Schweiz: Matterhorn:Der Gipfel der Begehrlichkeit

Freie Sicht aufs Matterhorn! Mit einem Tunnel will das Walliser Dorf Saas-Fee den Gästen einen Ausblick wie in Zermatt bieten.

Marco Maurer

Um sich vorstellen zu können, welche Bedeutung dieser Gipfel für die Schweizer hat, muss man nicht einmal - und diese Eigenschaft ist in diesem Land nicht zu unterschätzen - Schweizer sein. Man muss einfach nur seinen Kopf anwinkeln und ihn anblicken: den Berg. Z'Horu. Das Matterhorn.

Matterhorn

Für Saas-Fee ist das Matterhorn das Gegenteil einer Fata Morgana. Den Gipfel gibt es wirklich, nur zu sehen ist er von dem Walliser Dorf aus nicht. Das soll sich ändern.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Nun hat es allerdings Mutter Natur so eingerichtet, dass das Matterhorn nicht wie viele andere Wahrzeichen dieser Welt in Großstädten zu Hause ist, sondern auf Schweizer Seite bei einem etwa 6000 Einwohner großen Ort namens

Zermatt. Während also der Big Ben in London, der Eiffelturm in Paris und die Freiheitsstatue in New York jeweils ihre urbanen Mitten gefunden haben, liegt das Matterhorn in den Ausläufern eines engen Tals im Wallis. Jenem abgeschotteten Sprachreservat aus poetisch alemannischem Kauderwelsch, mit dem sich selbst viele Zürich- oder Berndeutschsprechende schwertun.

So gibt es nicht wenige im Wallis, die sagen, hätte die begehrliche und um Kleingeld nicht verlegene Bankenstadt Zürich die dafür nötigen Mittel, das 4478 Meter hohe Matterhorn an die Stelle seines an gotische Salz- und Pfefferstreuer erinnernden Grossmünsters in der Altstadt zu setzen, man würde es sofort tun. So weit ist es noch nicht gediehen; doch wächst ein großer Plan. Dieser geht allerdings vom gerade mal neun Kilometer Luftlinie von Zermatt entfernten Ort Saas-Fee aus.

Beide Dörfer sind ähnlich hoch gelegen, Saas-Fee auf 1800 Meter, Zermatt auf 1600. Beide sind schneesicher, Sommer- wie Winterskiorte. Beide sind bis auf ihre surrenden Elektromobile autofrei, ausgestattet mit bizarren Eisformationen und hübschen Kirchen. Beide sind umringt von Viertausendern. Hüben, also in Saas-Fee, sind es 13, drüben in Zermatt 37 plus einer. Und der, das Matterhorn, trennt die beiden Orte in ein Mit und in ein Ohne. Das soll sich ändern.

Durchstich auf 3500 Meter Höhe

Die ersten Pläne für diese Änderung sind bereits 1993 entworfen worden, und sie sind im Kopf von Hubert Bumann entstanden. Bumann, Sohn eines Bergführers und 1924 in Honegg bei Saas-Fee geboren, wohnt in einem kleinen Saas-Feer Häuschen. Das Innere ist vollständig in warmes orange-rotes Licht getaucht, das Kaminfeuer knistert, es riecht nach Kräutern, Holzbalken durchziehen das Gebäude, sogar Freunde Bumanns sagen, es sei ein Haus wie ein Museum. Erzählt Bumann, welche Positionen er innehatte, vergehen schon mal gut zehn Minuten. Er war unter anderem Portier in einem Hotel, Sherpa, Bürgermeister und Kurdirektor von Saas-Fee, 24 Jahre lang im Walliser Großen Rat und 1970 der erste Präsident des schweizerischen Verbandes der Seilbahnunternehmungen. Kurz, Bumann ist ein Mann wie eine Schweizer Dorf-Chronik, kennt Menschen für vier, Geschichten für drei Leben.

Er holt die Pläne aus einem seiner zahlreichen Regale, setzt sich auf den Sessel, vor das Bild seines 1983 im Himalaya tödlich verunglückten Sohnes Guido, und sagt mit der an Indiana Jones senior erinnernden Stimme eines 86-Jährigen: "Das wäre ein herrliches Abenteuer."

Ein Fenster zum Matterhorn

Es geht darum, am 4027 Meter hohen Allalin, dem neben dem Dom (4545 Meter) bedeutendsten Berg Saas-Fees, einen Durchstich auf 3500 Meter Höhe zu wagen und somit ein "Fenster am Allalin", besser gesagt ein Fenster zum Matterhorn zu graben. Der rund zwei Kilometer lange Tunnel durch den Berg würde ein Super-Skigebiet entstehen lassen: eine Verbindung der etwa 100 Kilometer langen Pisten Saas-Fees mit den 350 Kilometern von Zermatt, Cervino und Valtournenche. Am Ende des Tunnels, auf 3700 Meter Höhe, hätte man das Matterhorn bei der Abfahrt immer im Blick.

"Come over to Saas-Fee to see the Matterhorn", sagt Bumann unvermittelt und erklärt, dass er mit diesem Slogan bereits Mitte der neunziger Jahre bei Reiseagenturen in den USA Werbung gemacht habe. Die Realisierung ließ auf sich warten. Die letzte Begehung des Territoriums unter seiner Ägide war 1995. Am Ende scheiterte es am Geld. Die Zermatter hätten sich nicht beteiligen wollen. "Die möchten natürlich keine Gäste an uns verlieren", sagt Bumann. Das Matterhorn ist ihr Alleinstellungsmerkmal. Es wurde zwar Jahr für Jahr über die Pläne gesprochen, aber eigentlich ruhten sie in Hubert Bumanns Regalen.

Bis zum September 2009. Da präsentierte der Direktor eines Fünf-Sterne-Hotels, Beat Anthamatten, ein Update der Studie über die Verbindung Saas-Fee-Zermatt. Immer wieder hätten Touristen, häufig aus Nordamerika, an der Rezeption seines Hotels gefragt, wo es denn nun sei, das Matterhorn. Dann musste er erklären: "Den Berg gibt es nicht bei uns, nur in Zermatt."

"Auf eigene Stärken konzentrieren"

Nun will er, ähnlich wie Bumann, einen Tunnel graben lassen, ein Gondelsystem oder ein Aufzug soll Passagiere auf eine, und das ist neu, Plattform befördern, "im Prinzip wie beim Eiffelturm", sagt Anthamatten. Jetzt soll über dieses und ähnliche Projekte zur Erschließung der Matterhornregion in der Generalversammlung der Saas-Fee Bergbahnen AG diskutiert werden, etwa auch über eine oberirdische Lösung, die mittels Seilbahn eine Plattform auf dem knapp 3900 Meter hohen Feejoch erreichen soll. Felix Zurbriggen, Präsident des Gemeinderats, also der Bürgermeister von Saas-Fee, der neben Anthamatten im Aufsichtsrat der AG sitzt, steht hinter den Vorhaben: "Es wird konkreter", sagt er. Das Ziel, näher ans Matterhorn zu rücken, sei nahe.

Christen Baumann, CEO der Zermatt Bergbahnen AG, der minutenlang die Arme verschränkt, signalisiert: Von unserer Seite besteht kein Interesse. Man sei "primär südorientiert", in Richtung der italienischen Skigebiete. Über die Pläne von Saas-Feer Seite sagt er nur: "Wer soll das zahlen? Wir jedenfalls nicht." Die Neue Zürcher Zeitung fragte deswegen jüngst rhetorisch: "Wer teilt schon gerne seinen Trumpf?" Der Hotelier eines Zermatter Vier-Sterne-Hotels sagt: "Über eine künstliche Verbindung wollen sie, dass sie Zermatt sind."

Internationale Prominenz kontra Dorfcharakter

Es gibt einige Unterschiede. Zermatt ist eher kosmopolitisch, hier ist internationale Prominenz zu sichten. Die drei Fünf-Sterne-Häuser holen ihre Gäste mit Kutschen vom Bahnhof ab. Christen Baumann rät den Saas-Feer Visionären: "Sie sollen sich lieber auf ihre eigenen Stärken konzentrieren." Also nicht auf die Zermatter, "den Berg", wie er das Matterhorn schlicht nennt.

In Saas-Fee signalisieren alte Stadel am Ortseingang: Wir sind traditionell, noch immer ein Dorf. Die auf den Dächern sitzenden Tauben werden nur stündlich vom Glockenschlag der Saas-Feer Kirche aufgeschreckt. Der Zugang zum Matterhorn würde diesen Dorfcharakter vielleicht zunichte machen, für einen gewaltigen Zustrom an Gästen sorgen. Über das Fenster am Allalin sagt der Saas-Feer Hoteldirektor und Vizepräsident des Gemeinderats Beat Anthamatten: "Dazu brauchen wir Zermatt nicht, nur für die Verbindung der Skigebiete."

Werner Schnyder, Projektchef bei der Wirtschaftsförderung des Kanton Wallis, ist 63 Jahre alt und kennt die Pläne um das Fenster am Allalin, mit Hubert Bumann führte er bereits Gespräche. In Schnyders Büroschubladen im kantonalen Regierungsgebäude in Sion lagern noch ganz andere Papiere, wie etwa zur 130 Jahre alten Idee einer Standseilbahn aufs Matterhorn. Er fragt sich schon von Berufs wegen: "Wann ist eine Vision eine reelle Möglichkeit und keine Spinnerei?"

Probleme mit Naturschutzverbänden

Hubert Bumann hat Erfahrung mit Vorbehalten. Es gab eine Zeit, da galt er im eigenen Dorf als Kommunist und Träumer. Seine Vorschläge wurden einst als weltfremd abgetan; heute sind die vermeintlichen Spinnereien Realität, gelten als Meilensteine der touristischen Erschließung Saas-Fees: 1954 die erste Seilbahn; 30 Jahre später eine Metro; außerdem die Straße, die Saas-Fee noch heute mit der Welt verbindet.

Wohl nicht nur deswegen sagt Schnyder, die Verbindung Saas-Fee-Zermatt sei grundsätzlich möglich und eine "interessante Sache". Ein Baugesuch sei aber noch nicht eingegangen. Das Departement für Verkehr des Kanton Wallis gibt zudem zu Bedenken, dass es Probleme mit Naturschutzverbänden geben könnte.

Mit denen werde man rechtzeitig Kontakt aufnehmen, sagt Beat Anthamatten. Auch das Geld, rund 100 Millionen Schweizer Franken, sei nicht das Problem. 60 Prozent Banken, 40 Prozent Eigenkapital rechnet er vor, teils von Sponsoren. Eine Plattform am Allalin wäre eines der höchsten Ausflugsziele Europas, das man sogar mit dem Rollstuhl erreichen könnte. Über die Namensrechte der Plattform liefen angeblich bereits Gespräche mit einer bekannten Schweizer Uhrenmarke. Von dort oben könnte man das Matterhorn, den Lago Maggiore, ja die gesamten Alpen sehen, sagt Anthamatten. Und gewiss auch das Sponsoren-Logo.

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