Schweden:In Symbiose mit dem Flechtenfresser

Beim 400. Jubiläum des Wintermarkts von Jokkmokk in Lappland leben die Traditionen des samischen Volkes auf. Nach wie vor spielt das Rentier eine wichtige Rolle.

Von Stephanie Schmidt

Wenn Thomas Marainen singt, klingt er, als wollte er sich im Jodeln üben. Doch die Alpen sind 3000 Kilometer entfernt, und außerdem war er noch nie dort. In dem Land, in dem der Sänger wohnt, klettern keine Gämsböcke über steile Bergflanken. Dafür traben Rentiere in Scharen durch die Wälder.

Schweden: Ein Same in alter Tracht und mit "Haustier"

Ein Same in alter Tracht und mit "Haustier"

(Foto: Foto: imagebank.sweden.de)

Thomas Marainen singt den samischen Jojk - die Musik seiner Vorfahren. Er ist Angehöriger des Volkes der Sami, die in der Region um das Städtchen Jokkmokk in Schwedisch-Lappland zuhause sind.

Heute wohnen insgesamt 70.000 Sami in Schweden, Norwegen, Finnland und Russland. Nomaden wie einst sind die Sami von Jokkmokk nicht mehr, aber sie versuchen doch, ihre Werte und Traditionen zu bewahren. Und dabei spielt das Rentier eine tragende Rolle: "Wenn wir eines erlegt haben, wollen wir alles von ihm nutzen, um unseren Respekt gegenüber dem Tier zu zeigen", erklärt Marainen.

"Wir nehmen uns aber nur das, was wir brauchen", sagt der 59-Jährige mit Nachdruck. Aus Fell, Haut und Horn von Rentieren entstehen Kleider, Jacken und Handschuhe, Schmuck und Gebrauchsgegenstände, aus den Beinhäuten fertigen die Sami Schuhe.

400 Jahre Markt zu Jockmock

Traditionelle Handwerkskunst und samische Kultur können Besucher beim Wintermarkt kennenlernen, der einmal im Jahr für drei Tage im Februar in Jokkmokk stattfindet. Hier treffen sich die Menschen, die in der Kommune und den umliegenden Dörfern leben - etwa siebentausend sind das heute -, mit Gästen aus aller Welt. Bis zu 40.000 Besucher reisen jedes Jahr in die arktische Winterlandschaft von Jokkmokk, zum 400. Geburtstag des Marktes werden es wohl noch mehr sein: Er beginnt am Montag, 31. Januar 2005, und dauert bis Sonntag, 6. Februar.

Das größte Winterfest in Nordeuropa schmückt sich mit einem Rahmenprogramm von rund 300 Veranstaltungen, an denen sich auch samische Künstler und Schriftsteller beteiligen. Geplant sind Vorträge, Seminare, Vernissagen, Lesungen, Kunsthandwerk-Kurse, Filme über samisches Leben, Schmuck- und Mode-Ausstellungen, Fantasie-Reisen zum Markt, wie er sich vor 100 Jahren präsentierte, Jojk-Konzerte, Kulturabende mit Rentierzüchter-Familien, Rentierbeobachtungs-Touren, Fahrten mit Husky- und Rentierschlitten.

In Symbiose mit dem Flechtenfresser

Urteil bei 40 Grad minus

rentierherde

Das Kapital der Samen: Rentiere

(Foto: Foto: imagebank.sweden.de)

Im Jahr 1605, als der Markt zum ersten Mal stattfand, und in den folgenden Jahrzehnten wurde zur Marktzeit auch Gericht gehalten - die Angeklagten zitterten bei bis zu minus 40 Grad dem Urteilsspruch entgegen. Nur 20 Stände zählte der Markt um 1930, heute sind es mehr als 150. Dicht an dicht reihen sie sich, manche Händler kommen mit Caravans und bauen Zelte auf, in denen sie ihre Waren feilbieten.

Mit Seehundfellmützen auf den Köpfen, in dicke Rentierfellmäntel gehüllt, spazieren die Besucher über den Marktplatz der Kommune, die 1000 Kilometer vom Nordkap entfernt ist. Unter den Füßen der Spaziergänger knirscht der Schnee, und ihr Atem dringt als dampfender Nebel in die klirrend-kalte, klare Winterluft.

Pelzmützen und Giraffen-Luftballons

Einst lieferten die Sami Felle, Fleisch und Handwerksgegenstände und nahmen dafür Mehl, Butter oder Kaffee. Vergnüglicher Einkaufsbummel statt pragmatisches Tauschgeschäft, heißt heute das Motto. Das typisch Samische macht aber nur einen Teil des Marktangebots aus: Rentierfelle, Rentierwurst, Pelzmützen, verzierte Jagdmesser. Daneben Süßigkeiten, T-Shirts und Volksfest-Artikel wie Luftballons. Die gibt es sogar in Gestalt von Giraffen, was hier, im nördlichen Polarkreis, reichlich exotisch anmutet.

Im Zusammenleben von solchen, die ein "Svenson"-Leben führen - auf deutsch heißt das so viel wie "Otto Normalverbraucher" - mit den Sami sind Konflikte an der Tagesordnung: Vor allem zwischen schwedischen Landbesitzern und den Rentierzüchtern, die sich auf ihre alten Weiderechte berufen. Doch die Regierung hat das Jagdrecht für die Sami streng reglementiert und ihnen nur bestimmte Territorien für die Rentierzucht zugewiesen.

In Symbiose mit dem Flechtenfresser

Schweden: Traditionelles Outfit: Aus Fell, Haut und Horn von Rentieren entstehen Kleider, Jacken und Handschuhe, Schmuck und Gebrauchsgegenstände, aus den Beinhäuten fertig(t)en die Sami Schuhe.

Traditionelles Outfit: Aus Fell, Haut und Horn von Rentieren entstehen Kleider, Jacken und Handschuhe, Schmuck und Gebrauchsgegenstände, aus den Beinhäuten fertig(t)en die Sami Schuhe.

(Foto: Foto: imagebank.sweden.de)

Kontakt zu den Toten

Wie auch die indianischen Stämme in Nordamerika bewegten sich die Sami einst völlig uneingeschränkt in der Region Norrbotten. Jokkmokks Sami-Museum Ájtte, die größte Ausstellung für samische Kultur in Schweden, macht erlebbar, wie frühere Generationen seit 9000 Jahren, als das Inlandeis das Land freigab, in den moorigen Wäldern und zu Füßen der Berge, am Fjäll, See und Fluss gelebt hatten. Zur Ausstellung gehören nicht nur Schaukästen, die samischem Silberschmuck zeigen, oder erklären, wie die Sami Fisch räucherten, sie präsentiert auch Filme und Diashows.

Auf einem Sofa lauscht man den Erzählungen des Nåjden, der zugleich die Rolle des Richters und des Heilers inne hatte. Mit Hilfe seiner Trommel konnte er in Trance verfallen und Kontakt zu den Toten aufnehmen.

Heute tragen die Sami ihre Tracht ausschließlich zu festlichen Anlässen wie etwa dem Wintermarkt. Charakteristisch für die Tracht eines Sami von Jokkmokk ist blaues Wolltuch mit gelb-roten Borten, seine rote Kopfbedeckung wirkt wie eine veredelte Variante der Zipfelmütze.

Geschmückte Tiere

Während der Markttage sind auch die Tiere geschmückt - mit bunten Bändern und Glöckchen. Und die sonst zurückhaltenden Sami tauen auf und lassen sich über ihre Traditionen und ihre Symbiose mit den Flechten fressenden Waldbewohnern gerne Löcher in den Bauch fragen.

Nur "Wie viele Rentiere besitzt Du?" kommt nicht gut an. Thomas Marainen antwortet nicht, seine Mine verdüstert sich. Die Frage sei ihm zu persönlich. Denn er empfindet sie so wie ein Städter die direkte Frage nach dem Guthaben auf seinem Bankkonto.

Aber ein Sami ist nicht lange missmutig, schon gar nicht während des Wintermarkt-Festivitäten. Allerspätestens bei der Frage nach einem charakteristischen Rezept aus der regionalen Küche - Rentiergeschnetzeltes mit Preiselbeeren - macht sich wieder ein Lächeln im Gesicht des Jojk-Sängers breit.

Informationen und Adressen: bitte umblättern

In Symbiose mit dem Flechtenfresser

Jokkmokks Turistbyrå The Tourist Information Office Box 124, S-96223 Jokkmokk Tel.: +46(0)971 17258 Fax: +46(0)971 222 59 www.turism.jokkmokk.se

Sami Museum Ájtte Kyrkogatan 3 S-96223 Jokkmokk Tel.: +46(0)971 17070 www.ajtte.com geöffnet (in der Zeit von Januar bis April): montags bis freitags von 10 -16 Uhr

Sámi Handicraft Foundation Borgargatan 2 S-96231 Jokkmokk Tel.: +46(0)971-128 94

Anreise:

Flycar/LTU fliegt jeweils freitags folgende Strecken nach Arvidsjaur/Lappland: München - Frankfurt-Hahn - Arvidsjaur, Stuttgart - Arvidsjaur, Paris - Hannover - Arvidsjaur (jeweils 21. 1. bis 21. 3. 2005), SAS fliegt via Stockholm täglich außer samstags nach Arvidsjaur. Von dort sind es 155 Kilometer nach Jokkmokk - knapp zwei Stunden mit dem Auto auf der Inlandsstraße 45. Alternative: per Bahn nach Murjek und von dort per Bus nach Jokkmokk

Weitere Angebote an Ort und Stelle:

Das Unternehmen C/O Sápmi bietet Tagestouren zu Rentierherden, kombiniert mit Schlittenfahrten und Menü, an. Kontakt: Helena Länta, Tel.: +46 (0)70-273 75 78

ViriSami Rajd heißt ein weiteres Unternehmen, das Touren anbietet, auf denen Besucher die Tradition und Kultur der Sami kennenlernen können. Kontakt: Nils-Gustav Blind, Tel.: +46 (0)971-120 73

North Adventure bietet Fahrten mit dem Schneemobil oder mit dem Hundeschlitten an. Kontakt: Magnus Svanberg, Tel.: +46(0)70-361 91 04

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