Saisonstart:Die Ruhe vor dem Kunstschnee-Sturm

Der Skiort Ischgl werkelt für den Saisonanfang. Das ist ein Furcht erregender Anblick.

Von Tobias Reicherzer und Felix Zeltner

Der Ort ist eine Kulisse. Hotels, verkleidet als überdimensionierte Bauernhäuser mit Säulen und gläsernen Portalen, davor stapelt sich Bauschutt. Die Bühnenarbeiter rasen in Kleintransportern durch die Dorfstraße. Bohrer dröhnen, Sägen kreischen, Dauerstress: In wenigen Tagen geht in Ischgl der Vorhang hoch. Saisonauftakt am 29. 11. mit Light-Show, klassischer Musik und selbstgemachtem Schnee im 1500-Seelen-Dorf.

Saisonstart: Modernisierung à la Ischgl

Modernisierung à la Ischgl

(Foto: Foto: Reicherzer / Zeltner)

Pro Jahr kommt der Tiroler Skiort auf meahr als eine Million Übernachtungen, jede spült rund 100 Euro in die Dorfkasse. Ischgl ist teuer, Ischgl ist reich. So reich, dass jeden Sommer ein wahrer An- und Umbauwettbewerb ausbricht.

Aloys' radikale Gedanken

Auch in Günther Aloys´ Nobel-Hotel "Madlein" liegt der Teppichboden noch aufgerollt in der Ecke, die Möbel sind mit Laken gegen den Bohrstaub abgedeckt. "Jetzt schaut´s grauslig aus, aber nächste Woche gehen die Lichter an, die Kerzen brennen, alles ist rausgeputzt und die Mitarbeiter sind hoffentlich motiviert", sagt der Hausherr, der als Ischgls Tourismus-Vordenker gilt.

Seit 15 Jahren holt er Popstars auf die Bergstation Idalp, ließ dort oben auf 2300 Metern schon Elton John, Bon Jovi und Tina Turner auftreten. Die "Top of the Mountain"-Konzerte brachten die internationalen Medien nach Ischgl und den Eventtourismus in die Alpen.

Aloys´ Ideen gelten als radikal, im Dorf hat er sich damit nicht nur Freunde gemacht. Wenn er davon träumt, eine 1200 Meter hohe Steintreppe auf einen der Ischgler Berge zu bauen, Gipfelbuch mit Internetanschluss inklusive, versteht man, warum. "Man muss die Natur inszenieren, und man braucht Technik dazu", das ist sein Credo, und das trägt er gern und mit ausladenden Gesten vor. Über sein Alter schweigt sich der Alpen-Beau dagegen aus.

Die Macht im Ort

Von seinem Hotel aus fährt eine unterirdische Rolltreppe direkt zum Schrittmacher des Ischgler Tourismus: der Seilbahn. Sie ist, zusammen mit dem Tourismusverband, die eigentliche Macht im Ort. Braucht der Jugendclub einen DVD-Player, will der Schützenverein Geld für ein Sommerfest: Die Seilbahn zahlt. In den 60er Jahren gebaut, gehört sie inzwischen zu den profitabelsten in Österreich.

Fast der komplette Gewinn wird wieder investiert - in neuere, schnellere, bequemere Lifte und noch mehr Schneekanonen. Von drei Talstationen aus werden die Skifahrermassen auf den Berg geschaufelt. Noch ist der riesige Parkplatz gähnend leer, auf der Talabfahrt daneben müht sich eine Pistenraupe, künstliche Schneehaufen auf der grünen Wiese zu verteilen.

Von denen, die dann in einer Woche spät am Tag von der Piste kommen, werden einige Probleme haben, die Spur zu halten. Ischgl ist, trotz selbstverordnetem Nobel-Auftreten, auch als Ballermann im Schnee bekannt. Reportagen deutscher Privatsender und die Filmklamotte "Feuer, Eis und Dosenbier" ziehen immer mehr Sauftouristen an.

"Betrunkene von ihr runterziehen"

"Nikis Stadl", "Schatzi", "Kuhstall" - diese Namen stehen für Trinken, Tanzen und Flirten mit allen bekannten Folgen. "Wenn ich abends mit meiner Freundin durch den Ort gehe, muss ich jedes Mal Betrunkene von ihr runterziehen", sagt der 19-jährige Manuel, der wie viele Ischgler Jugendliche im familieneigenen Hotel arbeitet. "Mit dem 'Kuhstall' hat es angefangen."

Der "Kuhstall", bekanntestes Auffangbecken für Après-Skifahrer, steht völlig verwüstet direkt am Seilbahnplatz. Die Eingeweide des hölzernen Amüsierschuppens liegen auf dem Asphalt: Waschbecken, Kloschüsseln und schmiedeeiserne Lampen neben den unvermeidlichen Milchkannen und Kuhglocken.

Vom nächstem Wochenende an dienen sie wieder als Kulisse für krachledern-volkstümelndes Kampftrinken mit DJ-Untermalung. Ischgl tanzt auf einem schmalen Grat zwischen Prominenten-Winterfrische und Après-Hölle.

Zwischen Prominenten-Winterfrische und Après-Hölle

Die Vortänzer vom Tourismusverband sind der Motor der Ischgler Werbetrommel, ihr Hauptquartier ist ein Bunker aus Glas und Beton voller junger, berufsfreundlicher Menschen. Andreas Steibl, blondierter Pferdeschwanz und Boss-Anzug, ist der Geschäftsführer. Er hat früher für den Tourismusverband Mallorca gearbeitet. "Zum Saisonabschluss im Mai kommt auch dieses Jahr wieder ein Mega-Mega-Mega-Megastar." Mehr verrät er nicht.

Der Rest von Ischgl ist jetzt noch weit weg von Mega-Mega. Abends, im Hotel Maria Theresia, nur die Bar hat geöffnet. Es riecht noch nach Holzleim, der Besitzer liegt beim diesjährigen Renovier-Marathon vorne. Neun Herren sitzen am glänzenden Holztresen und trinken "G'spritzten", Rotwein mit Wasser. Sie alle sind Hoteliers, mindestens vier Sterne, sie alle sind Gemeinderäte und lassen die gerade beendete Sitzung ausklingen.

Baudichte, Ober und fünf Sterne

Es geht vor allem um eines: Betten. Wer am meisten hat, sagt, wo´s lang geht. Wer mehr haben will, hat es schwer. Das Gespräch wird hitzig. Die Bedienung kommt mit dem Nachschenken kaum nach. "Du hast doch erst zwei Stöcke draufgesetzt. Warum darf ich das nicht?" "Die Baudichte gilt für alle!" Was genau Baudichte ist, will niemand erklären. Es ist auch egal: Ober sticht Unter, und fünf Sterne stechen vier.

Spät nachts gehen die Gemeinderäte nach Hause. Über die Schutthaufen der anderen wanken sie zu ihrer eigenen Baustelle, treten durch die elektrischen Schiebetüren ihrer Glasportale, freuen sich ihrer vielen Gästebetten und warten auf den Tag, an dem die Haufen weggeräumt sind, die Kerzen brennen, die Zimmermädchen ihre Schürzen umbinden - und die Saison endlich, endlich wieder losgeht.

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