Schinkenstraße auf Mallorca:Die Straße, die allen den Schlaf raubt

Schinkenstraße auf Mallorca: Einheimische erinnern sich heute angesichts von Saufmeilen wie der Schinkenstraße mit Wehmut an die "guten Deutschen", die nicht nur tranken, sondern auch schunkelten.

Einheimische erinnern sich heute angesichts von Saufmeilen wie der Schinkenstraße mit Wehmut an die "guten Deutschen", die nicht nur tranken, sondern auch schunkelten.

(Foto: imago)

Für immer verloren an den hemmungslosen Sauftourismus? Ein Besuch bei den Bewohnern und Wirten der Schinkenstraße von Palma de Mallorca.

Von Brigitte Kramer

Wenn man Biel Barceló bittet, früh aufzustehen, sagt er sofort zu. Kein Problem für ihn, denn: "Ich kann sowieso nicht schlafen." Und dann steht er tatsächlich da, um fünf Uhr morgens, hellwach, gekämmt und braun gebrannt, an der Schinkenstraße, Ecke Uferpromenade. Dem Kilometer null von Mallorcas Sauftourismus.

Biel Barceló ist Frührentner. Der 52-Jährige hat Schlosser gelernt und dann viele Jahre als Hausmeister in diversen Hotels gearbeitet. Sein Stadtteil ist in Deutschland als Ballermann bekannt. Für ihn ist der fünf Kilometer lange Strand zwischen dem Hafen von Can Pastilla in Palma und dem Hafen von Arenal in Llucmajor mehr als Mallorcas Partymeile. Er sagt dazu El Arenal, der große Sandstrand. Und auch wenn er von der Schinkenstraße redet, verwendet er den richtigen Namen: Carrer Pare Bartomeu Salvà. Den Touristen ist das viel zu kompliziert. Schinkenstraße lässt sich auch nach einigen Bieren noch einigermaßen verständlich aussprechen.

Die 450 Meter lange Straße heißt seit etwa 50 Jahren so. Damals, als alles noch besser war, die Touristen, das Essen und der Alkohol, da bekam man im Pancho Chips oder im San Siro noch echten Serrano-Schinken aufs Brot. Beide Buden stehen noch immer in der Schinkenstraße, das Dach des San Siro schmückt ein riesiges Plakat in Form einer Schinkenkeule. Wobei der Schinken längst nicht mehr die Bedeutung hat, die er einst hatte. Heute gehen vor allem Currywurst und Döner, 24 Stunden am Tag.

Im Bierkönig brummt das Geschäft vor allem im Sommer

Dazwischen liegt das Bamboleo, eine offene Bierkneipe mit Stehtischen und Sitzecken, die einen ganzen Block umfasst und 80 Kellner beschäftigt. Die haben vor allem im Herbst und Frühjahr viel zu tun, wenn Kegelklubs, Chöre oder Freundesgruppen fortgeschrittenen Alters kommen. Gegenüber ist der Bierkönig, die Abfüllstation schlechthin. Dort brummt das Geschäft vor allem im Sommer.

Der Bierkönig ist bei Junggesellen beliebt, die ihren Abschied feiern, bei Frauencliquen in Abenteuerlaune, bei Abiturienten, bei Fußballfreunden und auch bei Paaren und Schaulustigen, die einmal das live erleben wollen, was sie so oft im Fernsehen gesehen haben. Der riesige Biergarten mit Stehtischen lockt den ganzen Tag über mit Angeboten; mal gibt es Gratis-Bier, mal 3-für-2-Angebote. Wichtig ist auch das Hotel Niagara. Dort steigen die ab, die die Nacht durchfeiern und erst ins Bett gehen, wenn die letzten Lokale zumachen und die Putzkolonnen anrücken. So gegen sechs Uhr morgens.

Also jetzt, da man mit Biel Barceló durch die Straße streift und die letzten Betrunkenen überholt. Zwei von ihnen, blonde junge Männer, singen so laut, dass Barceló nicht an sich halten kann. "Ist euch klar, dass hier Menschen schlafen wollen", sagt er, nicht ganz emotionslos. "Das sind die Menschen, die euch später das Frühstück servieren oder euer Bett machen." Die Männer fixieren ihn eine Weile, scheinen den Blick scharf zu stellen. "Dann sollen sie halt wegziehen, wenn es ihnen zu laut ist", bekommt Barceló zur Antwort. Er kann da nur bitter lachen und sich abwenden. Es schmerzt ja nicht zum ersten Mal, und nicht nur ihn. Viele Mallorquiner kennen das Gefühl, das sie vor allem im Sommer und vor allem in der Schinkenstraße überkommt: Wir sind nicht erwünscht.

Holiday Drinking

Früher wurde noch halbwegs stilvoll gesoffen.

(Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Land in Nähe des Meers galt früher als wertlos

Barceló aber ist hier aufgewachsen, hat als Kind im Meer geangelt, auf der Straße gespielt. El Arenal ist sein Zuhause. Er will sich von dort nicht vertreiben lassen. Vor Kurzem hat er deshalb mit anderen einen Nachbarschaftsverein gegründet, der sich als Ziel gesetzt hat: dafür sorgen, dass die Anwohner wieder in Ruhe schlafen können. "Der Sauftourismus ist unser Ende", sagt Barceló und meint damit nicht nur seine gespannten Nerven.

Schinkenstraße auf Mallorca: SZ-Karte

SZ-Karte

Die Insel, sie leide unter all dem Müll und dem schlechten Image, für das die Schinkenstraße steht, klagt er. Eine schwärende Wunde, die sich endlich schließen soll. Andere sehen das anders. Für sie ist die Schinkenstraße eine Geldquelle, die noch lange sprudeln soll. Da sind vor allem die Familien Pasqual und Cursach, die einen erbitterten Kampf um das junge Saufpublikum führen. Die Pasquals betreiben das Oberbayern, eine Disco am Ballermann, den Bierkönig und einige All-inclusive-Hotels am hinteren Ende der Schinkenstraße.

Den Cursachs gehört unter anderem der Megapark, ein Nachbau einer gotischen Kirche ohne Dach. Im Sommer trinken dort jeden Tag Tausende Bier, starren auf Großleinwände oder auf die Schenkel der Tabledance-Tänzerinnen. Jahrzehntelang zahlten die Betreiber der Biertempel Schutzgelder an Ortspolizisten und Lokalpolitiker. Im Frühjahr nahm sich ein Untersuchungsrichter der Sache an; seitdem sitzen etliche Beamte im Gefängnis.

Die Schinkenstraße - "Symbol eines überholten Tourismusmodells"

Vielleicht hat Juan Miguel Ferrer ja einen Weg aus dem Dilemma gefunden. Für ihn ist die Schinkenstraße "das Symbol eines überholten Tourismusmodells". Der 45-jährige Wirt betreibt ein halbes Dutzend Lokale rund um die Schinkenstraße. Er hat vor Kurzem eine Qualitätsoffensive namens Palma Beach gestartet. Vorbild ist Miami Beach in Florida. Mit acht Gastwirten und zehn Hoteliers will Ferrer die Spielregeln ändern: Sauftourismus nur noch an 20 Tagen im Jahr, eine Art mallorquinischer Spring Break, wie er in Acapulco oder Cancun zelebriert wird. Dort feiern US-amerikanische Studenten bis zum Umfallen - aber eben nur während einer begrenzten Zeit.

Den Rest des Jahres wäre es dann auch an der Schinkenstraße ruhiger. Qualität muss Einzug halten auf der Playa de Palma, fordert Ferrer: kein Kundenfang auf der Straße mehr und keine Happy Hour, kein Gratis-Bier, kein billig gebrannter No-Name-Alkohol, keine gefälschte Markenkleidung, keine Supermärkte, die nur Alkohol verkaufen. Schluss mit fliegenden Händlern, Hütchenspielern, Straßenstrich. Und ginge es nach Ferrer, gäbe es bald ab der Playa de Palma auch nur noch Hotels, die mindestens vier Sterne haben.

Ferrer ist die Kehrtwende zuzutrauen. Sein Vater Toni gehört zur ersten Generation der Arenal-Wirte. Sie setzten in den 1970er-Jahren große Hotels an einen Dünenstrand, der stellenweise noch so ländliche Namen trug wie Pouet d'en Vaquer, Brünnchen des Kuhhirten. Ferrer gehörte zu den ersten, die das Potenzial des Landstriches am Wasser erkannten. Früher galt dieses Land den Mallorquinern als wertlos - für Ackerbau war es zu sandig und zu salzig. Land an der Küste wurde immer dem Jüngsten vererbt.

Toni Ferrer begann als echter Gastgeber. Er holte seine deutschen Gäste vom Flughafen ab oder lud sie nach Hause ein, damals, bevor alles zur Industrie verkam. Er etablierte am Mittelmeer deutschen Filterkaffee und das Sieben-Minuten-Pils und verdiente als Wirt des Köpi sehr viel Geld. Die Pilskneipe steht an der Bierstraße, vier Parallelstraßen von der Schinkenstraße entfernt stadteinwärts. Auch sie heißt eigentlich anders, Carrer Miquel Pellisa, doch auch hier kennt kaum einer der Besucher den echten Namen. Toni Ferrer, heute im Ruhestand, sagt: "Den Ballermann, den haben wir erfunden." Juan Miquel Ferrer kehrt das Konzept jetzt um. Der Vater sagt: "Wir wollten etwas machen, das den Deutschen gefällt, nicht unbedingt uns." Der Sohn sagt: "Wir müssen mallorquinischer, mediterraner werden."

Im kommenden Jahr will Ferrer seine Vision von der Playa de Palma als gehobenem Urlaubsziel für Familien, Paare und Sportler aktiv bewerben. Palma Beach soll den Kunden auf der Tourismusmesse ITB in Berlin vorgestellt werden. Die Nähe zu Palma und zum Flughafen und die wunderbare Sandbucht erleichtern den Wandel. Hindernisse sind das schlechte Image und der Widerstand anderer Unternehmer. "80 Prozent von ihnen passen nicht zu unserem Konzept", sagt Ferrer.

Julián Oliver, auch er ein Mann der ersten Stunde, erinnert sich auf seiner Finca im grünen Hinterland am liebsten an jene Tage, als die, wie er sagt, "guten Deutschen" an die Playa de Palma kamen. Sie zogen nach dem Strandbesuch und vor dem Abendessen durch die Bierkneipen, sangen und schunkelten ein bisschen, immer mit Bierdeckeln in der Tasche. Auf die notierte jeder Wirt den Konsum. "Am Abend, bevor sie ins Hotel gingen, kamen sie dann zum Abrechnen", erinnert sich der 62-Jährige, dem das Bamboleo gehört. Heute betritt Julián Oliver die Schinkenstraße nicht mehr. Sein Lokal leitet ein Geschäftsführer. Nur manchmal, beim frühmorgendlichen Strandspaziergang, wirft er einen Blick in die Straße, die ihn reich gemacht hat. "Was ich dann sehe", sagt er, "ekelt mich an."

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