Schneereichste Dörfer in Österreich:Villarriba gegen Villabajo in Vorarlberg

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Genug Schnee zum Winterwandern gibt es sowohl in Damüls als auch in Warth-Schröcken.

(Foto: Marcel Burkhardt)

Angeblich fällt in keinem Dorf der Erde mehr Schnee als in Damüls. Der Ort im Bregenzerwald ist mächtig stolz auf seinen Titel "schneereichstes Dorf der Welt". Die Nachbarn in Warth-Schröcken kontern mit eigenen Rekord-Schneestatistiken. Ja, wer ist denn nun das größte Schneeloch?

Von Marcel Burkhardt, Vorarlberg

Jeder Schritt ist hier, abseits der eingefahrenen Skipisten, ein kleines Abenteuer. Gerhard Strolz stapft mit seinen Schneeschuhen durch meterdicken Neuschnee und ab geht's für ihn, im wörtlichen Sinn. Er versackt immer wieder bis zu den Oberschenkeln im tiefen Weiß.

Das bringt mit der Zeit sogar einen durchtrainierten Skilehrer wie den 52-jährigen Österreicher ins Schwitzen. An einem Steilhang hält Strolz inne und atmet die eiskalte Bergluft tief ein. Was er jetzt vor sich sieht, macht ihn einfach nur froh.

Vor Gerhard Strolz liegt eine wahre Wintermärchen-Landschaft. Den ganzen Vortag hat es geschneit hier oben am Vorarlberg, auf 1500 bis 2000 Metern Höhe, in der Gegend der Dörfer Warth und Schröcken. Berge und Bäume tragen dicke Schneedecken, die Sonne aus einem wolkenlos blauen Himmel lässt die Kristalle glitzern. "Hier draußen kannst du dich frei fühlen, alles kann so friedlich sein, oder?", sagt Strolz und lächelt, bevor er weiter seinen Weg sucht durch die Wildnis des angeblich schneereichsten Skigebiets in Europa.

Angeblich? Strolz kennt Statistiken, die das belegen sollen. In einer Schneemess-Station am Körbersee will er sie präsentieren. Rund um diesen See im Skigebiet Warth-Schröcken fallen im Durchschnitt pro Winter fast 17 Meter Neuschnee. Klingt unglaublich, fast bedrohlich, jedenfalls nach Fabel-Rekord. Und der hätte wohl noch mehr Strahlkraft, wenn da nicht die lieben Nachbarn aus Damüls, eine halbe Autostunde entfernt, noch einen draufgesetzt hätten. Das Dorf trägt nämlich stolz den Titel "schneereichstes Dorf der Welt".

Es ist fast wie in der alten Werbe-Geschichte, in der zwei erdichtete spanische Dörfer zueinander in närrischer Konkurrenz stehen. Ein Hauch von Villarriba versus Villabajo also in den Alpen, nur dass der Wettstreit um Schnee geht statt um Spülmittel? Zumindest fast, denn in Österreich können immerhin beide Duellanten auf "ein glänzendes Ergebnis" stolz sein.

Bei beiden geht es nur um Nuancen im Schneereichtum, die im Streit angeführt werden: So fallen in Damüls im Schnitt "nur" 9,30 Meter Neuschnee pro Wintersaison und damit deutlich weniger als am Körbersee - aber es geht ja auch um das schneereichste Dorf. Zu verdanken hat Damüls seinen Titel übrigens dem deutschen Journalisten Reinhardt Wurzel, einem Abenteurer mit Vorliebe für Naturgewalten und Superlative, der sich nach einer Sibirien-Expedition zum kältesten Dorf der Erde auf die Suche nach dem größten Schneeloch dieses schönen Planeten gemacht hat. Am Ende einer jahrelangen Recherche stand Damüls ganz oben. Dahinter folgt der Nachbarort Schröcken und auf Platz drei das Schweizer Dorf Braunwald.

In diesem Winter sei es allerdings ein wenig verhext, meinen die Dorfbewohner. Während Kärnten untergehe im Schnee, fehlten hier oben im Norden Österreichs häufig die sonst üblichen Nordwestwetterlagen mit ihren feuchten schweren Wolken, die an der ersten Barriere hinterm Bodensee ihren Ballast abwerfen - ins Schneeloch Damüls. Aber an diesem Morgen ist alles, wie es sein soll: Der Winter kommt mit aller Macht. Wenn in Damüls Schnee fällt, dann richtig. Das einzige Fahrzeug auf der Dorfstraße ist die Schneefräse, die es mit einem halben Meter Neuschnee zu tun hat. Wer jetzt weg möchte, braucht viel Geduld.

Babyboom hier, Kindermangel da

Aber wer will schon raus aus diesem herrlichen Kokon? Die meisten Urlauber jedenfalls betrachten das Schneetreiben hoch erfreut. Deshalb sind sie ja gekommen. Ein Familienvater aus dem Sächsischen etwa stupst seinen Sohn an: "Sowas muss mer gesehn ham, Kleener!", sagt er freudig, bevor die beiden zur Skistation laufen.

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Schneehaube auf dem Pfarrhaus in Damüls.

(Foto: Damüls-Faschina Tourismus)

Ja, muss mer, und der Schneereichtum ist auch eine feine Sache für die Bewohner von Damüls, die noch vor hundert Jahren vor allem von der Viehzucht lebten. Erst in den Zwanziger Jahren haben sich die ersten Urlauber in das abgelegene Bergdorf verirrt. Aber die müssen das Dörfchen mit seiner hübschen Zwiebelturmkirche entzückend gefunden haben, denn schon 1942 hat sich der Bau eines ersten Lifts gelohnt. Und dann ging es richtig los mit dem Besuchergeschäft, erzählt Pascal Keiser, Geschäftsführer von "Damüls-Faschina Tourismus": "Die Bauern haben damals gedacht, man könnte das eine oder andere noch erreichen mit Tourismus oder mit Gästeübernachtungen."

Ein Spaziergang durchs Dorf genügt, um zu sagen: Recht hatten sie, die schlauen Bauern. Inzwischen ist Damüls ein reiches Dorf, das vom Winter- und Sommergeschäft mit den Urlaubern lebt. Es lebt sich sogar so gut hier oben, dass Damüls ständig wächst und inzwischen 330 Einwohner zählt. "Wir hatten einen richtigen Babyboom, mussten sogar den Kindergarten und die Grundschule vergrößern", sagt Keiser.

So eine schöne Geschichte würde Warths Bürgermeister Stefan Strolz (übrigens nicht verwandt mit Skilehrer Gerhard Strolz) auch gern erzählen. Sein 160-Seelen-Dorf, Heimat der ersten Alpinski-Pioniere und einiger Olympia-Medaillengewinner, hat ja auch viel zu bieten. Nach 40 Jahren Hakelei hat das gemütliche Bergdorf in diesem Winter sogar endlich seinen Verbindungslift zum mondänen Lech bekommen. Durch den Lift können sich Skifahrer nun auf 190 Pistenkilometern austoben und auch die Liftbetreiber jubeln: "Damit sind wir jetzt in der europäischen Champions-League!"

Den Bürgermeister freuen auch die kleinen, aber substanziellen Dinge. "Wir haben hier alles, was wir brauchen", sagt Strolz bei einem Spaziergang durchs Dorf, und meint damit das Lebensmittelgeschäft, die Bäckerei, den Metzger, die Sennerei und die kleine Bankfiliale.

Nur beim Nachwuchs hat Damüls die Nase vorn: "Wir brauchen auch wieder mehr Kinder", sagt Strolz nachdenklich in einem der schönen, aber leeren Klassenräume der Dorfschule. Zuletzt mussten sie Kindergarten und Schule schließen, weil einfach kein Nachwuchs da war. Das Leben im Urlaubsparadies ist nicht gerade billig und außerdem locken die Städte, wie überall.

Was die Konkurrenz der beiden Skigebiete Warth-Schröcken und Damüls-Faschina betrifft, so geben sich die Touristiker Fremden gegenüber vornehm zurückhaltend. Man spricht lieber über die Vorzüge des eigenen Gebiets. "Aber spüren Sie in Damüls wegen des Rekordtitels vielleicht doch ein wenig Neid der Nachbarn?" Pascal Keiser lacht, fragt etwas unsicher zurück: "Ist das eine Fangfrage?" Und antwortet nach kurzem Zögern: "Es gibt schon mal Diskussionen, da sagt der eine mal 'Ach, wir haben mehr Schnee,' aber das ist eher spaßig." Ein echter Streit sei das nicht, eher eine Frotzelei fürs Wirtshaus.

Nach seiner Schneeschuh-Tour sitzt Skilehrer Gerhard Strolz am Körbersee in einer kleinen, urigen Wirtschaft beim Mittagessen. Er hat sich die offiziellen Schneedaten aus der Messstation nebenan geholt und tippt mit dem Finger auf ein Blatt Papier, das eine offizielle Schneestatistik zeigt. Darin liegt der Körbersee eindeutig vorn in punkto Neuschneereichtum pro Saison - Damüls-Faschina folgt mit rund viermeterweitem Abstand auf Platz zwei. "Das sind die Fakten, daran halten wir uns", sagt Strolz knapp, bevor ihm die Leberknödelsuppe gereicht wird. Diese Fakten werden beim Frotzeln im Wirtshaus wohl weniger gut ankommen.

Urlauber können die Statistik hingegen entspannt sehen: Für sie ist es in jedem Fall ein Segen, dass das schneereichste Dorf der Welt und das schneereichste Skigebiet Europas in direkter Nachbarschaft liegen.

Nur ein wenig aufpassen sollten sie schon hier oben im Schneeloch, meint Gerhard Strolz. So enthusiastisch er die Schönheit seiner Heimat schildern kann, so ernst spricht er nun über die Gefahren der Schneepracht. Strolz ist seit Jahrzehnten in der Bergrettung und befreit jeden Winter etliche Urlauber aus dem Schnee.

"Wer das Bergland nicht ohne Schnee kennt, wer nicht weiß, wo Felsen und Seen sind und wo Bäche fließen, der sollte unbedingt auf den markierten Wegen bleiben", warnt Strolz. Selbst für Menschen, die ihr Leben in den Bergen verbracht haben, gebe es immer wieder böse Überraschungen. "Hundertprozentige Sicherheit gibt es nie, dafür kann das Wetter zu extrem sein", sagt Strolz, bevor er endet: "Was du hier oben lernst, ist, dass die Natur sehr mächtig und der Mensch dagegen sehr schwach ist."

Bevor Strolz die Schneeschuhe wieder anschnallt, prüft er ein kleines Gerät, das er an der Brust trägt, den "Pieps". Falls ihm etwas passieren sollte, könnten ihn die Kollegen der Bergrettung damit orten und bergen - das Abenteuer durch den Schneereichtum soll nicht zu wild werden. Da sind sich die Menschen in Warth und Damüls wieder einig.

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