt. Denn irgendwie ist das grandiose Aushängeschild Rodeln in vielen Köpfen noch immer nicht mehr als das: ein Zusatzangebot.

Auf der Piste, in der Loipe

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Reiseinformationen

Anreise: Vom Norden kommend kurz nach dem Brennerpass die Autobahn nach Gossensass verlassen und über die Landstraße nach Sterzing zum Rosskopf.

Rodeln: Die Rodelbahn ist Dienstag- und Freitagabend bis 24 Uhr beleuchtet, die Bergbahn von 19 bis 22 Uhr geöffnet, Einzelfahrt in der Hauptsaison 11,50 Euro, Tageskarte 31 Euro (für Skifahrer 39 Euro), www.rosskopf.com. Der kurze Aufstieg zum Restaurant Stern lohnt sich (auch schöne Chalets zum Übernachten), Tel.: 0039 / 347 245 49 30, www.stern.one; am 2. Februar findet von 19 Uhr an die Rosskopf-Rodelgala mit Rodelschulung, Aperitif an der Bergstation und Südtiroler Spezialitäten entlang der Strecke statt, Info unter Tourismusverein Sterzing, Telefon: 0039/04 72 76 53 25, info@sterzing.com

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