Rummelsburg in Berlin:Im Knast ist noch ein Zimmer frei

Ein Ehepaar hat ein Berliner Gefängnis zu Wohnungen und Hotelräumen umgebaut - obwohl es selbst zunächst Angst vor Alpträumen hatte.

Von Joachim Göres

Ein Gefängnis kaufen, um dort zu leben - auf diese Idee kommen wohl nur sehr wenige Menschen. Huberta Bettex von Schenck und ihr Mann Matthias haben genau das getan. Sie suchten in Berlin ein größeres Gebäude, um dort zusammen mit Freunden zu wohnen. Dabei stießen sie 2004 im Ostteil der Stadt auf die leer stehende Haftanstalt Rummelsburg, ein geschichtsträchtiger, schrecklicher Ort.

Im Jahr 1879 wurde hier das Städtische Arbeitshaus mit 19 Klinkerhäusern für tausend Menschen unter anderem für die "Verwahrung von Obdachlosen, Bettlern, Landstreichern, Arbeitsscheuen und Prostituierten" eröffnet. Unter den Nationalsozialisten lebten in der ab 1933 als "Arbeits- und Bewahrungshaus" geführten Anlage bis zu 2000 Menschen - nicht wenige von ihnen wurden anschließend im Rahmen des Euthanasieprogramms in den Tod geschickt.

"Wir würden gerne Markisen anbringen, aber das ist leider verboten."

Von 1951 bis zu ihrer Schließung 1990 befand sich an diesem Ort die Strafvollzugsanstalt Berlin I mit 900 Haftplätzen, die mit bis zu 2500 Männern belegt waren, darunter viele politische Häftlinge und gescheiterte Flüchtlinge. Nach der Wende verbrachten Erich Honecker, der mächtigste Politiker der Deutschen Demokratischen Republik, und Stasi-Chef Erich Mielke selbst eine kurze Zeit hinter den Rummelsburger Gefängnismauern.

Haftanstalt Berlin-Rummelsburg wird zu Appartementanlage

Das Gefängnis von Berlin-Rummelsburg (Archivbild von 1991) hat schon lange ausgedient.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

"Die Anlage war mit einer hohen Mauer umgeben, und die Gebäude standen alle leer. Es war alles so hässlich und wegen seiner Geschichte ein so unheimliches Gelände, dass es schon wieder interessant war", erzählt Bettex von Schenck. Sie und ihr Mann kauften das einstige Krankenhaus des Gefängnisses und bauten es 2007 um, um hier zu leben.

Durch das Einreißen von Wänden wurden insgesamt drei Wohnungen mit je 110 Quadratmetern geschaffen. "Zwei Wohnungen haben wir dann verkauft, um das Ganze finanzieren zu können, denn der Umbau war erheblich teurer als angenommen", sagt Bettex von Schenck. Das schadhafte Dach im zweigeschossigen Klinkerbau musste ausgetauscht, die Elektrik- und Sanitäranlagen mussten erneuert werden. Die kleinen Glasbausteine, durch die Häftlinge früher nicht nach draußen schauen konnten, wurden durch große Fenster ersetzt. Die Gitter verschwanden. "Nur der Terrazzo-Fußboden und die Granittreppe sind geblieben", sagt die ehemalige Lehrerin zu den aufwendigen Umbaumaßnahmen.

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Aus den Zellentrakten wurden Appartements. Doch nicht jeder findet an einer Unterkunft im Klinkerbau Gefallen.

(Foto: imago/Schöning)

Im Erdgeschoss befinden sich fünf ehemalige Zellen, die an Gäste vermietet werden. Die Wände wurden neu verputzt und farbig gestrichen, die Inneneinrichtung hat sich verändert, die Größe ist geblieben: Zwei mal vier Meter. "Das Andere Haus VIII" heißt das besondere Hotel - wegen der Bezeichnung "Haus 8", die das Gebäude als Krankenhaus des Gefängnisses einst trug.

Heute hat jeder Bewohner einen eigenen Schlüssel und kann natürlich kommen und gehen, wann er will. In den Räumen können auch zwei Personen übernachten - im Gegensatz zu früher kann man sich seinen Mitbewohner heute aussuchen.

Die kleinen Räume mit der hohen, aus gemauerten Backsteinen bestehenden Runddecke wurden bewusst spartanisch eingerichtet: ein Bett, ein zweites Bett zum Ausziehen, ein Stuhl, Tisch, Lampe, kleine Garderobe, alles als Sonderanfertigung aus Stahl. Kein Fernseher. Im Nebenraum befindet sich das aufwendig eingerichtete Bad. "Wir haben eine gute Belegung, was auch mit der zentralen Lage zu tun hat. Viele junge Leute kommen zu uns, für sie ist das ein Gebäude mit einer coolen Geschichte", sagt Bettex von Schenck. Interessierte Gäste können sich in der kleinen Hotelbibliothek im hellen Gewölbeflur über die Erlebnisse von Häftlingen in der DDR informieren.

Über die Geschichte der Gefangenen geben auf dem einstigen Anstaltsgelände auch zahlreiche Stelen Auskunft. Sie stehen zwischen den sechs umgebauten Gefängnisblöcken, in denen ein Investor etwa 150 Wohnungen eingerichtet hat, bevor er sie an die heutigen Eigentümer verkaufte. An die 50 bis 130 Quadratmeter großen Wohnungen wurden Balkone vorgesetzt. Zur Hauptstraße hin steht das einstige Verwaltungsgebäude, in der Mitte der Anlage der ehemalige Wasserturm - auch hier befinden sich heute Wohnungen. Die einstige Wäscherei wird als Kita genutzt.

Alle Gebäude haben mit ihren großen braungestrichenen Holzfenstern und den hellroten Backsteinen ein einheitliches Aussehen. "Wir würden gerne Markisen anbringen, aber das ist leider verboten, weil die Gebäude unter Denkmalschutz stehen. Dafür sind die großzügigen Wohnungen mit ihren hohen Decken toll", sagt eine Bewohnerin, die gerade ihre Tochter aus dem Kindergarten abgeholt ab. Sie schätzt auch die Spielstraße vor dem Haus.

Ehemalige Gefangene finden es gut, dass hier Leben einzieht. Übernachten wollen sie nicht

Die umgebauten Gefängnisgebäude sind umgeben von zahlreichen Neubauten. Der Verein "Wir in Rummelsburg" hat für die Bewohner des neuen Viertels "Berlin Campus" im historischen Gefängnislazarett einen Treffpunkt geschaffen, der gerne für Feiern genutzt wird. Eine Arbeitsgruppe dieses Vereins hat eine App erstellt, mit der man sich bei einem Rundgang über die Geschichte des Gefängnisses informieren kann (www.gedenkort-rummelsburg.de).

Einen Eindruck, wie es früher hier einmal ausgesehen hat, bekommt man auch beim Blick von der Hauptstraße auf das Viertel: Dort stehen noch drei zum einstigen Gefängnisareal gehörende nicht umgebaute Gebäude, mit dunkel-verwitterter Backsteinfassade, davor eine hohe Mauer mit Stacheldraht.

Vieles ist anders gelaufen, als sich Bettex von Schenck es ursprünglich gedacht hatte. Aus der Idee vom gemeinschaftlichen Leben mit Freunden wurde nichts, da sie vor der gespenstisch wirkenden Fläche zurückschreckten. Erhoffte Kontakte zu denjenigen, die früher im Gefängnis gearbeitet und in der Nachbarschaft gewohnt haben, blieben aus.

Dennoch hat die 71-Jährige den Schritt bis heute nicht bereut. Sie schätzt unter anderem den Blick auf den See der Rummelsburger Bucht, den sie von ihrem Garten aus hat. "Wir waren uns anfangs nicht sicher, ob wir uns hier wohlfühlen werden und nicht Albträume bekommen, aber das ist zum Glück nie passiert. Und wir hatten viele bewegende Kontakte zu ehemaligen Gefangenen, die es gut fanden, dass hier wieder Leben einzieht." Freiwillig in ihrer alten Zelle wollte aber keiner von ihnen übernachten.

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