Russland: Moskau:Das Erbe einer Stadt

Statuen ehemaliger Sowjetherrscher im Skulpturen-Park, Gräber berühmter Schriftsteller auf einem idyllischen Friedhof: An verschiedenen Orten Moskaus wird Berühmtheiten der russischen Geschichte gedacht. Die Plätze haben alle ihren ganz eigenen Reiz.

Lisa Sonnabend

Dort drüben im Park steht der Mann, Schrecken vieler Russen. Groß ist er, mindestens drei Meter fünfzig. Erhaben blickt er auf die Vorbeigehenden hinunter: Felix Dserschinski, Gründer des gefürchteten Geheimdiensts KGB.

Einst thronte er im Zentrum Moskaus, vor dem monströsen KGB-Gebäude auf dem Lubjanka-Platz. Doch 1991, nach der Niederschlagung des kommunistischen Putsch-Versuchs gegen Michail Gorbatschow, stürzten jubelnde Demonstranten Dserschinski von seinem Sockel.

Inzwischen heißt der russische Inlandsgeheimdienst FSB, und an der Stelle des großen Dserschinski-Denkmals blühen bunte Blumen in einem überaus gepflegten Beet.

Wohin mit Dserschinski und den anderen Statuen der ehemaligen umstrittenen Mächtigen aus der Sowjetzeit? Zertrümmern, einschmelzen, begraben?

Moskau hat in den 90er Jahren seine eigene, originelle Lösung gefunden. Die Statuen wurden in einem Skulpturen-Park aufgestellt, dem Friedhof der gefallenen Denkmäler.

Groteske Bedeutungsminderung

Und dort stehen sie nun, die Stalins, Lenins, Breschnews. Büsten aus Granit, riesige Gips-Statuen, abstrakte Bronze-Skulpturen. Die Darstellungen wirken ein wenig grotesk ohne die zugehörigen Plätze oder Gebäude, denen sie und die ihnen einst Bedeutung verliehen.

Manche der ehernen Gesichter blicken verloren in die Ferne, andere schauen dem Besucher kritisch in die Augen. Manchmal ragt nur eine Stirn oder ein Arm aus dem hohen Schnee, es ist nicht mehr zu erkennen, um wen es sich bei der Abbildung handelt. Eine fast gespenstische, manchmal allerdings auch ein wenig lächerliche Stimmung herrscht in dem Park.

Der Diktator Stalin, eine Statue von Merkurow aus dem Jahr 1938, thront in Feldherrenpose, die rechte Hand lässig auf Brusthöhe in die Uniform gesteckt. Hinter Stalin eine Gitter-Wand, in der Steinköpfe eng übereinander gestapelt sind: Sie symbolisieren die Millionen Opfer Stalins, die in den Strafgefangenenlagern, den Gulags, ums Leben kamen.

Wenn der Kapitalismus mit dem Kommunismus

Der Moskauer Skulpturen-Park geht also nicht unreflektiert mit den einstigen Sowjetherrschern um. Das ist indes nicht überall so. In Litauen in "Lenin's World" verniedlichen Angestellte Stalin, indem sie sich als Diktator verkleiden, oder sie verschleppen Besucher - in Anspielung auf die Gulags.

Im ungarischen Budapest klettern Besucher bisweilen auf die Statuen und rutschen auf den Armen von Rote-Armee-Soldaten wieder hinunter, die unkommentiert im Szoborpark herum stehen - manche bezeichnen die beiden Orte als Freizeitparks des Kommunismus.

In Moskau dagegen werden keine Flaggen oder T-Shirts mit Hammer und Sichel verkauft, es ertönen keine Revolutions-Lieder aus dem Kassen-Häuschen, in Moskau wird mit dem Kommunismus kein Kapitalismus betrieben.

Der Statuen-Park liegt direkt an der Moskwa, gegenüber dem berühmten Gorki-Park - und vor der Neuen Tretjakow-Galerie. Das Museum zeigt Gemälde der russischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Auch hier holt einen die Sowjetzeit ein.

"Sozialistischer Realismus" nennt sich die Kunstrichtung, die den von Stalin in den 30er Jahren verordneten Zwang in der Kunst reflektiert: "Bau einer Fabrik" oder "Das Leben wird besser" heißen die Bilder, die dem Interesse des Staates dienen sollten. Sie bilden Kommunisten-Paraden auf dem Roten Platz oder Stalin beim Besuch des Kremls ab. Aber in der Neuen Tretjakow-Galerie wird ebenso Künstlern der Avantgarde und des Kubismus Raum gewährt - eine abwechslungsreiche Mischung.

Auch im Skulpturen-Park tauchen neben den Sowjet-Statuen zeitgenössische Kunstwerke auf: abstrakte Bronzeskulpturen oder große Drahtkonstruktionen. Die karikierten Physiker Albert Einstein und Bor stehen neben Breschnev und Lenin - eine skurrile Mischung.

Kinder, Langläufer, Schneeräumer

Zwischen den Skulpturen spielen Kinder im Schnee, Mütter halten ein Schwätzchen, Langläufer gleiten vorbei. Schneeräumer oder vielleicht Familienväter haben einen Ziehharmonika spielenden Bär aus Schnee geformt - fast wirkt er wie eines der Denkmäler.

Lenin, den Anführer der Oktoberrevolution 1917 und Ersten Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, gibt es im Skulpturen Park gleich in mehrfacher Ausführung.

Mal sind die Gesichtszüge des Denkers deutlich sichtbar, ein anderes Mal wurde er übermenschlich groß in weißen Gips gemeißelt. Der Personenkult, den man um die Sowjetführer machte, wird so deutlich.

Im Gegensatz zu anderen ist Lenin nicht völlig aus dem heutigen Moskau verbannt worden. Straßen, Bibliothek und das Metro-System tragen den Namen des Kommunistenführers. Und auf dem Roten Platz, dem wohl berühmtesten Ort Russlands, steht in der Mitte das große Lenin-Mausoleum, in dessen Innerem Lenin einbalsamiert zur Schau gestellt wird.

Wie Wachs wirkt er

Täglich drängen sich neugierige Touristenmassen und ein paar Einheimische hinein, um zu sehen, wie Lenin im Original aussah; wächsern wirkt sein kleiner Körper.

Ein ganzes Labor ist damit beschäftigt, Lenins Leichnam regelmäßig nachzubearbeiten. Die Exposition des Leichnams ist umstritten: Seit langem wird über eine Überführung an einen anderen Ort oder eine Erdbestattung diskutiert.

Hinter dem Lenin-Mausoleum, an der Kreml-Mauer, liegen weitere Größen der russischen Geschichte begraben: die Sowjetherrscher Stalin und Leonid Breschnew, der erste Mensch im Weltraum Juri Gagarin, oder der Schriftsteller Maxim Gorki.

Die Verstorbenen sind in Moskau allgegenwärtig. Und es gibt einen weiteren Ort, an dem der Berühmtheiten gedacht wird - der vielleicht schönste: der große Friedhof gleich neben dem idyllischen Neuen Jungfrauen-Kloster.

Die bis zu drei Meter hohen Statuen und Symbole auf den Gräbern machen deutlich, wofür die Verstorbenen ihren Ruhm erlangt hatten: ein Flugzeugmodell aus Stein, ein mit Moos bewachsener Panzer, eine majestätische Steinfigur in Militäruniform, die Gipsstatue einer Balletttänzerin.

Auf dem Friedhof liegen Politikgrößen wie Nikita Chrustchow oder Alexander Lebev begraben, Schriftsteller wie Nikolai Gogol und Anton Tschechow, Komponisten wie Sergei Prokofiev oder Dimitri Shostakovitsch und Filmregisseur Sergej Michailowitsch Eisenstein.

Das Grab von Michael Gorbatschows Frau Raissa ist mit einer Statue der hübschen jungen Frau verziert, der Grabstein von Stalins zweiter Frau Nadezhda Allilueva, die Selbstmord beging, als sie erfuhr, dass Stalin eine Geliebte hatte, mit einem unzerbrechbaren Glaskasten, der vor Randalierern schützen soll.

Dem Herzen näher

Wenn sich die Sonne durch die Äste drängt, sich im Schnee spiegelt und Schatten auf die Grabsteine wirft, kommen einem die Texte von Tschechow in den Sinn, der hier so scheinbar friedlich ruht: "Die alten Linden und Birken, weiß bereift, haben ein gutmütiges Aussehen, sie sind dem Herzen näher als Zypressen und Palmen, und in ihrer Nähe hat man gar nicht das Bedürfnis, an die Berge zu denken und ans Meer. Gurow kehrte an einem schönen, frostigen Tag nach Moskau zurück, und als er seinen warmen Pelz angelegt und die warmen Handschuhe angezogen hatte, da verloren für ihn die Orte, an denen er gewesen, allen Zauber."

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