Secret Bunker in Schottland:Bunker zur Ansicht

Getarnt als Farmhaus, unterhielt die schottische Regierung nördlich von Edinburgh jahrzehntelang einen atomsicheren Bunker. Zwischen Blümchenbettwäsche, Akten und Stempelkissen stellen Schaufensterpuppen heute den Alltag nach einem Atomschlag nach.

Steve Przybilla

Secret Bunker: Ist das jetzt ironisch gemeint? In ganz Schottland gibt es wahrscheinlich kein Geheimnis, das weniger geheim ist. Auf der Autobahn weist alle paar Kilometer ein Schild auf "Schottlands bestgehütetes Geheimnis" hin, von dem natürlich auch die Einwohner des nahegelegenen Fischerdorfs Crail schon immer gewusst haben. "Die Armeepräsenz ist wohl kaum jemandem entgangen", erzählt Cliff Roberton. Der 72-jährige Rentner arbeitet als Freiwilliger in dem, was man in Crail ein Museum nennt: eine Kollektion aus Fischereifotos, Fahnen und Landkarten - schottische Dorfgeschichte eben. "Was aber wirklich da unten passiert ist, das wussten wir nicht. Von oben sah der Eingang schließlich wie ein Farmhaus aus."

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Ein geheimer Ort? Das ist als Gag gemeint. Überall im schottischen Fischerdorf Crail weisen Schilder den Weg zum "Secret Bunker" - Touristen sollen ihn schließlich finden.

(Foto: Przybilla)

Der Bunker: Entstanden 1951 im Kalten Krieg, als sich die Sowjetunion und der Westen bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden. Stahlbeton. Tonnenschwere Panzertüren. Von hier aus hätte die schottische Regionalregierung nach einem Atombombenangriff die Versorgung der Bevölkerung koordiniert - wenn überhaupt jemand überlebt hätte.

1993, als der private Betreiber Scotcrown Limited den Bunker übernahm, hatte sich die Stimmung freilich schon längst geändert. Die Firma, die in Schottland mehrere historische Gebäude verwaltet, setzt seither auf touristentaugliches Amüsement.

Kitsch am Ort des Schreckens

Auf dem Parkplatz stehen zwei Klohäuschen in Militärfarben, das perfekte Fotomotiv für Touristen. Rings um den Eingang parken ausgemusterte Schützenpanzer und Militärjeeps, darunter ein Lkw mit aufgebockter Sowjetrakete. Warum neben dem britischen Bunker das Kriegsgerät des früheren Feindes steht, bleibt ein Rätsel. Ebenso die Tatsache, was eine Spielzeugpistole im Pförtnerhäuschen zu suchen hat. Der Ort des Schreckens bekommt im Nachhinein einen seltsam kitschigen Anstrich.

Drinnen dann wieder das komplette Gegenteil: Ein düsterer, grünlich beleuchteter Gang führt hinab in die Tiefe, es wird kühl und muffig, wie im Grab. 30 Meter unter der Erde, hinter drei Meter dicken Wänden, beginnt eine Reise in die Geschichte des Kalten Krieges. 300 Menschen hätten hier Platz gefunden: Radar-Offiziere, Beamte, Regierungsmitglieder. Der genaue Zweck des Bunkers hat sich in seiner langen Dienstzeit mehrmals verändert. Immer hatten die Aufgaben jedoch mit der Verwaltung der postapokalyptischen Welt zu tun - der Gegenschlag wurde hier nicht geplant.

Was es zu sehen gibt, ähnelt daher oft einer gewöhnlichen Amtsstube: akkurat hergerichtete Büros mit Akten (Aufschrift: "Top Secret"), Computern, Telefonen, Faxgeräten. Obwohl ausgerechnet Schaufensterpuppen die Staatsbeamten darstellen, wirken sie dank echter Uniformen beklemmend realistisch.

Im Wohnzimmer des Staatsministers

Zwischen Radarbildschirmen und Flugabwehr-Karten lauscht eine junge Familie den Erklärungen des Audio-Guides. "Als ich ein Kind war, durften wir noch nicht in den Bunker", erinnert sich Michael Gannetta. Der 31-Jährige besichtigt die heutige Touristenattraktion nun zum ersten Mal. "Beeindruckend", sagt er, "vor allem, wenn man sich vorstellt, dass hier Leute reingegangen und vielleicht nie mehr rausgekommen wären." Und die atomare Bedrohung sei ja keinesfalls gebannt, ergänzt seine 32-jährige Ehefrau Vikki: "Noch immer werden in Schottland diese schrecklichen Atomwaffen gelagert. Die gehören alle verboten."

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Als der Bunker nordöstlich von Edinburgh noch in Betrieb war, hatte man ihn als Farmhaus getarnt.

(Foto: SZ Grafik)

Und diese Meinung teilen viele. Jedes Mal, wenn in Großbritannien Atomwaffen von einem Stützpunkt zum anderen transportiert werden, ziehen Demonstranten auf. Selbst die Bunker-Betreiber, die dem Thema am Eingang noch spielerisch begegnen, lassen die Kritiker zu Wort kommen. Ein Raum ist komplett mit Flyern und Protestplakaten gefüllt.

Tief unten in der Miniatur-Stadt brummt ein Kühlschrank voller Colaflaschen vor sich hin, aus der Jukebox dröhnt "Rock around the clock". Dann kommt eine Cafeteria, wie eine kleine heile Welt. Früher hielt sie die auf engstem Raum lebenden Militärs und Zivilisten bei Laune, die in dem Bunker arbeiteten. Heute sichert sie dem Betreiber zusätzliche Einnahmen: Viele Besucher genehmigen sich einen Drink an der Bar, bestellen für sechs Pfund ein Bunker-Frühstück oder trinken einen Schluck Leitungswasser, das zuvor durch einen Filter läuft, der Spuren atomarer, biologischer und chemischer Kampfmittel angeblich immer noch entfernen könnte.

Anekdoten vom ehemaligen Kampfflieger

Ein paar Meter weiter, hinter einer dicken Glasscheibe, wird es wohnlich. Zwischen einer alten Schreibmaschine, Holztischchen und einer schummrig beleuchteten Lesecouch hätte der schottische Staatsminister in privater Abgeschiedenheit das Armageddon verwaltet. Der Politiker wäre eine der wenigen Personen gewesen, denen im Bunker ein eigener Wohnraum zur Verfügung gestanden hätte. Doch so sehr man über Blümchenbettwäsche, Stempelkissen und Röhrenbildschirme auch schmunzeln möchte, das Lachen vergeht einem bei diesem Satz aus dem Audioguide: "Von diesem Arbeitsplatz aus hätte der Minister die Erschießung von Alten und Kranken befohlen, sobald das Morphium knapp geworden wäre."

Jenseits der Dramatisierung gibt es im Bunker auch Menschen, die den Kalten Krieg nicht nur als Schaufensterkulisse kennen. Alistair Inverarity ist einer von ihnen. Der 67-Jährige hat ein Vierteljahrhundert als Kampffliegerpilot gedient, davon vier Jahre lang in Deutschland. Am Ende seiner Karriere hat er junge Soldaten am Tornado-Flugsimulator ausgebildet. Doch auch nach seiner Pensionierung lässt ihn der Kalte Krieg nicht los. "Mir war langweilig", sagt der Veteran, der heute fürs korrekte Abreißen der Eintrittskarten bezahlt wird. Statt zu Hause herumzusitzen, erfreut er Besucher mit militärischen Anekdoten.

Der Dritte Weltkrieg, zum Greifen nah

Manches klingt nach halbpubertären Begegnungen mit dem Feind. "Hin und wieder sind wir so nah an den sowjetischen Luftraum geflogen, dass wir die gegnerischen Piloten sehen konnten. Dann haben wir uns in der Luft mit Playboy-Heften gewunken." Doch lustig war die Realität damals nicht, ein Dritter Weltkrieg schien den Soldaten zum Greifen nah zu sein. "Die Lage war so ernst, dass wir sogar in unseren Flugzeugen schlafen mussten. Jeder dachte, ein Schlagabtausch wäre unvermeidlich."

Dass die Bunker-Insassen dann die letzten Überlebenden seiner Heimat gewesen wären, glaubt Inverarity bis heute nicht: "Der Wind hier oben weht stark. Vielleicht hätte er den radioaktiven Fallout schnell weggetragen", meint er. Überhaupt mag er allzu düstere Szenarien nicht gerne hören. Die Friedensaktivisten? "Machen es sich zu einfach." Die Anti-Atom-Kampagne im Bunker? "Ganz schön naiv." Man spürt, dass der Mann die Logik des Schreckens auch zwei Jahrzehnte nach dem Abbau des Eisernen Vorhangs verinnerlicht hat.

Über Was-wäre-wenn-Geschichten zu debattieren, ist dem Veteranen aber schnell zu mühselig. Lieber schürt er noch einmal das Interesse am Secret Bunker. "Noch heute gibt es da unten einen geheimen Raum, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist", erzählt Inverarity. Was ja passen würde zu den Legenden, die sich um die unterirdische Anlage ranken. Cliff Roberton, der Rentner aus dem Museum, kennt sie alle. "Wer weiß", sagt er, "vielleicht besteht das wahre Geheimnis ja darin, dass der Bunker immer noch in Betrieb ist. Das sagen zumindest die Verschwörungstheoretiker."

Ein geheimer Raum? Wahrscheinlich ist es die Besenkammer.

Informationen:

Anreise: Flug nach Edinburgh, z. B. ab/bis Frankfurt ab 250 Euro. Weiter mit dem Mietwagen zum Bunker (ab 40 Euro pro Tag, zum Beispiel über www.billiger-mietwagen.de). Da der Bunker keine exakte Hausanschrift hat, gibt es im Internet eine Wegbeschreibung: www.secretbunker.co.uk Unterkunft: In Crail bietet The Golf Hotel, 4 High Street, eine einfache, aber gemütliche Unterkunft; Zimmer ab 43 Euro, mit Frühstück 55 Euro pro Person; www.thegolfhotelcrail.com Weitere Auskünfte: Informationen über die Umgebung liefert das Crail Museum & Heritage Center, das auch als inoffizielle Touristeninformation dient: 62/64 Watergate, Crail, Eintritt zur Ausstellung: 2,50 Euro. Der Bunker ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet; Eintritt 15 Euro inkl. Audio-Guide.

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