Segeln vor Schottland:Mit Zielwasser auf See

Es muss nicht immer regnen in Schottland. Bei der Classic Malts Cruise im Juli gibt es Sonne pur. Obwohl an Bord wie zu Lande probate Gegenmittel gegen Wetter- und sonstige Unbill kredenzt werden.

Andreas Schätzl

Die Intensität ist nachgerade beängstigend. Denn Laurie gibt sein Bestes. Und davon hat er offenbar viel. Laurie ist nämlich gut bei Atem. Den braucht er durchaus, denn so ein Dudelsack spielt nicht von selbst. Auch nicht in einem geschlossen Raum, wo der Effekt vollends durchschlagend ist: laut, sehr laut.

Laurie ist an sich Koch auf einer kleinen Segelyacht. Und er ist Schotte. Deshalb der Dudelsack (den aber beileibe nicht jeder Schotte besitzt oder gar spielt), deshalb das schottische Nationalgericht Haggis vor ihm auf dem Tisch, und deshalb die Zeremonie mit schottischer Blasmusik.

So ein Haggis - ein unter anderem mit Innereien, Hafermehl und Gewürzen gefüllter und gekochter Schafsmagen - darf nicht einfach nur verschlungen werden, auch nicht in der Kabine eines Segelboots. Es bedarf dazu mindestens der Deklamierung der berühmten "Ode an den Haggis", dereinst vom schottischen Nationaldichter Robert Burns (1759 - 1796) in seinem Heimatdialekt Scots verfasst.

Laurie deklamiert, übersetzt den markigen Odentext freundlicherweise in aktuelles Englisch, bläst wieder mit Hingabe und zerteilt dann den Haggis mittels eines Messers von Schwertdimensionen. Das Boot schwankt und krängt, der Wind pfeift, die Speisen dampfen, es ist eng hier unter Deck - und wunderbar.

Wir sind im Atlantik vor der schottischen Westküste unterwegs, derzeit auf dem Weg von dem lebhaften Küstenstädtchen Oban - mit dem skurrilen, nicht fertiggestellten Nachbau des Colosseums zu Rom über dem Ort - zur südlichsten Hebriden-Insel Islay.

Die ist bekanntlich voll mit Whisky, finden sich dort doch sieben aktive Destillen und eine Großmälzerei. Auch in Oban gibt es eine gleichnamige Destille, mitten im Ort, und das alles ist kein Zufall.

Rundum Ruhe und Ruinen

Vielmehr nehmen wir teil an der Classic Malts Cruise. Das ist eine groß angelegte, jährlich im Juli anberaumte Segelregatta in den Gewässern vor der Westküste Schottlands. Veranstalter ist der britische Spirituosen-, Bier- und Weinkonzern Diageo, daher dienen auch immer wieder an Küsten gelegene Destillen als Stationen. Teilnehmen kann innerhalb bestimmter Vorgaben jedes Segelboot, die Anzahl ist auf 100 für jeden der drei aufeinander folgenden und unterschiedlich langen Törns begrenzt.

Nach dem Haggis und einem entsprechenden Quantum Malt Whisky (dazu, nicht erst danach) geht es allmählich ans abendliche Ankern. Skipper Bob Hunter hat dafür eine sehr einsame kleine Bucht am nördlichen Zipfel der Isle of Jura (dort, wo George Orwell Ende der 40er Jahre "1984" zu Papier brachte) ausgesucht, die offensichtlich nur ihm bekannt ist, denn kein anderer Cruise-Teilnehmer lässt sich hier blicken.

Erfahren Sie auf der nächsten Seite, warum auf der Insel Islay Nachtschichten für Moorleichen geschoben werden.

Mit Zielwasser auf See

Wir bewegen uns, es soll gesagt werden, mittels des Dieselmotors in diese Enklave, der Anker durchbricht schließlich die spiegelglatte Wasseroberfläche, und wir gehen erst einmal alle an Deck der Neun-Betten-Yacht Sealgair.

An einer Landseite sehen wir ein längst verlassenes Gehöft und die Überreste einer uralten Kapelle. Das Leben hier muss einsam und wohl auch hart gewesen sein.

Zwölf Jahre gelagert und ölig am Gaumen

Aus dem Nebel vor der Insel Islay schälen sich langsam die Umrisse eines weitläufigen Gebäudekomplexes heraus: eine hohe, weißgetünchte Konstruktion, die wie ein großes Lagerhaus aussieht, einige kleinere Gebäude, eine Halle, in der man durch riesige Fenster gewaltige kupferne Brennblasen erkennt. Auf dem Lagerhaus steht in großen schwarzen Lettern "Caol Ila". Das ist gälisch, bedeutet Sund von Islay und ist eine Whisky-Destille.

Der Single Malt Whisky von Caol Ila verschwindet zum größten Teil in den Blended Whiskies von Diageo, Johnnie Walker und Bell's, wird aber nicht nur von Kennern auch unverschnitten geschätzt - ein schweres, torfig-rauchiges Destillat, unverfälscht hell in der Farbe, ölig am Gaumen und in der Regel für mindestens zwölf Jahre gelagert.

Am oberen Ende der glitschigen Leiter zum Pier hinauf erwartet uns Destillen-Manager Billie Stitchell, der wie schon sein Vater und Großvater zuvor bei Caol Ila arbeitet. Er führt uns durch die riesige Anlage und erzählt nebenher von der politisch bewegten Geschichte Islays im Allgemeinen und der Destille im Besonderen.

Uns wird klar, wie sehr das soziale Wohl der rund 3500 "Ileachs", der Inselbewohner, vom Whisky abhing und es letztlich immer noch tut. Wobei sich in den vergangenen 15 Jahren hauptsächlich wegen dieses Getränks auch ein beachtlicher Tourismus entwickelte.

Natur und Industrie

Kaum zu glauben: Noch wuchtiger ist der Stoff vom entgegengesetzten südlichen Ende des etwa 40 Kilometer langen und 32 km breiten Eilands. Hier wird unter anderem der berühmte Lagavulin gebrannt, ein immens intensiver Torfkracher, den unbedarfte Schlucker bisweilen mit wenig schönen Vokabeln wie Moorleiche, Jodtinktur oder Medizinessenz bedenken.

Trotz oder womöglich gerade wegen seiner Kompromisslosigkeit ist der Lagavulin sehr beliebt, und Manager Graham Logie erklärt, dass seit einigen Jahren in der Destille Schichten rund um die Uhr gefahren werden, damit man der starken Nachfrage Rechnung tragen könne.

Als ob wir für unseren angelegentlichen Genuss der diversen Whiskies bestraft werden sollten: Schon bald danach fühlen wir uns ein wenig wie in der Hölle. Oder immerhin in einem ihrer berüchtigten Vorhöfe. Denn um uns lodern Feuer, fauchen Flammen, klirren Ketten, dröhnt Metall, heulen Gebläse.

Wir befinden uns in der Großmälzerei von Port Ellen, im gleichnamigen Küstenstädtchen. Hier wird der Whisky-Grundstoff Gerste zu gärfähigem Malz gewandelt, genau wie bei der Bierherstellung. Und da auf Islay traditionell nun einmal besonders rauchig riechende und schmeckende Whiskies entstehen, wird ein Teil des Gerstenmalzes entsprechend über mächtigen Öfen mit Torffeuern gedarrrt, also getrocknet. Das gibt den ebenso geliebten wie verabscheuten rauchigen Charakter im Endprodukt.

Lesen Sie weiter, was Skipper Bob gegen Seekrankheit empfiehlt und wie der Törn mit einem ausgelassenen Fest endet.

Mit Zielwasser auf See

Die Mälzerei ist so industriell, wie man es sich auf Islay überhaupt vorstellen kann. Der Werkstoff Torf indes stellt die Verbindung her zur Natur, und davon gibt es viel auf Islay, sehr viel. Die 620 Quadratkilometer große Innere Hebrideninsel wartet jedoch nicht nur mit riesigen Torffeldern ("peat bogs") auf, sondern hat auch dichte Wälder, einen fast 500 Meter hohen Berg, steile Klippen, endlose Sandstrände und, im Süden, eine fast tropische Vegetation zu bieten. Der Golfstrom macht's möglich.

Rau und gemein

All das ergibt einen ganz eigenen Charme, und wir legen mit einem gewissen Bedauern ab, um uns auf den Seeweg zu machen zur Isle of Skye, der größten und wildesten Hebrideninsel, weit im Norden vor Schottland. Quasi als Vorgeschmack dazu ändert sich nun auch die See: Sie wird rau und dann gemein. Die Wellen türmen sich sprichwörtlich auf und kommen irgendwann von allen Seiten, unberechenbar.

Skipper Bob empfiehlt mir, mich ans Steuer der 13-Meter-Yacht mit zwei Masten zu stellen: Konzentration und Blick in die Ferne seien gut gegen aufkommende Seekrankheit. Stimmt. Und immerhin: Es regnet nicht auch noch.

Am anderen Tag ist die See wieder ruhig, und als ob sie die natürliche Schaukelei nun vermissten, springen wenige Meter vor uns zwei Delfine aus ihrem Element - netterweise mehrere Male, damit auch jeder von uns sieben an Bord sie bewundern kann.

Am Horizont zeichnet sich das gewaltige Massiv der Black Cuillins auf Skye aus, immerhin bis knapp 1000 Meter hohe Berge, die auch wegen des launischen Wetters auf der Insel als schwierig zu besteigen gelten. Uns hingegen zieht es in die Bucht von Loch Harport, an deren Ende auch das Ende unserer Cruise liegt: die Talisker-Destille.

Pfeffrig wie Chili-Schoten

Hier treffen sich denn auch alle Boote, die an dem Segeltörn teilnehmen, zu einem Ceilidh, einem großen Tanzfest mit allem Drum und Dran. Und mit Talisker. Der ist nicht ganz so heftig getorft wie die Islay-Granaten, hat aber etwas Pfeffriges im Geschmack, fast wie von Chili-Schoten, vor allem der junge mit zehn Jahren Reifung. Das scheint anzukommen. Auch Talisker boomt, und wegen unvermeidbarer Erweiterungsarbeiten steigt die ausgelassene Feier in einem Zelt und nicht wie sonst üblich in einem der niedrigen, feuchten Lagerhäuser.

Zelt ist aber auch gut, denn jetzt, ja, jetzt regnet es doch tatsächlich - nach fast einer Woche durchgehend sonniger Witterung vor Schottland!

Der Regen ist denn auch von jener ganz eigenen, feinen, allenfalls feuchten Art hier auf den Hebriden - und zu ihm passt das bernsteinfarbene Getränk in unseren Gläsern perfekt.

Über die Classic Malt Cruises und die Teilnahme daran kann man sich informieren unter www.worldcruising.com

Jeremy Wyatt Director World Cruising Club 120 High Street Cowes PO31 7AX United Kingdom E-mail: jeremywyatt@worldcruising.com Tel. +44 (0) 1983 296060 Fax. +44 (0) 1983 295959

Laurie Mill, Koch und Co-Skipper: lauriechef4u@hotmail.com

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