Serie: Deutsche Straßen:Rebellion in Zeitlupe

Die Schwebefähre in Osten über die Oste

Aufreizend langsam: die Schwebefähre an der Oste. Fahrzeuge werden in einer an der Stahlbrücke hängenden Gondel über den Fluss befördert.

(Foto: dpa)

Die Anwohner der Deutschen Fährstraße an der Oste und am Nord-Ostsee-Kanal wollten sich nicht damit abfinden, ein weißer Fleck auf der Urlaubslandkarte zu sein. Nun macht ihr Erfolg Profis neidisch.

Von Thomas Hahn

Jochen Bölsche hört manchmal Stimmen. Sie kommen aus der Tourismusbranche, von professionellen Stadt- und Land-Vermarktern, die scheinbar ein Problem damit haben, dass er und andere Ehrenamtliche die Deutsche Fährstraße mit gewissem Erfolg auf den Markt des Reiseverkehrs gebracht haben.

"Medienblase", spotten die Stimmen und führen diese auf Bölsches Vergangenheit als Redakteur des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zurück, weil Bölsche deshalb ja sicher Gott und die Welt in der Medienbranche kenne. Bölsche widerspricht höflich und kann nicht ausschließen, dass die Stimmen auch etwas mit Missgunst zu tun haben.

Die Fährstraße ist in manchen Ranglisten schon unter den drei schönsten Straßen Deutschlands platziert gewesen. Dabei windet sie sich teilweise durch Landstriche, die lange kaum einer kannte, und besteht erst seit 2004. Sie ist der Emporkömmling unter den Ferienstraßen. Kein Wunder eigentlich, dass das Establishment die Brauen hebt.

Die Menschen hier wollten sich nicht damit abfinden, in einem verkannten Gebiet zu leben

Überflüssig ist es trotzdem. Denn derzeit weist wenig darauf hin, dass die Deutsche Fährstraße, die entlang dem Fluss Oste und dem Nord-Ostsee-Kanal von Bremervörde nach Kiel führt, mit ihrer Beliebtheit alle anderen Tourismus-Regionen in den Schatten stellt.

Ferienstraßen sind Themenrouten für radelnde oder sonst wie fahrende Touristen im Hinterland, rund 150 gibt es davon in Deutschland. Die Fährstraße ist die jüngste, und daraus kann man schon ableiten, dass sie als Marke noch nicht so tief drin ist im Bewusstsein der Deutschland-Reisenden wie zum Beispiel die Deutsche Weinstraße in der Pfalz oder die Romantische Straße in Bayern.

Mit wohlwollendem Interesse müsste die Tourismusbranche im Grunde auf die Fährstraße und ihre Macher schauen. Denn sie ist weder ein Erbe von früher noch ein PR-Konzept von gewinnorientierten Freizeit-Verkäufern. Die Fährstraße ist in den Köpfen von Anrainern der Oste entstanden. Als eine Art Rebellion gegen den Abbau lokaler Kulturgebäude und die fortschreitende Unbekanntheit ihrer schönen Region.

Dass es so etwas noch gibt im umkämpften Geschäft um die Urlauber: Nicht glatte Marketender haben hier eine Ferienlandschaft vom Reißbrett entworfen. Sondern Normalmenschen aus der Nachbarschaft wollten sich einfach nicht damit abfinden, in einem strukturschwachen, verkannten Gebiet zu leben, fassten einen Plan und setzten ihn um. Jochen Bölsche sagt: "Das ist eine Bürgerbewegung."

Vorsitzender der Rebellen: ein echter König

Bölsche, 71, sitzt in seinem Haus in Osten an der Oste. Er ist ein runder, tatendurstiger Mensch von ausgesuchter Freundlichkeit. Sehr gerne nimmt er sich Zeit, um Eindrücke von der Fährstraße zu geben. Bölsche war der erste Präsident der Arbeitsgemeinschaft Osteland, die sich vor zwölf Jahren als Trägerverein der Deutschen Fährstraße gründete. Er war damals der Anführer einer Gruppe von Leuten, die das Instrument der Ferienstraße nutzen wollten, um den entlegenen, von Wasser umschlossenen Landkreis Cuxhaven als Touristenziel auf die Landkarte zu setzen.

Ausgangspunkt war das mächtige, lange traurig vor sich hin rostende Stahl-Ungeheuer, das Jochen Bölsche und seine Frau Renate in Osten direkt vor ihrer Haustür haben: die alte Schwebefähre, eine an Stahlträgern befestigte Gondel zur Flussüberquerung, die ab 1909 sicherstellte, dass man auch bei Eis über die Oste zur Straße nach Hemmoor setzen konnte. Die Idee war, diese durch eine Route mit der zweiten deutschen Schwebefähre in Rendsburg über den Nord-Ostsee-Kanal zu verbinden. Endpunkt sollte Kiel sein, weil es dort bis 1923 auch eine Schwebefähre gab. "Wir haben die Route sozusagen mit dem Eddingstift auf der Landkarte entworfen", sagt Bölsche.

Serie: Deutsche Straßen: Illustration: SZ

Illustration: SZ

Entstanden ist daraus eine Art versprengtes Freilichtmuseum zum Thema Wasser-Überquerung mit eigenem Logo und einem Namen, den es vorher auch nicht gab. Die Fährstraße verbindet auf 250 Kilometern 50 maritime Sehenswürdigkeiten und Museen. Sie zeigt, was der Mensch sich alles ausgedacht hat, um von einem Ufer ans andere zu gelangen.

König Juan Carlos I. schützt die Schwebefähren

Die historische Furt kommt dabei genauso vor wie Prahmfähren, Fährschiffe, Brücken in diversen Versionen - und eben besagte Schwebefähren, für deren Erhalt Bölsche und die anderen 2003 einen eigenen Weltverband gründeten. Und zwar mit einem ziemlich bekannten Oberhaupt: Spaniens König Juan Carlos I. hat den Ehrenvorsitz inne, was darauf anspielt, dass nahe Bilbao die älteste Schwebefähre der Welt steht. Und was seinerzeit auch viel Aufmerksamkeit für das Thema brachte.

Jochen Bölsche weiß schon, was es braucht, um in der Welt des Tourismus mitzuspielen. "Eine Marke, unbedingt." Und die Marke Fährstraße liefert ein paar lehrreiche Kontraste. Vom Startpunkt in Bremervörde bis zur Elbe öffnet sie den Blick auf die friedliche Oste, die sich im Wechsel der Gezeiten hebt und senkt. Jenseits der Elbe wiederum bestimmt das Bild der Nord-Ostsee-Kanal, in dem mächtige Tanker Schleswig-Holstein durchqueren. Und für Besucher aus der großen Stadt bietet sie genau das, was auch Bölsche zu seinen Spiegel-Zeiten erfuhr, wenn er am Wochenende mit seinem Kajütboot über die Oste fuhr: Entschleunigung. Denn schnell geht an der Fährstraße wenig bis nichts.

Fast aufreizend langsam tastet sich die Schwebefähre von Osten an ihren Stahlstreben über den Fluss. Früher, als sie noch modern war, habe sie "knapp vier Minuten" gebraucht für die 80 Meter, sagt der alte Fährmann Werner Funk, "heute über sechs Minuten". Geschwindigkeit ist ein Faktor im normalen Leben.

Auch die Einwohner von Osten waren froh, als 1974 die Betonbrücke kam und die Autos nicht mehr vor der Schwebefähre Schlange stehen mussten. Aber es hat auch etwas Entspannendes, auf einem Gefährt zu stehen, das zur Eile gar nicht fähig ist.

Bei Gräpel auf der Höhe des Gasthauses Plate's Osteblick führt die schmale Straße direkt in den Fluss. Bölsche stoppt seinen Wagen, steigt aus, betätigt die Glocke am Ufer.

Der Kampf geht weiter, in aller Ruhe.

Am anderen Ufer bewegt sich daraufhin der Fährmann Stefan Elfers-Plate zum Wasser hin, in dem die Prahmfähre des Osteblicks parkt. Prahmfähren sehen aus wie schwimmende Plattformen, und die von Gräpel zieht der Fährmann an einer Kette mit eigener Muskelkraft durch den Fluss. Elfers-Plate hantiert schweigend an der Kette herum, bis die Prahmfähre sachte ans andere Ufer gleitet. Bölsche fährt mit seinem Wagen darauf, und der Fährmann bringt ihn sicher übers Wasser.

Die Schwebefähre muss gerade pausieren. Sie ist mit einem Frachter zusammengestoßen

Die Fähre gehört seit 100 Jahren zur Tradition des Hauses, sie ist eine kleine, träge Attraktion, die sich Wirtin Karin Plate, Elfers-Plates Frau, als Alleinstellungsmerkmal leistet. "Rio de la Plate" nannten manche diesen Teil der Oste, als ihr Vater Helmuth noch lebte und den Fährbetrieb mit seiner markanten Persönlichkeit und seinen riesigen Händen fast schon zum Spektakel machte. "Hier unten ist es sehr schwer, den Tourismus aufrecht zu erhalten", sagt Karin Plate. Dankbar hat ihr Haus deshalb den Schwung mitgenommen, der durch die Fährstraße kam. Aber der Kampf geht weiter, in aller Ruhe.

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Eine Region ist nur so stark wie ihre Menschen, das stimmt im Osteland erst recht. Auch die Prahmfähre in Brobergen gäbe es nicht mehr, wenn nicht ein paar bewegte Bürger 2007 einen Verein für deren Betrieb gegründet hätten. Und in Neuhaus, einer kleinen Gemeinde an der Oste-Mündung, in der sich die Strukturschwäche in leeren Häusern und Geschäften ausdrückt, hält sich Wiebke tum Suden mit der modernen Version des Tante-Emma-Ladens über Wasser: Lebensmittel gibt es hier, Lotto-Annahme, Touristeninformation, Kaffee, Wireless LAN. Und mit etwas Glück vielleicht sogar die Liebe des Lebens. "Ich verkupple doch so gern", sagt sie und zeigt stolz ihren Goldenen Hecht; die Trophäe verleiht die AG Osteland jährlich für besonderes kulturelles Engagement.

An der Oste sieht man oft das Logo der Deutschen Fährstraße. Am Nord-Ostsee-Kanal seltener. Er ist die am meisten befahrene künstliche Wasserstraße der Welt - und seine eigene Marke.

Außerdem ist die Schwebefähre von Rendsburg gerade kaputt, weil sie im Januar mit einem Frachter zusammenstieß. Und am Zielpunkt in Kiel ist man dann auch schon wieder zurück in der Welt, vor der man an der Oste seine Ruhe hatte. Von den Straßen der großen Stadt weht die rastlose Geschäftigkeit der Menschen hinüber.

Für Jochen Bölsche ist das Zentrum der Fährstraße sein friedliches, langsames Osteland.

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