Schweiz:Kampf der Köche in St. Moritz

Der Schweiz-Tourismus schwächelt, aber St. Moritz geht es gut. Hotels buhlen mit Starköchen wie Tim Raue oder Enrico Cerea um Kunden. Das wächst sich aus zum "Battle of Chefs".

Von Patricia Bröhm

Schon beim ersten Bissen schnellen alle Geschmacksknospen in Habachtstellung: die fast süße Aromatik des Kaisergranats, einer Krebsart, die Schärfe von japanischem Wasabi, dazu das wechselnde Mundgefühl von knusprig Frittiertem und cremiger Mayonnaise. Der Kaisergranat im Wasabimantel, eines der berühmtesten Gerichte des Spitzenkochs Tim Raue, ist normalerweise im urbanen Ambiente seines Restaurants an der Berliner Rudi-Dutschke-Straße zu Hause. Hier aber sitzen die Gäste unter einer historischen Engadiner Gewölbedecke, vor den Fenstern die verschneite Winterlandschaft mit ihren Bergflanken und Tannenwäldern.

Raues Pop-up-Restaurant "The K" im Kulm Hotel in St. Moritz eröffnete pünktlich zum Start der Wintersaison. Es ist die neueste Offensive in einem Wettkampf, den die Schweizer Fachpresse ironisch als "Battle of Chefs" beschreibt. Tatsächlich überbieten sich die Grandhotels in St. Moritz alljährlich von Mitte Dezember bis Mitte April geradezu im kulinarischen Namedropping: Tim Raue im Kulm Hotel, Nobu Matsuhisa und der Schweizer Andreas Caminada im Badrutt's Palace, die aus Italien stammenden Brüder Enrico und Roberto Cerea im Carlton Hotel, Rolf Fliegauf im Giardino Mountain. "Die Wintersaison in St. Moritz ist eine einzige Party", sagt Zwei-Sterne-Koch Tim Raue, der 2008 zum ersten Mal ins Engadin kam, um beim St. Moritz Gourmetfestival zu kochen. "Der Champagner- und Trüffelkonsum erreicht hier ungeahnte Höhen, ähnlich wie auf Sylt."

Dabei ging es der Schweiz als solcher touristisch zuletzt gar nicht gut. Seit 2015 sank die Zahl ausländischer Besucher aufgrund des starken Frankens drastisch; momentan zieht der Schweizer Tourismus mit der Aufwertung des Euro wieder an. St. Moritz, das Jet-Set-Dorf, war aber schon immer ein Sonderfall.

Die Wintersaison 2016/17 lief dort auch dank der Ski-WM gut; die derzeitige Buchungslage verspricht eine weitere Steigerung. Man braucht nur durch den Ort zu schlendern, um zu erkennen, dass sich die hiesige Kundschaft für Petitessen wie Wechselkursschwankungen wenig interessieren muss: So wie andernorts Bäcker nach Metzger kommt, so reihen sich hier Labelshops von Prada über Gucci bis Hermès. Im Badrutt's Palace Hotel durfte man am Silvesterabend 1300 Franken fürs Menü hinblättern - ohne Getränke. 1200 Gäste gönnten sich den Spaß.

"Wir sprechen eine internationale, kulinarisch sehr versierte Klientel an", sagt Kulm-Direktor Heinz Hunkeler. "Eine stilvolle Lobby genügt da nicht, ein Essen beim Spitzenkoch steigert das Urlaubserlebnis." Sprich: Wer Skiklamotten von Kjus oder Moncler trägt, legt auch bei Tisch Wert auf starke Marken. Hunkeler, der den Deal mit Tim Raue einfädelte, hat verstanden, wie das Spiel läuft: "Wenn wir auch die Villenbesitzer ins Hotel locken wollen, braucht es klangvolle Namen und ein Bewusstsein für die neuesten kulinarischen Trends."

Weil peruanische Küche momentan weltweit in Mode ist, heuerte er aus Lima Claudia Canessa an, die den Kulm-Gästen in der Sunny Bar Ceviche von Wolfsbarsch, Lachs oder Thunfisch auftischt. Schon im Januar 2017 eröffnete der weltläufige General Manager den wenige Schritte neben dem Haupthaus gelegenen Kulm Country Club neu und ließ dafür den Schweizer Koch Daniel Humm, heute einer der Stars der New Yorker Restaurantszene, einfliegen. Seither ist der ehemalige Eispavillon, den das Team des Architekten Sir Norman Foster komplett renoviert hat und wo historische Bobschlitten und alte Schwarz-Weiß-Fotos an die Anfänge des Wintersports erinnern, ein kulinarischer Anziehungspunkt.

Selbst auf der Piste muss der gourmetaffine St. Moritz-Besucher nicht fürchten, dass er keine adäquate Verpflegung bekommt.

Pop-up-Restaurant deluxe - auch auf dem Gipfel

Direkt an der Bergstation der Chantarella-Bahn, mitten im Skigebiet Corviglia, eröffnete das Badrutt's Palace kurz vor Weihnachten das Matsuhisa Mountain Pop-up-Restaurant. Hier kann man mit den Skiern vorfahren und sich vom Team des international renommierten Kochs Nobu Matsuhisa Sushi, Sashimi und andere Köstlichkeiten seiner japanisch-peruanischen Fusionküche servieren lassen. Bei California Rolls und Lobster Tempura fällt der Blick im rundum verglasten Restaurant auf den Maloiapass, den Corvatsch oder die Gipfel von Piz Nair und Piz Julier - das beeindruckt selbst den weit gereisten Herrn aus Colorado am Nebentisch, der auch zum Glas, dem "Cüpli" Champagner die Pudelmütze nicht abnimmt.

Gourmetküche auf 2487 Höhenmetern, das sei schon eine Herausforderung der besonderen Art, sagt Küchenchef Nikos Skamnakis: "Wir haben zwei Tage lang experimentiert, bis der Sushi-Reis in der dünnen Höhenluft die richtige Konsistenz hatte."

St. Moritz

Erst kurz vor Weihnachten eröffnete das Badrutt's Palace das japanische Restaurant Matuhisa.

Basislager des Mountain Pop-up ist das Restaurant Matsuhisa im Badrutt's Palace unten im Dorf St. Moritz. Dort bekocht Skamnakis in der Hochsaison Abend für Abend die Gäste in drei Seatings, in drei Belegungen also. Dem großen, rechteckigen Raum sieht man seine Vergangenheit als Tennishalle nicht an, er wirkt mit der dunklen Holztäfelung, den roten Samtbänken und der imposanten Vintage Bar im Loungebereich gemütlich auf eine zeitgemäß-weltläufige Art. "Cosy" nennt es Skamnakis mit seinem gutturalen griechischen Akzent, aber die besten Plätze sind natürlich an der Sushi-Theke, wo man zusehen kann, wie er mit flinken Fingern Sushi formt oder Carpaccio vom japanischen Wagyu-Rind anrichtet.

Nobu Matsuhisa befindet sich im Badrutt's Palace in bester Nachbarschaft: Gleich um die Ecke liegt das Restaurant Igniv des Schweizer Drei-Sterne-Kochs Andreas Caminada. Hier kommen aus der offenen Showküche Gerichte, die scheinbar einfache Produkte kreativ aufwerten - vom Kopfsalatherz mit Trüffelvinaigrette bis zum Saibling mit Dill, Mayonnaise und seltenen Bündner Bergkartoffeln. Auch das Igniv, das am 21. Dezember in seine zweite Saison gestartet ist, trägt einen Stern und reiht sich perfekt ins kulinarische Angebot des Hauses: acht Restaurants, davon drei im nahegelegenen ehemaligen Bauernhaus Chesa Veglia, Baujahr 1658.

St. Moritz

Andreas Caminada kocht im Badrutt's Palace.

(Foto: Andreas Caminada/Schloss Schauenstein)

"Wir liegen hier auf 1800 Meter Höhe ziemlich isoliert", erklärt Managing Director Hans Wiedemann den hohen Aufwand, der im Badrutt's Palace für die Kulinarik betrieben wird. Für die berühmten Köche wiederum ist das winterliche Gastspiel reizvoll, weil es ihren Marktwert steigert - hier oben treffen sie auf genau jene zahlungskräftige internationale Klientel, die sie auch gerne in ihren Restaurants zu Hause sehen.

Besonders groß ist im Society-Dorf, nur 40 Kilometer von der italienischen Grenze entfernt, naturgemäß der mediterrane Einfluss. Dafür stehen nicht nur zahlreiche Nobel-Pizzerien, in denen die Teigfladen vorzugsweise mit großzügig gehobelten Trüffeln serviert werden, sondern vor allem auch das Restaurant Da Vittorio im Carlton Hotel. Mit seiner denkmalgeschützten Fassade samt weißen Giebeln thront das 1913 erbaute Luxushotel ein wenig über St. Moritz-Dorf, seine Sonnenterrasse bietet den schönsten Blick über das Tal. Hier kocht jede Wintersaison einer der größten Stars der zeitgemäßen italienischen Küche, Enrico Cerea.

Im Restaurant seiner Familie, dem Da Vittorio im lombardischen Brusaporto, ist er mit drei Sternen ausgezeichnet, Anfang Dezember kürte das französische Ranking La Liste ihn erneut zu einem der besten Köche weltweit.

Doch trotz aller Auszeichnungen: Cerea, den alle nur Chicco nennen, könnte bodenständiger und herzlicher nicht sein. Er ist ein Koch vom alten Schlag, der nicht das eigene Ego pflegt, sondern sich in leidenschaftliche Begeisterung redet, wenn er über seine Produkte spricht. Zum Beispiel über die Tomatensoße zu seinen Paccheri, für die er die drei besten Tomatensorten Italiens verwendet - San Marzano, Pachino und Piccadilly vom Vesuv.

"Die Klientel in St. Moritz ist sehr international", sagt Cerea. Seine Gäste kennen die besten Restaurants der Welt. "Aber hier sind sie im Urlaub, da möchten sie keine kompliziert-intellektualisierte Küche, sondern eine, die das Herz und den Gaumen berührt." Cerea gelingt genau das mit seinem Meeresfrüchtesalat, dessen Zutaten er täglich frisch von Italiens Fischmärkten ins Oberengadin liefern lässt: Wolfsbarsch und Oktopus aus Chioggia, Petersfisch aus Sardinien, Scampi aus Sizilien und die berühmten violetten Gambas ("die besten der Welt!") aus Ligurien, dazu kandierte Zitronen.

Die Kooperation zwischen Enrico Cerea und dem Carlton Hotel entstand, als der Italiener 2012 als Gastkoch zum St. Moritz Gourmet Festival im Haus aufkochte. Das Festival, das ab 12. Januar zum 25. Mal stattfindet, lockt jedes Jahr Spitzenköche und Gourmets aus aller Welt ins Oberengadin. Reto Mathis, Kultgastronom und Festival-Präsident, kann also durchaus für sich in Anspruch nehmen, den kulinarischen Boom des Bergdorfs mit ins Rollen gebracht zu haben: "In meinen Adern fließt kein Ketchup, sondern Trüffelsauce."

Reiseinformationen

Anreise: Mit dem Auto von München über die A96, E43 und den Julierpass (ca. 360 km). Oder mit der Bahn über Chur in 6,5 Stunden, www.bahn.de

Gourmethotels: Kulm Hotel mit den Restaurants The K by Tim Raue, Kulm Country Club, Sunny Bar by Claudia Canessa u.a., www.kulm.com Badrutt's Palace mit den Restaurants Matsuhisa (mit dem Matsuhisa Mountain Pop-up auf der Corviglia) sowie dem Igniv; www.badruttspalace.com Carlton Hotel mit den Restaurants Da Vittorio und Romanoff (gehobene Schweizer Küche) www.carlton-stmoritz.ch

Festival: Das 25. St. Moritz Gourmet Festival findet vom 12. bis 20. Januar in zehn Hotels im Ort statt. www.stmoritz-gourmetfestival.ch

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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