Rustikales Rollenspiel:Urlaub im Reich der Phantasie

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In Schwedens Wäldern kämpfen Hunderte Menschen gegen einen feuerspeienden Drachen. In jahrelanger Arbeit haben die Veranstalter alles bis ins kleinste geplant - von modernen Spezialeffekten bis Trinkgefäße aus Kuhhörnern.

Gunnar Herrmann

Als Timo Multamäki sich am Freitagabend schlafen gelegt hat, da war er in der schwedischen Gemeinde Älvdalen, nahe der norwegischen Grenze. Als er am Samstag aufwachte war er in Cinderhill, einem mittelalterlichen Dorf nahe des Schlangenwalds im Kontinent Valenor.

Fünf Tage wird er dort bleiben. Es wird sicher eine recht spannende Zeit, denn Cinderhill wird von Drachenfängern und Hexen besucht, und die wirbeln das idyllische Dorfleben ziemlich durcheinander. Es gibt eine Menge Probleme zu bewältigen und außerdem wird Timo Multamäki - der in Valenor anders heißt - Waldgeister und Monster treffen und möglicherweise muss er auch mit einem Latex-Schwert gegen seine Gegner antreten.

Was Multamäki und mit ihm etwa 320 Menschen derzeit in einem schwedischen Wald veranstalten, nennt sich Live-Rollenspiel. Bei solchen Spielen begeben sich die Teilnehmer in eine Phantasie-Welt und schlüpfen in die Rolle von Sagengestalten.

Dieses Hobby ist in Skandinavien ziemlich populär, auch in Deutschland gewinnt es immer mehr Anhänger. Das Spiel " Dragonbane", das Multamäki organisiert hat, ist eines der aufwändigsten seiner Art, Teilnehmer aus 18 verschiedenen Ländern sind gekommen.

Ein ganzes Team hat in monatelanger Knochenarbeit das mittelalterliche Dorf Cinderhill nachgebaut und einen Drachen konstruiert. Der ist 23 Meter lang und kann sogar Feuer speien. "Drachen haben mich schon immer fasziniert", sagt Multamäki.

Der Unternehmer hat ein kleines Vermögen investiert, um sich nach vielen langen Planungsjahren seinen Traum zu erfüllen: Ein Live-Rollenspiel, bei dem Monster und Magie mit modernen Spezialeffekten perfekt dargestellt werden.

Das Spiel ist bis ins kleinste Detail durchgeplant. Es gibt Handbücher mit Hintergrundwissen über Valenor und Angaben zur passenden Kleidung. Alles muss von den Spielern selbst in Handarbeit aus natürlichen Materialien gefertigt werden, keine Kunstfaser darf die Illusion stören.

Trinkgefäße aus Kuhhörner

Im Internet gibt es sogar Anleitungen für das Herstellen von Trinkgefäßen aus Kuhhörnern. In Workshops und Webforen diskutieren die Spieler seit Monaten über ihre Rolle und das Verhältnis ihrer Figur zu den anderen Bewohnern in Cinderhill.

Das einzige, was offen bleibt, ist der Schluss: Der Reiz des Spiels besteht darin, dass alle gemeinsam die Geschichte zu Ende bringen.

Das Spiel ist bis ins kleinste Detail durchgeplant. Sogar einen Drachen gibt es. (Foto: Foto: dragonbane)

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Cinderhill wird von einem Drachen beschützt, der die Bewohner mit allem versorgt, was sie brauchen. Drachen gelten deshalb als Götter und werden in einem Tempel verehrt. Weil jeder Wunsch vom Fabeltier erfüllt wird, brauchen die Dorfbewohner keinen persönlichen Besitz und können in einer Art sozialistischer Utopie leben.

Kurz vor Spielbeginn taucht allerdings ein böser Drache auf, der von den Drachenfängern getötet wird. Für die Bewohner von Cinderhill ist das ein Problem, denn damit ist bewiesen, dass die von ihnen vergötterten Geschöpfe sterblich sind.

Außerdem haben sie ein Integrationsproblem zu bewältigen, weil immer mehr Drachenfänger ins Dorf strömen und mit ihnen auch Hexen, von denen keiner so genau weiß, was sie im Schilde führen.

Gesellschaftliches Experiment

In gewisser Weise, sagt Multamäki, ist "Dragonbane" also ein gesellschaftliches Experiment. Aber dieser Aspekt sei nicht so wichtig. Viel wichtiger seien die persönlichen Erlebnisse.

"Die Spieler werden wahrscheinlich sehr dunkle und starke Gefühle erleben." Der Reiz, sagt Multamäki, bestehe darin, alltagsferne Erfahrungen zu machen. Viel mehr als die Erinnerung wird von dem Urlaub im Mittelalter auch nicht bleiben. Nach einer Woche endet das Spiel.

Blockhütten und Drachentempel werden dann abgerissen, Multamäki wird sich wieder in einen finnischen Unternehmer verwandeln. Und Cinderhill existiert fortan nur noch dort, wo es hergekommen ist: in der Phantasie.

© SZ vom 3.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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