Schneeschuhlauf im Trentino:Vorne sprinten Profis, hinten spaziert das Volk

Schneeschuhlauf im Trentino: Der Klang erinnert an früher: Spielkarten in Fahrradspeichen.

Der Klang erinnert an früher: Spielkarten in Fahrradspeichen.

(Foto: Daniele Panato/ADP)

Der weltgrößte Schneeschuhlauf bringt am Dreikönigstag im Trentino Extremathleten, Gebirgsjäger und Bierbauchträger zusammen.

Von Stefan Wagner

Fünf Läufer biegen auf die Zielgerade ein, kurz vor der Piazza San Giovanni, noch 200 Meter, dann passiert alles ganz schnell: Der Zweite steigt auf das Ende des Schneeschuhs des Ersten. Den katapultiert es nach vorne, mit dem Gesicht in den nassen Schnee. Der Zweite stolpert über ihn, die folgenden drei Läufer können nicht ausweichen, überschlagen sich, ein Knäuel aus Armen und Beinen in bunten, hautengen Rennanzügen und Schneeschuhen. Einer flucht, ein anderer schlägt verärgert mit der Hand in den Schnee, sie helfen sich trotzdem gegenseitig auf und laufen weiter. Der Sehnige hat eine Schnittwunde am Unterschenkel, der Läufer mit der roten Hose trägt nur noch einen Schneeschuh am Fuß, den anderen in der Hand. Die Zuschauer brüllen die Läufer ins Ziel. Dort fallen sich die fünf in die Arme. Dorfschönheiten reichen jedem einen Apfel.

Wir sind in Fondo, einem unspektakulären 1500-Einwohner-Ort im Val di Non, 35 Kilometer von Bozen entfernt, wo seit 1973 einmal jährlich die Ciaspolada stattfindet, das größte Schneeschuhrennen der Welt. Das muss man sich so vorstellen: Menschenmassen sprinten, rennen, wandern oder spazieren mit bunten Schneeschuhen - Ciaspole im örtlichen Dialekt - eine Strecke von 8,5 Kilometern durch das Hochtal. Im Sommer wächst hier ein entscheidender Anteil der jährlichen Apfelmenge Italiens der Ernte entgegen; am Dreikönigstag kreisen oben Hubschrauber mit TV-Kamerateams, unten fahren Schneemobile mit Fotografen neben der Spitzengruppe her. An Anstiegen und in den kleinen Gassen der Orte bilden die Zuschauer enge Spaliere für die Teilnehmer, ein wenig wie bei der Tour de France. Vorne sprinten Profis und Ambitionierte, dahinter trottet das Volk. Wenn 6000 Menschen auf Plastik- und Alu-Schneeschuhen losrennen, hört sich das an wie früher in der Kindheit, als man Spielkarten mit Wäscheklammern in den Radspeichen befestigt hat, um einen Knattersound zu erzeugen. Nur 6000 Mal so laut.

La Ciaspolada, Pressematerial bezogen über Società Podistica Novella - La Ciaspolada.

Für die einen ist es der Ironman des Schneeschuhlaufens, für die anderen einfach nur eine große Gaudi: die Ciaspolada im Nonstal.

(Foto: PR)

"Auf Schneeschuhen die Natur genießen", "Sanftes Winter-Erleben", "Mit Andy in den Pulverschnee" - seit Jahren bieten Wintersportgemeinden Schneeschuhwanderungen als Alternative zu den etablierteren Winteraktivitäten an. Da führt dann ein kerniger Bergdorfbewohner Besucher, deren Knie zu kaputt zum Skifahren sind, durch verschneite Winterwälder. Er weist auf Hasenspuren hin, lässt die Schneeschuhnovizen einige tollpatschige Sprünge den Hang hinab machen, danach gibt es Cappuccino oder ein Stamperl Red Bull zur Belohnung. Eine Art Schnee-Wellness für Minimalsportler mit Waldluft-Treatment. Doch vor allem in Nordamerika, aber auch in den Trailrunning-Hochburgen Spanien, Italien und Frankreich, kommen immer mehr Ausdauersportler auf den Geschmack, schnallen sich für ihre Winterläufe Schneeschuhe an die Füße und rennen abseits der Straßen durch die Natur. Der weiche Schnee macht das Landen gelenkfreundlicher, der größere Krafteinsatz stärkt die Muskeln für die Sommersaison.

Schneeschuhlauf im Trentino: SZ-Karte

SZ-Karte

Marcus Fink, 45, aus Söchtenau bei Rosenheim hat es bei einer - zunächst gemütlichen - Schneeschuhwanderung bei Frasdorf erwischt. "Ich wollte einfach mal sehen, wie es ist, mit den Dingern etwas schneller zu laufen", sagt der Geschäftsführer des Kreisjugendrings München-Land. Die ersten Schritte waren etwas ungelenk, dann wurden sie länger und flüssiger, bergab sprang er schon mit Riesensätzen. "Es war wie Fliegen", erinnert er sich. Das war 2012. Tausende Trainingskilometer folgten, Dutzende Rennen, heute ist er Teamchef der deutschen Schneeschuh-Equipe, die im Februar zur WM in die Berge des Bundesstaates New York reisen wird. Seine Passion, sagt er, seien jetzt längere Rennen, 44 Kilometer mit 2600 Höhenmetern und so. "Der Schlüssel beim Snowshoe Racing ist, viel in der Luft zu sein und die Lande- und Abdruckphase im Schnee so kurz wie möglich zu halten." Er grinst. "Na ja, wenn der Schnee leicht, pulvrig und 30 Zentimeter tief ist, kann man die Phasen vergessen, dann geht es nur darum, irgendwie kräftesparend durchzukommen."

Bei der Ciaspolada befassen sich nur die Topläufer mit Abdruckphasen. Die Masse der Teilnehmer sieht das Ganze als Gemeinschaftserlebnis mit Brenta-Blick. Der Kurs führt über gewalzten Schnee und rollende Hügel durch winzige Dörfer wie Cavareno oder Sarnonico. In den vergangenen Jahren musste schon mal wegen zu warmer Temperaturen Schnee per Lastwagen herangekarrt werden. Die Strecke ist für jeden zu schaffen. Teilnehmer mit Wikingerhelmen rollen ein Fass Wein entlang, andere haben Bierkästen der Marke Forst auf Schlitten dabei, manche tragen ultra-atmungsaktive Wettkampftrikots, andere Lederhosen. Es gibt Papas, die Kinder im Plastikbob ziehen, greise Gebirgsjäger mit Federhüten, zwei Hexen samt Besen, Wahnsinnige ohne T-Shirt, Bierbauchträger, Triathleten - ein Happening auf einem Sportgerät, das aussieht wie an die Füße geschnallte Tennisschläger. Schnee spritzt bei jedem Schritt an der Hinterseite der Beine bis zum Po, die Hosen sind pitschnass. Die Stars fliegen über verschneite Feldwege und stürmen Hügel hoch, als seien sie auf der Tartanbahn unterwegs. Weiter hinten tapsen Durchschnittsjogger wie trunkene Tanzbären durch das Weiß. Die Besten kommen aus Frankreich, den USA und Finnland, aus Marokko oder Nepal und natürlich Italien. Vor einigen Jahren hat sogar mal ein Kenianer gewonnen.

Vor einigen Jahren hat das Massenrennen im Schnee sogar ein Kenianer gewonnen

Der Amerikaner Mark Elmore, 56, ist Präsident der World Snowshoe Federation und Schneeschuhhistoriker. Bei der Ciaspolada war er ein halbes Dutzend Mal. In den USA gibt es seit Jahrzehnten Schneeschuhrennen, wegen der reichen indianischen Tradition. "Schneeschuhe waren bei der Jagd im Winter für die Ureinwohner überlebenswichtig." Die ersten Funde von Schneeschuhen stammen aus Zentralasien. Schon vor 6000 Jahren halfen sie Menschen dabei, nicht im tiefen Schnee zu versinken. "Viele denken immer noch an diese riesigen alten Holzdinger, wenn sie das Wort Schneeschuh hören", sagt Elmore. "Das ist aber so, als ob man eine Postkutsche mit einem Ferrari vergleicht." Die heutigen Renngeräte sind aus Aluminium, Karbonfasern und Plastik, haben eine recht geringe Fläche und wiegen gerade mal 300 Gramm. Dafür kosten sie 150 bis 250 Euro.

Bei der Ciaspolada fachsimpeln die Läufer spätestens im Ziel über ihre Racchette da neve, ihre "Schnee-Rackets". Für jene, die keine eigenen haben, halten die Renn-Organisatoren 2500 Paar Leihschuhe in einer Lagerhalle bereit. Einer, der sich selbst aus Holz und Weidenruten Schuhe gebastelt hat, trägt die Trümmer seiner Kreation bereits bei der Zweikilometermarke in den Händen. Je weiter hinten man im Feld ist, desto zerstampfter ist der Schnee, desto mehr rutscht man bei jedem Schritt wieder zurück. Es ist, als laufe man auf Zucker. Wie Rudern mit einem Rührbesen.

Im Zielort Fondo brüllen sich die Bürger heiser, es ist der wichtigste Tag des Jahres. Auch hinter der Ziellinie hat die Ciaspolada den Charme eines Dorffestes. Don-Camillo-und-Peppone-Atmosphäre im Trentino. Es gibt Freibier, Honoratiorenansprachen, später ein Feuerwerk und Fackelmärsche. Mit feierlicher Miene überreicht der Bürgermeister den ausgepumpten Siegern 1000 Euro und eine Kiste Äpfel. Feuerwehrfrauen drücken den anderen Teilnehmern Plätzchen in die Hände. Mark Elmore trinkt Glühwein. "Für unseren Sport ist das hier ein mythisches Rennen", sagt er, "vom Stellenwert her so etwas wie der Hawaii-Ironman oder Wimbledon oder die Super Bowl." Sein Blick fällt auf die Männer mit dem Bier auf dem Schlitten und eine verschwitzte Hexe. "Na ja, vielleicht nur fast so etwas."

Reiseinformationen

Anreise: Mit dem Auto von München über die Brennerautobahn in etwa vier Stunden nach Fondo. Mit dem Zug nach Trient oder Mezzocorona und von dort mit der Lokalbahn Trento-Malé bis Dermulo, www.ttesercizio.it

Infos zur Ciaspolada: Società Podistica Novella, 38013 Fondo; Startgebühr für das Familienrennen zwölf Euro, für Wettkampfsportler 22 Euro, Schneeschuhleihgebühr je drei Euro. Anmeldeschluss ist der 5. Januar, 18 Uhr, Start am 6. Januar um 10.30 Uhr, www.ciaspolada.it

Weitere Auskünfte: Unterkünfte, Gastronomie etc. im Nonstal unter Tel.: 00 39/04 63/83 01 33, www.visitvaldinon.it

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