Serie "Mythos New York":Da kann ich mir ja gleich mit einer Flasche Wein die Haare waschen

Retail Sales In U.S. Unexpectedly Stagnate On Lack of Jobs

Eine Frau blickt fasziniert bis schockiert in ein New Yorker Schaufenster.

(Foto: Bloomberg; Bearbeitung SZ)

Das mag sich der New-York-Besucher beim Anblick der hiesigen Shampoo-Preise denken. Er liegt allerdings falsch, wie diese Folge der Serie "Mythos New York" zeigt - auch Alkohol ist zum Abstinentwerden teuer.

Von Johanna Bruckner, New York

Sehr teure Städte erkennt man an den Türstehern. Also nicht die Sorte Türsteher, die vor lauter Bizeps die Arme nicht mehr am Körper anlegen kann. Sondern die Sorte, die an Secret-Service-Agenten erinnert: dunkler Anzug, Krawatte, Knopf im Ohr. Diese Gentlemen-Rauswerfer stehen auf der Fifth Avenue im Eingangsbereich von Christian Louboutin, Versace und Harry Winston und gucken so grimmig, dass man sich als Tourist gar nicht erst traut, den Laden zu betreten. Vermutlich ist genau das die Jobbeschreibung. Welcher Juwelendieb käme schon auf die Idee, ein Geschäft mitten in Manhattan zu überfallen? Bei dem Verkehr kommt das Fluchtauto keine drei Blocks weit. Und die Klientel, die sich die teuren Auslagen leisten kann, stolziert ohnehin nach Ladenschluss durch den Hintereingang herein.

Aber eigentlich sind die menschlichen Betreten-verboten-Schilder ja auch gar nicht das Problem. Wenn man ehrlich ist, würde genau das passieren, was die Nobelgeschäfte verhindern wollen: Durchschnittsverdiener spaziert durch den Laden, Durchschnittsverdiener greift sich ein simples weißes T-Shirt vom Stapel, Durchschnittsverdiener guckt aufs Preisschild, Durchschnittsverdiener lässt das T-Shirt vor Schreck auf den Boden aus Carrara-Marmor fallen. Und wer möchte schon im Urlaub mit der eigenen finanziellen Unzulänglichkeit konfrontiert werden?

Serie "Mythos New York"

"Die Stadt, die niemals schläft", "Metropole der Singles", "unbezahlbar" - Reisende haben viele Bilder im Kopf, wenn sie New York City besuchen. Aber was ist dran an den Klischees? In unserer Serie "Mythos New York" macht unsere neu angekommene Korrespondentin den - ganz subjektiven - Realitätscheck.

Die Sache ist nur: In New York sind Schockmomente beim Bezahlen nicht zu verhindern, selbst wenn man die Fifth Avenue meidet. Ein Beispiel: Der gejetlagte Besucher merkt spät abends vor der ersten Dusche im Airbnb: "Mist, Shampoo vergessen!" Weil nach der zehnstündigen Anreise die Sehnsucht nach Sauberkeit groß ist, geht er fix runter in den 24 Stunden geöffneten Drogeriemarkt. Nur um dort festzustellen: Ein Shampoo kostet hier im Schnitt acht (!) Dollar. Und wir reden hier weder von der 1,5-Liter-Familienflasche noch von einer Marke, mit der Udo Walz Promi-Damen das Haupthaar aufschäumen würde. "Da kann man sich ja gleich mit einer Flasche Wein den Kopf waschen!", mag der unerfahrene Besucher denken.

Eine eigene Wohnung in Manhattan ist selbst für Finanzanalysten eine Herausforderung

Die Antwort muss allerdings lauten: Nein, kann man nicht. Denn beim Thema Alkohol ist erst recht eine Warnung angebracht. Ein günstiges Bier liegt bei sechs Dollar, ein Glas Wein (0,2 Liter) fängt in der Regel bei zehn Dollar an. Steuer und Trinkgeld noch nicht eingerechnet. Die Mehrwertsteuer für Lebensmittel liegt in New York City bei knapp neun Prozent, darauf kommen noch einmal etwa 20 Prozent Trinkgeld. Wer hier knausert, hat zu Recht ein schlechtes Gewissen: Die Löhne werden von vornherein inklusive Trinkgeld kalkuliert, also niedrig. Im Übrigen empfiehlt es sich, sogar am Bartresen mindestens einen Dollar pro Drink dazuzugeben. Andernfalls könnte Runde zwei nicht nur eine Frage des Ausgebenwollens sein, sondern auch des Gesehenwerdens. Besonders an einem Wochenende.

Da hat man tatsächlich mal die Chance, einer seltenen Spezies zu begegnen: dem gebürtigen New Yorker. Der weiß natürlich, dass es keine Alternative ist, sich vor bedrohlichen Dollarzeichen in den eigenen vier Wänden zu verkriechen. In Manhattan allein eine Wohnung zu unterhalten, ist selbst für gutverdienende Finanzanalysten eine Herausforderung. Eine Studie kam jüngst wieder zu dem Ergebnis: New York ist die zweitteuerste Stadt der USA (nur in San Francisco sind die Mieten noch höher). Wenn einem eine Person mit angegrautem Haar beim Smalltalk erzählt, dass sie in einer WG wohnt, sollte man dieser Person deshalb besser nicht zur mutigen Lifestyle-Entscheidung gratulieren - es könnte schlicht eine Geldfrage sein.

Während Sparsamkeit anderswo als spießig und uncool gelten mag, ist Amerika das Land, in dem Coupon-Königinnen ihre eigene Reality-TV-Show bekommen (Extreme Couponing läuft beim Fernsehsender TLC). Auch im hippen New York hat jeder im Durchschnitt zwei Schnäppchen-Apps auf dem Handy installiert. Besonders beliebt sind Veranstaltungen, bei denen es Luxusgüter zum kleinen Preis gibt. Alkohol, zum Beispiel. Wer an einem Sonntag vor einem Café oder Restaurant eine lange Schlange sieht, kann ziemlich sicher sein, dass hier ein "Bottomless Brunch" angeboten wird. Im Deutschland der Neunzigerjahre hätte man dazu gesagt: Frühstück mit Flatrate-Saufen.

Da gilt es dann, in 90 Minuten so viele Gläser Mimosa-Fertigmischung wie möglich hinunterzuschütten. Die 20 Dollar sollen sich schließlich lohnen. Ja, New York ist eine harte Stadt. Aber auch unbezahlbar? Wer hier lebt, würde es wohl eher mit einem bekannten deutschen Werbeslogan halten: Unbezahlbar sind die Erlebnisse - für alles andere gibt es die Kreditkarte.

Tipps für die nächste Reise nach New York:

Für süße Schnäppchenjäger: "Huge" ist ein strapazierter Begriff in diesen Tagen. Die Donuts bei "Dough" sind tatsächlich riesig - und kosten weniger als drei Dollar das Stück. Beste Sorte: "Café au lait" (um fragende Blicke zu vermeiden, besser vorher die englische Aussprache üben: "Kaffäh o lätt"). Der Stammladen ist in Brooklyn (448 Lafayette Avenue), mittlerweile gibt es einen Ableger im Flatiron Building in Manhattan (14 West 19th Street).

Für Schnäppchenjäger mit Frischluftbedürfnis: Die Fähre nach Staten Island ist kostenlos und bietet einen hervorragenden Blick auf die Freiheitsstatue. Wer ein bisschen Geduld mitbringt, wartet ein Schiff mit offenem Deck ab. Da werden nicht nur die Fotos besser, es freut sich auch die Lunge. Abfahrt in Manhattan: Whitehall Terminal. Eine Übersicht der Abfahrtzeiten gibt es hier, nächstgelegene U-Bahn-Haltestelle ist "Whitehall St Station (South Ferry)".

Für kunstinteressierte Schnäppchenjäger: Viele Museen verzichten zu bestimmten Zeiten auf den Eintritt. Das "Museum of Modern Art" (MoMA, 11 West 53rd Street) zum Beispiel immer freitags zwischen 16 und 20 Uhr.

Für Schnäppchenbedürfnisse aller Art: "One Dollar Tree", hier gibt es alles in günstig - vom Tiefkühllachs über Nagellack bis zur Gartenschere. Sogar Shampoo. Auf der Webseite der Discounterkette kann man sich die nächstgelegene Filiale anzeigen lassen.

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